Valentina Gass

Das glück ist nah


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ich gehe!” Maya versuchte energisch, sich zu befreien, aber ihre Mutter hielt sie fest.

      – « Warum wirfst du deine Turnschuhe überall rum?! Ich bin wegen ihnen heute Morgen gestolpert, willst du, dass ich mich verletze?! Wie oft habe ich dir gesagt – räum” deine Sachen weg!!”

      – “Lass loo-o-o-s”, zischte Maya und unternahm neue Versuche, sich zu befreien. – “Machst du mir einen blauen Fleck, gehe ich zur Polizei – Ich werde sagen, dass du mich geschlagen hast!”

      – “Was?” – Linda war überrascht, lockerte ihren Griff und Maya nutzte die Verwirrung ihrer Mutter und schlüpfte heraus.

      – “Bring mich nicht zur Weißglut”, warnte Linda in einem ominösen Flüstern.

      – “Du kennst mich. Ich sperre dich in dein Zimmer ein!”

      – “Versuch es doch!” Maya knurrte und trat vorsichtig zurück zu ihrem Schreibtisch. – “Dann werde ich das Haus verlassen! Und gehe zu Papa!”

      – “Geh, geh nur, er wartet sicher mit offenen Armen auf dich… Und was hast du da überhaupt an? Was ist das für ein Rock, dein Höschen ist zu sehen?!”

      – “Was kümmert es dich? Ich trage was ich will!”

      – “Hast du deine Hausaufgaben gemacht?”

      – “Hab ich!”

      – “Hast du”?

      – “Jaaa, hab’ ich!”

      – “Zeig sie mir”, Linda machte ein paar Schritte auf den Tisch zu, Maya sprang schnell einen Schritt zurück zum Bett.

      – “Solange du sie mir nicht zeigst, wirst du nirgendwo hingehen!”

      – “Ja, bitte”, die Tochter kippte trotzig Lehrbücher gemischt mit Notizbüchern aus ihrer Schultasche auf den Tisch und murmelte leise: “Faschist…”

      – “Ich haue dir für solche Worte die Lippen wund!” sagte Linda und versuchte, den Stapel voller Schulsachen zu verstehen.

      – “Ruf Gerda an.”

      – “Warum das denn?”

      – “Weil ich von ihr persönlich wissen möchte, wohin ihr gehen wollt!”

      – “Ja, also gut!” – Maya nahm ihr Smartphone heraus, stocherte auf dem Bildschirm herum und drückte die Freisprechtaste.

      – “Man hält mich wirklich für einen alten Dummkopf”, blitzte Linda auf, “als würde ich nicht wissen, dass ihr euch abgesprochen habt dasselbe wegen der Party zu sagen.”

      – “Hallo”, sagte mit heiserer Stimme Mayas Freundin. Man hätte meinen können, Gerda sei nicht vierzehn, sondern schon fünfundzwanzig.

      – « Hier ist Linda, Mayas Mutter. Sag mir, was habt ihr für Hausaufgaben im Biologieunterricht für morgen?

      – “Hä?” – fragte Gerda verwundert. Maya rollte auch mit den Augen.

      – “Was hast du im Biologieunterricht auf bekommen?” wiederholte Linda in einem strengen Ton.

      – “Du wolltest wegen… der Party nachfragen”, quietschte Maya und versuchte, Zeit zu gewinnen.

      – “Mund halten!” Linda bellte sie an und wechselte zurück zu ihrer Freundin: “Gerda, sag mir ehrlich, ich werde es sowieso später herausfinden.”

      – “Nun… ein Absatz.”

      – “Welcher?”

      – “Nun… Fünfundzwanzig.”

      – “Was noch?”

      – Naja…”

      – “Was noch?.. Gerda!”

      – “Nun, ein Referat.”

      – “Thema?”

      – “Über diese Fliegen. Über Drosophila.”

      – “Danke, Gerda”, Linda nahm ihrer demoralisierten Tochter das Smartphone weg und legte auf. “Zeig mir das Referat”, befahl sie.

      – “Ich habe es nicht ganz zu Ende gemacht”, fing Maya an zu jammern, aber Linda hatte bereits das Biologieheft gefunden und es bis zur letzten beschriebenen Seite aufgeschlagen.

      Das stand drin:

      “Hausafgaben. Referat. Drosophila-Fliege als Objekt der genetischen Forschung”.

      Und die restlichen Seiten waren leer.

      – « Das nennst du also – nicht ganz zu Ende gemacht-?’ fragte Linda sarkastisch. – ‘Also so ist das also. Es gibt nun zwei Möglichkeiten – entweder du setzt dich jetzt sofort hin und schreibst dieses Referat, und wenn du noch Zeit hast, gehst du noch ein bisschen auf die Party. Oder aber du gehst, sagen wir mal bis um 22 Uhr, auf die Party und dann schreibst du das Referat bis zum Ende. Und so lange du mir das Referat nicht gibst, bekommst du niemals mehr etwas!

      Maya stand eine Weile da, runzelte die Stirn und klopfte nervös mit ihrem Bleistift auf den Tisch.

      – “Hast du gehört was ich gesagt habe?” fragte Linda und versuchte, ihren Ton ruhig zu halten.

      – “Ach, f**k deine Mutter!” fluchte Maya und zerbrach vor Gefühlsüberschwang den Bleistift in ihrer Hand. Linda holte aus und klatschte ihrer Tochter mit offener Handfläche auf die Lippen.

      Alkoholikerin

      Linda versuchte, ihre Gedanken zu sammeln, aber sie waren zu durcheinander.

      “Wie gehen Menschen mit Dingen um” dachte sie. – “Was soll man sich zuerst schnappen? Wo man stochert – überall ein Keil!”

      Sie erinnerte sich an den freundlichen alten Mann im Bus. Wie hieß er noch gleich? Mister Bayer? Linda hatte den Eindruck, dass dieser seltsame Mitreisende ein Bote aus einer anderen Welt war. Er stammt aus einem Paralleluniversum, das, obwohl es irgendwo in der Nähe existiert, sich in keiner Weise mit Lindas eigener Galaxie überschneidet.

      Welchen Sinn hat es dann, diese Bekanntschaft fortzusetzen?

      Sie vereinbarten, nächste Woche zu telefonieren. Der alte Mann habe versprochen, etwas Wichtiges zu besprechen, aber er wolle sie nicht vorzeitig beunruhigen. Was kann er also anbieten? Bestenfalls für seinen Sohn, den Unternehmer, zu arbeiten? Zweifelhafte Aussicht. Lindas jetziger Platz ist natürlich auch nicht der Hit, und der Chef schaut sie schief an – wahrscheinlich wird er sie bald schon darum bitten zu gehen. Aber trotz allem, wenigstens eine Stabilität.

      Linda kehrte nach einer weiteren Schicht – Stapeln von Papierstücken – nach Hause zurück. Ihr Kopf schmerzte ein wenig und sie versuchte sich daran zu erinnern wo auf dem Weg eine Apotheke war: Es wäre nicht unangebracht, dort Tabletten zu holen.

      Ihr Smartphone vibrierte, Linda zog es automatisch aus ihrer Handtasche und hielt es sich vors Gesicht. “Schwester” – erschien auf dem Bildschirm. Linda runzelte verärgert die Stirn – wie unpassend! Die Beziehungen zu seiner eigenen älteren Schwester waren sehr angespannt. Beziehungsweise standen sie in den letzten zwei Jahren in keiner Beziehung zueinander.

      – “Lin, kannst du reden? fragte Irina. —

      – “Kann ich”, Linda ärgerte sich über dich sich selbst. Was hinderte sie daran, nein