Valentina Gass

Das glück ist nah


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dem vierten Glas Wein begann sich das Leben jedoch zu bessern. Linda brachte aus der Küche all die Schokolade, die es noch in der Wohnung gab und stopfte sich diese zusammen mit dem Wein rein und spürte dabei eine herbe Süße auf ihren Lippen.

      Im Fernsehen lief ein lustiges Quiz für ambitionierte Hausfrauen. Linda starrte die dummen blonden Kandidaten eine Weile an, schnaubte bei ihren Antworten und deutete abfällig auf den Bildschirm. Aber es langweilte sie schnell. Sie schaltete den Fernseher aus und schaltete die Stereoanlage an. Sie drehte die Lautstärke auf und gab sich dem Charme rhythmischer Klänge hin. Sie erinnerte sich daran, dass unter diesen Kompositionen ihre unbeschwerte Jugend vergangen ist. “Oh, das waren Zeiten!” – sprach sie zu sich selbst. “Einmal sperrte mich meine Mutter in ein Zimmer ein, und ich haute ab, ich band die Laken zusammen und hängte sie aus dem Fenster – zum Glück waren wir nur in der zweiten Etage! Und wie ich die Sohle von Irkas Sandale mit einem Nagel auf den Boden genagelt habe! Was mir nicht schon alles passiert ist!”

      Linda selbst bemerkte gar nicht, wie sie fast alles ausgetrunken hatte. In de zweiten Flasche war kaum noch was drin.

      Durch die Musikgeräusche bemerkte Linda plötzlich Geräusche im Flur. Hastig senkte sie die Lautstärke und Maya stürmte ins Wohnzimmer.

      – “Und ich frage mich, warum sucht Mutter noch gar nicht nach mir …“, sagte sie und warf einen Blick auf die Glas- und Schokoladenverpackungen, die auf dem Couchtisch verstreut waren.

      – « Wie viel Uhr haben wir denn schon?” – fragte Linda und bekam plötzlich Schluckauf.

      – “Was gibts zu feiern?” fragte Maya vom Flur aus: Sie hing, ihre Jacke auf und zog ihr Schuhe aus.

      – “Ha… *hicks* … hast du deine Hausaufgaben gemacht?” – Linda versuchte heldenhaft, mit normaler Stimme zu sprechen, was bei betrunkenen Menschen zu genau dem gegenteiligen Effekt führt.

      – “Geh ins Bett”, murmelte Maya. Sie kehrte zurück und sah ihre Mutter feindselig an, während sie ihre Schulter gegen den Türrahmen lehnte.

      – “D-du hast mir nichts..nichts vorzuschreiben.… *hicks!*… ich weiß… selbst..was ich… tun muss..” Linda stand von der Couch auf, taumelte leicht und ging an ihrer Tochter vorbei ins Badezimmer.

      – “Alkoholikerin”.

      Maya sprach das Wort leise, aber nicht leise genug, so dass Linda es hören konnte. Es klang ziemlich klar und brannte wie ein heißer Schlag ins Gesicht.

      “Ach, Mama Mia!” – Linda sah sich morgens im Spiegel an und versuchte, das in alle Richtungen abstehende Schlepptau zumindest ein wenig zu kämmen. Unter den Augen waren violette Augenringe, und ihr Gesicht sah so zerknittert aus, als hätte eine Kuh die ganze Nacht daran gekaut.

      “Was für ein Anblick!” Linda machte sich weiterhin selbstkritisch Vorwürfe. “Vielleicht sollte ich mich für ein Casting für Horrorfilme bewerben?”.

      Sie versuchte krampfhaft, sich irgendwie in Ordnung zu bringen. Zehn Minuten später gelang es ihr, allerdings mit halber Sünde. Aus dem Spiegelbild sah sie schließlich einen Menschen an, welcher jetzt wieder nach einer Frau aussah. Und nicht wie irgendeine metrosexuelle Vogelscheuche. Es gelang ihr aber noch nicht die Kopfschmerzen zu lindern – der Schädel platzte fast, so dass das gestrige Unwohlsein als reiner Unsinn angesehen werden konnte. Die Tabletten, die Linda nach dem Aufwachen einnahm, halfen entweder nicht oder hatten noch nicht zu wirken begonnen.

      Der Gedanke, dass sie in einem solchen Zustand den ganzen Tag im Büro herumhängen müsste, versetzte sie in Entsetzen.

      “Und was ist mit allem anderen?” – fragte sarkastisch ihre innere Stimme.

      “Was ist mit den Schulden, dem Laufband und den anderen ebenso ‘angenehmen’ Dingen?”

      Linda schloss für ein paar Sekunden die Augen. In der naiven Hoffnung, dass die Dunkelheit die unruhige Gedanken verbirgt. Sie hat sie nicht verborgen. Angst, die das gesamte Bewusstsein erfüllte, spaltete weiterhin das Gehirn von innen.

      Dann ging Linda in die Küche, kramte im untersten Schrank hinter dem Mülleimer nach der nicht leeren Flasche von gestern, stand auf, hob sie in die Hand und betrachtete den Inhalt im Licht. Und dann warf sie den Kopf zurück, legte den Flaschenhals an die Lippen und begann zu trinken, bis die Flasche leer war.

      Spieler

      Anfangs erschrak Linda sogar ein wenig. Es schien ihr, als stünde ein Räuber oder Bandit vor ihrer Wohnungstür. Sie hatte gerade den Fahrstuhl verlassen und erstarrte für ein paar Sekunden: Der Mann stand mit dem Rücken zu ihr; ein grauer, düsterer Mantel mit hochgestelltem Kragen machte es schwierig, den unerwarteten Besucher zu identifizieren. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Linda erkannte, dass es nur “ihr” Alex war. Sie nahm in einmal aus irgendeinem Grund mit zu sich und anscheinend erinnerte er sich an die Adresse.

      Als Alex hinter sich ein Rascheln hörte, drehte er sich um. Seine Augen schossen untypisch herum.

      – “Ich habe geklingelt, aber keiner machte mir auf” sagte er, anstatt Linda zu begrüßen.

      Linda war nicht in der wohlgefälligsten Stimmung, also zeigte sie keine heuchlerische Freude über das Treffen. Sie ging schweigend an dem Gast vorbei und stieß ihn leicht mit ihrer Schulter weg.

      – “Ich habe dich auch nicht eingeladen”, sagte sie leise und öffnete das Schloss.

      – “Ich weiß”, widersprach Alex nicht.

      – “Ich bin aus eigener Initiative gekommen. Wir müssen ernsthaft reden”.

      Linda warf den Kopf zurück und sah den Mann mit einem gewissen Interesse an. Es war sehr ungewöhnlich, solche Worte von ihm zu hören.

      – “Komm rein, wenn du schonmal da bist”, öffnete Linda die Haustür und machte eine charakteristische Geste mit der Hand.

      Alex stürmte bereitwillig in den Flur.

      Während er seinen Mantel auszog und aufhängte, versuchte Linda in einer dunklen Ecke eine kleine Sammlung zu verstecken: Die Sammlung bestand aus leeren Weinflaschen.

      Alex schien sie nicht bemerkt zu haben oder tat so, als hätte er sie nicht gesehen. Allerdings war es auch nicht mehr so wichtig.

      – “Du siehst nicht sehr gut aus”, bemerkte Alex schüchtern, als sie sich auf das Sofa im Wohnzimmer setzten.

      Linda kicherte. -“Nicht sehr gut, ist noch nett ausgedrückt” dachte sie für sich -“Versuch du mal eine Woche lang zu trinken und geh dann zum Spiegel…”

      – “Ich bin erkältet”, sagte sie. “Ich werde ja auch älter..”.

      Formal hat sie übrigens nicht einmal gelogen. Denn im Moment war sie krankgeschrieben. Dazu riet ihr Nina, welcher als erste aufgefallen war, dass ihre Kollegin etwas “außer Form” war. “Geh in die Klinik, bevor du gefeuert wirst”, befahl sie Linda. – “Ich sage dir gleich, was du dem Arzt sagen musst, damit er dich für eine Woche oder sogar zwei krankschreiben wird. Der Chef wird sicherlich nicht so zahm mit dir umgehen, wenn er dich so sieht. Ich würde dich auf jeden Fall sofort kündigen.”

      Linda gehorchte und erzählte dem Arzt alles mögliche und wurde daraufhin für ganze zehn Tage krankgeschrieben. Nun konnte sie beruhigt zum Alkoholmarkt gehen.

      Als Alex kam, hatte sie noch zwei ganze Tage “Krankenurlaub” übrig.

      – “Ja, komm schon, als wären wir schon alt”, widersprach Alex – “da sagst du aber was. Wenn ich…”

      – “Ich höre dir aufmerksam zu”, unterbrach ihn Linda. In ihrer Brust loderte bereits eine Hitze, die nur eine Flasche Wein löschen konnte, welche alleine im Küchenschrank stand.

      – “Wo soll ich nur anfangen…”.

      – “Am