Heinrich Seidel

Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande


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einrich Seidel

      REINHARD FLEMMINGS ABENTEUER ZU WASSER UND ZU LANDE

      I.

      Mein Freund Adolf Martens und ich können wohl sagen, dass wir unsere Knabenjahre an und in und auf dem Wasser verbracht haben. Von dieser Zeit würde wenig zu erzählen sein, wollte man den »See« aus ihr streichen, an dessen Ufern wir als kleine Knaben die bewunderungswürdigsten Hafen- und Kanalbauten ausführten, in dessen Gewässern wir später wie die Fischottern herumschwammen, in dessen stillen Buchten wir Barsche angelten und Krebse griffen. Einsame waldige Inseln lagen in ihm, selten nur von eines Menschen Fuss betreten und wohl geeignet, dort fremde Länder zu entdecken und die Schauer unberührter Einsamkeit zu empfinden; in seinen mächtigen Rohrbreiten nisteten die Wasservögel in ungezählten Scharen, und wenn ich an das Geknarre und Geschwätz der Rohrsänger denke, das diese raschelnden Wälder erfüllte, so gellt es mir noch heute in den Ohren.

      Das Kirchdorf Steinhusen, in dem wir wohnten, lag an einer Bucht dieses Sees; der Vater meines Freundes Adolf Martens war Gutsbesitzer und mein Vater, Eberhard Flemming, Pastor dort. Die grossen Gärten der beiden Häuser grenzten aneinander und an den See; wir beiden Knaben waren in einem Alter, genossen denselben Unterricht und waren darum naturgemäss Gespielen, um so mehr, als wir auch in vieler Hinsicht einerlei Meinungen und Liebhabereien hatten.

      Eine alte, morsche Jolle war vorhanden, die wir als unsern grössten Schatz betrachteten, obwohl sie Wasser zog und einer von uns mit der Wasserkelle fortwährend »lenzpumpen« musste, wenn wir sie benutzen wollten. Denn, obwohl der Rademacher sie alljährlich flickte, so gut er es verstand, und ob wir sie auch mit grossem Eifer und mit Werg und Teer kalfaterten, so war ihr die Unart, sich allmählich vollzutrinken, nicht mehr abzugewöhnen, wie das ja auch bei Menschen vorkommt, die sich an den Genuss gewisser Flüssigkeiten gewöhnt haben. Dass dieses Fahrzeug sach- und fachgemäss aufgetakelt gewesen wäre, konnte man auch nicht sagen, aber es hatte einen Mast und ein altes geflicktes Segel, und wenn man Geduld und Zeit hatte, konnte man überall damit hinkommen, und das genügte uns. Wir waren auch von seinen Vorzügen so überzeugt, dass wir es auf den pomphaften Namen Albatros getauft hatten, der, mit Ölfarbe hingemalt, an Bug und Heck prangte, obwohl die Bezeichnung Wasserschnecke den wirklichen Eigenschaften dieses alten Wrackes besser entsprochen haben würde als irgend eine andre.

      Eines Sonnabends in den grossen Ferien hatte sich in der Familie meines Freundes Adolf Martens ein starkes Bedürfnis nach Krebsen herausgestellt, denn zum Sonntag wurde Besuch aus der Stadt erwartet, der diese köstlichen Leckerbissen besonders schätzte, und so wurde uns der willkommene Auftrag, eine genügende Menge dieser wohlschmeckenden Panzerträger herbeizuschaffen. In einer etwa eine Meile entfernten, sehr steinreichen Seebucht, wo sie reichlichen Unterschlupf fanden, gab es eine Menge dieser Tiere, und dieses Ortes Gelegenheit wollten wir wahrnehmen. Es war ein sehr heisser Morgen, dessen Glut aber ein leichter Wind angenehm milderte. Dieser Wind hatte eine zweite vortreffliche Eigenschaft dadurch, dass er »halb« war zu unserm Kurs und uns des lästigen Gebrauches der Riemen für die Hin- und auch für die Rückfahrt überhob, vorausgesetzt, dass er anhielt oder seine Richtung nicht änderte. Wir machten deshalb, mit trefflichem Proviant von Herrn Martens »Mamselling« versehen, guter Hoffnungen voll, den Albatros klar und gingen unter Segel. Während wir nun bei dem leichten Winde im langsamen Schritt dahinsausten, wie man von dem Fuhrwerk meines Grossonkels zu sagen pflegte, der seine Pferde allzusehr schonte, sass Adolf Martens am Steuer, während ich von Zeit zu Zeit die Wasserkelle kräftig handhabte, denn der Albatros hatte wegen der grossen Sommerhitze einen mehr als gewöhnlichen Durst.

      Der langgestreckte, buchtenreiche See hatte in dieser Gegend in seinem mittleren Teile eine Landerhebung, die sich wohl dreiviertel Meilen weit erstreckte und sich an manchen Stellen nur als eine stellenweise mit Rohr bewachsene Untiefe dem Auge zeigte, an ihren höchsten Punkten aber in drei hintereinander liegenden Inseln über den Wasserspiegel hervorragte. Die erste dieser Inseln, die zu dem Gute des Herrn Martens gehörte, schätzten wir sehr, und obwohl sie Rosenwerder hiess, nannten wir sie nur die Robinsonsinsel, denn unser Traum war, dort einmal einige Wochen gleich Robinson und Freitag in der Einsamkeit zu leben. Zu diesem phantastischen Plane hatten wir aber die höhere Einwilligung bis jetzt leider nicht erreichen können. Die zweite Insel, an der unsre Fahrt vorüberging, war nur klein und bestand zum grossen Teil aus Wiesenland. Auf ihrem höchsten Punkte, der nur wenige Meter über den Wasserspiegel emporragte, lag unter einer uralten Weide zwischen allerlei Buschwerk eine halb verfallene, unbewohnte Fischerhütte. In deren Dachraum wurde das auf der Insel geworbene Heu aufbewahrt, um gelegentlich zu Kahn nach einem am benachbarten Ufer liegenden Dorfe abgeholt zu werden. Auch dieses kleine Eiland war ein beliebtes Ziel unsrer Fahrten, denn die alte, verlassene Hütte darauf, deren Thür schief hing, und deren kleine schwarze Fensterhöhlen wie tückische Augen unter einem uralten, riesenhaften Holunderbusch auf uns hinstarrten, hatte etwas höchst angenehm Schauerliches für uns. Wir nannten sie nur das Hexenhaus.

      Dann aber tauchte die grösste dieser drei Inseln vor uns auf, der Uhlenberg genannt, nach einem stattlichen Hügel, der dort emporragte. Sie hatte den Umfang eines sehr grossen Bauerngutes und war fast ganz mit Wald bedeckt. Das Innere dieser Insel kannten wir zu unserm Leidwesen nicht, obwohl es ungemein fabelhaft und merkwürdig sein sollte. Denn dort wohnte ein ganz richtiger Robinson, über den die wunderlichsten Geschichten in der Gegend verbreitet waren. Man war sich nicht ganz einig, ob er früher als Sklavenhändler oder Seeräuber oder in einem ähnlichen interessanten Berufszweig thätig gewesen sei; das aber erzählte man für gewiss, dass er mit seinem Schiffe an einer einsamen Insel im Weltmeer gescheitert und ausser ihm nur ein junges Mädchen gerettet worden sei. Dieses habe er geheiratet und dann mit seiner Frau jahrelang auf der einsamen Insel gelebt. Als dann ein Schiff in diese sonst gemiedene Gegend gekommen sei, seien sie mit einer wunderschönen Tochter wieder nach Europa zurückgekehrt. Dem Herrn Wohland habe aber der Robinson schon so in den Gliedern gesteckt, dass er absolut auf einer Insel habe leben müssen, wozu er denn in unserm See die Gelegenheit gefunden und sich den Uhlenberg käuflich erworben habe. Nun war er schon ein alter Mann und seine Frau bereits vor Jahren gestorben. Seine Tochter hatte sich an den Gutsbesitzer von Borna verheiratet, das auf einem Höhenzuge lag und dessen Kirche man so weit im Lande und auch von unserm Dorfe aus sehen konnte. Herr Wohland lebte auf der Insel ganz allein mit einem Diener und einer alten Wirtschafterin; man sagte aber, dass er sich an jedem Morgen, wenn die Luft klar sei, zu bestimmter Zeit von einem Turm aus durch Flaggensignale mit seiner Tochter unterhalte.

      Als wir an dieser Insel vorübersegelten, waren unsre Blicke mit einer gewissen sehnsüchtigen Spannung auf sie gerichtet, denn die Geheimnisse ihres Innern hätten wir gar zu gerne ergründet. Wäre nicht die kleine Landungsbrücke gewesen, an der ein Boot und einige Kähne lagen, und die weissen Warnungstafeln am Ufer, auf denen stand: »Das Betreten dieser Insel ist streng verboten!« so hätte man sie für gänzlich unbewohnt halten können, denn von einem Hause war an keiner Stelle etwas zu sehen. Und doch sollte ein wundervolles Schlösschen dort liegen, mit Turm, Erkern und Giebeln und ganz überrankt mit Rosen und wunderlichen Schlingpflanzen. Auch ein Robinsonhäuschen sollte es dort geben, aus rohen Steinblöcken und unbehauenen Baumstämmen erbaut, ganz wie es auf jener einsamen Ozeaninsel gewesen war, und ein Gewächshaus mit Pflanzen, deren Blumen aussahen wie Schmetterlinge oder Kolibris. Wir wären schon zufrieden gewesen, hätten wir nur einen von den Papageien und andern ausländischen Vögeln zu sehen bekommen, die dort in halber Freiheit leben und sogar in den alten hohlen Bäumen der Insel nisten sollten; allein nichts dergleichen zeigte sich, nicht einmal ein fremder, unbekannter Schrei war vernehmlich. Nur der Pirol oder Vogel Bülow, wie wir ihn nannten, rief unablässig aus den hohen Baumwipfeln, und zuweilen tönte der schrille Ruf eines Pfaues. Dass Papageien sich dort aufhielten, wussten wir ganz gewiss, denn sie verflogen sich zuweilen in die Umgegend, und einmal war sogar ein derartiges rot und grünes Fabelwesen in unsern Garten gekommen und hatte sich an unsern Herzkirschen delektiert. Der Papagei that sehr vertraut, und als ich ihm vorsichtig nachkletterte, um mich seiner zu bemächtigen, liess er mich ganz nahe kommen; im Augenblicke aber, da ich die Hand nach ihm ausstreckte, sagte er: »Spitzbub!« und hob sich davon. Ich war über diese wenig schmeichelhafte, aber treffende Anrede so erschrocken, dass ich beinahe vom Baum gefallen wäre.

      Als wir die Insel Uhlenberg hinter uns hatten, that sich zur Seite die von hochansteigendem Buchenwald umgebene Bucht auf, die das Ziel unsrer Fahrt war, und eine Viertelstunde später scharrte unser Kiel auf dem Sande des Ufers. Wir zogen die Jolle ans Land, machten