Heinrich Seidel

Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande


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und Mettwurst belegten Butterbroten alle Ehre anthaten, wozu wir unsern Durst aus dem kühlen Rinnsal löschten und uns dabei jenes Gefässes bedienten, das Diogenes in seiner letzten, bedürfnislosesten Periode zu verwenden pflegte. Nachdem wir dann eine kleine Entdeckungsreise in die Umgegend ausgeführt hatten, kehrten wir an den See zurück, zogen uns barfuss aus bis an den Hals und gingen an unsre Arbeit. Das sehr weit ausgedehnte flache Vorland des Sees war in dieser weiten Bucht mit einer Unzahl von grossen und kleinen Felsblöcken bestreut, die sich zum Teil über den Wasserspiegel erhoben, zum grösseren Teil aber, von der leicht bewegten Flut bedeckt, mit wechselnden Umrissen und veränderlicher Gestaltung aus dem wallenden Krystall hervorschimmerten. Unter diesen Steinen fanden die Krebse unzählige Schlupfwinkel, und da zu jener Zeit das grosse Sterben noch nicht durch die deutschen Gewässer gegangen war, so hatte fast jede dieser kleinen Höhlen auch ihren Bewohner. Bei schwülem Wetter gehen die Krebse gern spazieren, und so sahen wir auch bald deren auf dem weissen Sandgrunde herumwandern. Ein lustiger Anblick war es, wenn sie bei unserm Nahen mit kräftigen Schwanzschlägen sich eilig wie der Blitz rückwärts zu ihren Schlupfwinkeln flüchteten. Doch es half ihnen nichts, denn wir waren hinterher und holten sie hervor, ob sie sich noch so sehr sträubten und uns mit den kräftigen Scheren in die Finger zwickten. Die Jagd lohnte, und als wir das kahnförmige durchlöcherte Holzgefäss, das hinter unsrer Jolle schwamm, zur Hälfte gefüllt hatten, sagte Adolf Martens: »Junge di, das fluscht heut! Und was für Bengel sind dabei, Kerls wie kleine Hummern.«

      Aber unsre Zahl war noch nicht voll, und indem wir das schwimmende Gefäss mit uns zogen, begaben wir uns an eine andre Stelle der Seebucht in der Nähe des Rohrs, wo wir mächtige Fänge machten, so dass unser Gefäss bald fast gefüllt war und wir genug hatten. Als mein Freund Adolf dann in dem knietiefen Wasser noch eine Weile leise watete und sich umschaute, rief er plötzlich: »Horre, was ‚n Tier!« stürzte platschend davon und langte unter einen mächtigen Stein. »Ich hab‘ ihn, ich hab‘ ihn!« schrie er. »Au, au, das Untier hat mich! Der wehrt sich aber!« Nach einer Weile zog er ihn aber doch hervor, einen riesigen Krebs, der sich mit mächtiger Schere in seinen rechten Daumen verbissen hatte, und tanzte eine Weile teils vor Freude, teils vor Schmerz in dem platschenden Wasser herum. Dann fasste er den Krebs mit Daumen und Zeigefinger der Linken sanft um den Leib und hielt ihn mit beiden Händen unter Wasser, worauf das Tier, um zu entfliehen, den Daumen freigab. Wir bewunderten diesen Riesenkrebs noch eine Weile, während er klatschend mit dem Schwanze seinen Bauch peitschte und mit den gewaltigen Scheren fruchtlos in die Luft schnitt, und thaten ihn dann zu den übrigen.

      »Den holt sich morgen Onkel Scholz,« meinte Adolf. »Weisst du, dann sagt er: ,Bei Krebsen ist es erlaubt, nach dem grössten zu greifen.‘ Und steht auf, so lang er ist, und sieht sich die Schüssel von oben an. Und fährt zu wie ein Stossvogel und hat den grössten gefasst, der in der Schüssel ist.« Wir hatten in unserm Jagdeifer nicht darauf geachtet, dass unterdess der Wind sich gelegt hatte und eine brütende Stille eingetreten war. Plötzlich schwand der Sonnenschein hinweg, und der See lag in einem seltsamen, bleifarbigen Lichte da, während das gegenüberliegende ferne Ufer noch in sonnigem Grün glänzte. Über die Buchenwipfel sahen die schimmernden weissen Ränder eines mächtigen Wolkengebirges hervor.

      »Da kommt ja wohl ein Wetter auf?« sagte Adolf.

      Eine ferne, tiefe, grollende Stimme murrte ganz sanft hinter den Bergen wie zur Bejahung dieser Frage.

      »Nun rasch nach Hause!« rief mein Freund. »Wenn das nur gut geht!« Wir banden unser Gefäss mit Krebsen an die Jolle, stürzten an Land und fuhren so schnell wir konnten in unsre Kleider. Dann griffen wir zu den Riemen und ruderten eilig in den See hinaus. Ein finsteres, lauersames Schweigen hatte sich über seine glatte Fläche gebreitet, und das sonnige Grün des gegenüberliegenden Ufers war ausgelöscht. Je weiter wir hinauskamen, je höher stieg das Wolkengebirge mit den schimmernden Rändern hinter der dunkelgrünen Buchenwand empor, und sein dunkelblaugrauer Kern kam zum Vorschein, während aus ihm ein stetes Murmeln und Rollen unheimlich in die bange Stille tönte.

      Dass wir mit dem Leichtsinn unsrer dreizehn Jahre uns unter diesen Umständen auf den See hinaus begaben, war sehr thöricht; vernünftig wäre es gewesen, am Lande das Wetter abzuwarten, doch als uns diese Erkenntnis kam, war es schon zu spät, denn mit einem Male entstand ein gewaltiges Rauschen und Sausen in den Wipfeln des schon ziemlich fernen Buchenwaldes, von dem Rande des düsteren Wolkengebirges löste sich ein weisslicher Dunst, der mit rasender Schnelligkeit den Himmel überzog, und dann, wie mit tausend kleinen Füssen das Wasser kräuselnd, sauste die Gewitterböe heran und stürzte sich schwer in das Segel, so dass die alte Jolle auf der Seite lag und einiges Wasser übernahm. Aber Adolf Martens hatte gut auf das Segel gepasst, und während ich nun wie wahnsinnig das Wasser ausschöpfte, sausten wir dahin in einem Tempo, wie wir das bei dem gebrechlichen Fahrzeug noch nicht erlebt hatten, indes der Regen in Strömen auf uns niederklatschte und das gewaltige Knattern und Rollen des Donners endlos war.

      »Junge di, wie das kitscht,« sagte Adolf Martens, »solche Fahrt hat der Albatros sein Lebtag noch nicht gemacht. Wenn dies nur gut geht. Kommt nun noch ‚ne tollere Böe, dann ist der Teufel los! Ich glaube, das beste ist, wir laufen beim Uhlenberg auf den Strand!«

      Als wir nun unsre Blicke auf diese Insel richteten, sahen wir durch den Regenschleier zwei Männer, die auf der Landungsbrücke standen und Zeichen machten und uns offenbar etwas zuriefen, denn sie legten von Zeit zu Zeit die Hände an den Mund. Wir verstanden aber nicht, was sie wollten. Der Sturm hatte etwas nachgelassen, da wir in den Überwind eines sehr hohen bewaldeten Uferhügels gekommen waren, und wir fingen schon an, Mut zu schöpfen, zumal das Gewitter auf der Höhe war und Blitz und Schlag sich in kurzem Zeitraume folgten; da wendete ich plötzlich meinen Blick nach der Windseite, und in demselben Augenblick rief ich auch schon: »Adolf, pass auf! die Böe, die Böe!«

      Der stattliche Hügel, der uns bis dahin einigen Schutz gewährt hatte, fiel nun ziemlich steil ab, und dadurch that sich am Ufer eine ziemlich breite Schlucht auf, die dem Winde ungehinderten Durchgang gewährte. Dergleichen Bildungen, die sich häufig finden, sind es, die das Segeln auf den meist langgestreckten, aber wenig breiten norddeutschen Seen so gefährlich machen und bei böigem Wetter die stete Aufmerksamkeit des Seglers erfordern. Ein neuer Vorstoss des Windes kam nun mit ungeschwächter Kraft durch diese Lücke dahergesaust, man sah an der kurz gekräuselten See, wie er gelaufen kam, und plötzlich war er da. Meines Freundes Segelkunst war zu Ende. Der Albatros legte sich ganz auf die Seite, nahm eine‘ ungeheure See über, schüttete uns ganz sacht aus und kenterte, so gründlich wie ein Boot nur kentern kann; er sah sich den Himmel mit dem Kiel an.

      Zum Glück konnten wir, wie schon gesagt, schwimmen wie die Fischottern, hatten alsbald jeder einen der treibenden Riemen erfasst und schnaubten und pusteten ziemlich in dem tosenden Wirrwarr, wo uns alle Augenblicke eine der schaumgekrönten Wellen über die Köpfe hinwegging. »Junge di, was ‚n Hoppei!« sagte Adolf Martens.

      Schneller, als man es sagen kann, waren die beiden Männer auf der Landungsbrücke, Herr Wohland und sein Diener, in ein bereitliegendes Boot gesprungen und trieben es nun mit starken und kunstgerechten Ruderschlägen durch Schaum und Gischt und Wellengewoge auf uns zu. Es dauerte nicht lange, so wurden wir von kräftigen Armen in das Boot gezogen und unsre beiden Riemen, die wir natürlich nicht fahren lassen wollten, ebenfalls geborgen »Unsre Jolle und unsre Krebse!« rief Adolf, indem er dem kieloben davontreibenden Fahrzeuge nachsah. Der Diener des Herrn Wohland stiess ein kurzes, hässliches Lachen aus, und um seinen bartlosen Mund zog ein Grinsen. Er starrte mit kleinen grünlichen Augen, die tief unter gelblichen Augenbrauenwülsten hervorglimmerten, auf uns hin, spuckte mit grosser Virtuosität einen gelblich gefärbten Strahl seitwärts in den See, rollte mit der Zunge etwas Klumpiges, das er in seinen Backentaschen trug, an einen andern Ort und knurrte dann: »Dei Jöll ward woll einerwegt andrieben. Un von wegen dei Krewt, dor freut Jug man, dat Jug dei Krewt nich hebben!«

      Dies schien er für einen trefflichen Witz zu halten, denn er lachte noch einmal in seiner fatalen Weise, und ich gewann die Überzeugung, dieser von ihm angedeutete Ausgang unsers Abenteuers wäre seinem Herzen weit sympathischer gewesen.

      Dieser Mensch zog meine Augen mit dämonischer Kraft auf sich, und ich konnte nicht von ihm wegsehen, obwohl ich mich fürchtete, seinem Blick zu begegnen. Er trug weder Mütze noch Hut, und seine graugelblichen Haare standen ihm buschig um den