Heinrich Seidel

Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande


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mit Herrn Wohland zum See hinunter, und Driebenkiel folgte uns. Dort fanden wir einen Kahn bereit, an den unsre Jolle angehängt war. Das Leck war mit Lappen verstopft, und wir sahen mit Befriedigung, dass auch unser schwimmender Behälter mit Krebsen noch vorhanden war.

      Herr Wohland reichte uns die Hand, und wir stiegen ein. Driebenkiel griff zu den Riemen, stiess ab und trieb den Kahn mit langsamen, kräftigen Ruderschlägen in den See.

      Als wir an dem letzten Vorsprung des Uhlenberges vorüber waren, wälzte Driebenkiel das Klumpige, das die eine seiner Backentaschen stets zu beherbergen schien, auf die andre Seite, schoss seitwärts mit bemerkenswerter Kunstfertigkeit einen langen gelben Strahl in den See und knurrte dann zwischen den schmalen Lippen seines breiten Mundes heraus: »Versupen harrt ji möst!«

      Dann betrachtete er uns eine Weile mit der feindseligen Miene eines Menschen, den man um seine besten Hoffnungen betrogen hat, und wiederholte seine Meinung:

      »Versupen!«

      Wir wussten nicht recht, was wir auf diese von recht mangelhaftem Wohlwollen gegen uns erfüllte Ansicht erwidern sollten, und schwiegen deshalb. Er aber fuhr fort:

      »In so ‚n kaputte Nätschell, in so ‚n Seelenverköper bi‘t Gewitter ruttausegeln, dat is jo utverschamt. Dei oll Jöll is jo krank dörch un dörch, dat is jo ‚n Kräpel, dei hett jo so vel Flickens as ‚n Snurrer sin Rock, wo dei Flickens all werre flickt sünd. Wenn ji man nich so ‚n Unkrut wirt, denn wirt ji ok all lang‘ versapen. – Wenn Herr Wohland jug nu nich seihn harr ut sie Kiekfinster, un wenn wi nich kamen wiren, wo wirt denn? Hä?«

      »Wie könt doch swemmen!« wagte Adolf zu antworten.

      »Swemmen!« sagte Driebenkiel mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung, »bi sonne Bülgen un so wiet von Land un mit Tüg. Dor wir jug woll bald dei Pust utgahn. Und denn runne na dei Aals und na dei Krewt! As ick noch bi Sw‘rin deinen dehr, dor harr sick mal eins ein versöpt und harr sick dat Tüg vull Stein stoppt, wil dat hei nich wedder hochkamen wull, un dorüm hebben sei em ok lang nich funnen. As sei em nu äwer doch finnen dehren, dor seet hei ganz vull armlange Aals.« Driebenkiel schwieg, und um seinen Mund lag ein schmunzelnder Zug, als ergötze er seine Phantasie mit der Ausmalung dieses anmutigen Bildes. Dann grinste er plötzlich ganz freundlich und fragte mit einem gewissen weichen Wohlwollen: »Na, Jungs, wo hett jug denn dei sure Aal smeckt?«

      Ich sah, dass Adolf, der, wie sich das oft gerade bei sehr gesunden und kräftigen Naturen findet, in diesem Punkte gar nichts vertragen konnte, schon anfing, höchst merkwürdige Gesichter zu schneiden, da wurden wir glücklich von der Weiterführung dieser anmutigen Unterhaltung dadurch befreit, dass wir die Robinsonsinsel passiert hatten und ich nun auf dem Stege, der von unserm Garten aus in den See lief, Menschen gewahr wurde, die scheinbar mit grosser Spannung nach uns ausblickten. Mit meinen scharfen Augen erkannte ich die Personen.

      »Adolf,« rief ich. »da auf unserm Steg, da sind deine Eltern und meine auch, und mein Onkel Philipp und deine Tante Malchen! Die werden sich doch wohl nicht geängstigt haben?!«

      »Das werden sie doch nicht!« meinte Adolf.

      »Was haben sie denn aber dort zu stehen?« fragte ich.

      Der Gedanke, dass man Sorge um uns haben könne, war uns in der erlebnisreichen Zeit, die wir hinter uns hatten, auch nicht ein einziges Mal gekommen, nun aber erfüllte uns plötzlich die Befürchtung, dass diese kleine Menschenwolke, die sich dort angesammelt hatte, ein neues Gewitter verdriesslicher Art für uns bedeuten möchte.

      »Du, meinst du, dass es was giebt?« fragte Adolf.

      Ich wusste darauf nicht zu antworten allein Driebenkiel ergriff diese Thatsache mit besonderem Vergnügen, um daran seine sehr spartanischen Ansichten über Erziehung zu knüpfen.

      »Wenn ick jug Vadder wir,« sagte er mit schmunzelndem Ingrimm, »denn gew dat nu tau un tau vel Schacht. Aewerlegt un stramm halt, un denn mit so ‚n rechten swubsigeh Ruhrstock so väl hinnen up, as dor hacken willen. Un denn inspunnt un tau‘n Vesperbrot nix tau äten un denn wedder Schacht!«

      Während er nun mit einer wahren Henkerphantasie solche Bilder weiter ausmalte, in denen sich diese pikante Abwechslung von »Schacht« un »nix tau äten« über mehrere Tage hin ausdehnte, waren wir schon so nahe gekommen, dass wir die Gesichter unterscheiden konnten, und da sagten uns unsre physiognomischen Kenntnisse, dass nichts Ernstliches zu befürchten sei, was unsre Herzen von schwerer Sorge entlastete.

      Wir wurden mit einer wirren Menge von Fragen überschüttet und hatten genug zu thun, um alle zu beantworten und die grossartige Fülle der überstandenen Abenteuer ins rechte Licht zu setzen. Endlich erinnerte man sich an Driebenkiel, der mit missvergnügtem Grinsen den höchst unangemessenen Empfang der beiden verlorenen Söhne beobachtet hatte, und er wurde aufgefordert, ins Haus zu kommen, um mit dem üblichen »Snapps un Bodderbrot« der Botengänger bewirtet zu werden. Ausserdem drückte ihm jeder der Väter einen Thaler in die Hand, was sein vergrätztes Gemüt mit einigem Sonnenschein verklärte. Wir erfuhren später, dass er einen Teil dieses unvermuteten Kapitalsüberflusses in unserm Dorfe angelegt habe, indem er sich vor seiner Rückkehr im Kruge eine »Pottbuddel« Aquavit zum Troste für einsame Stunden erstanden hatte. Da er als ein nachdenklicher und gewissenhafter Mann an dem Herausprobieren der geeigneten Sorte in diesem selben Wirtshause anderthalb Stunden lang fleissig und mit Sachkenntnis gearbeitet hatte, so verliess er unsern Ort, wie ich denke, in angeregterer Stimmung, als er ihn betreten hatte. Wir sahen ihn am späten Nachmittag über den spiegelblanken See nach Hause rudern und waren ein wenig verwundert über den rauhen und furchtbaren Gesang, mit dem er abfuhr, dessen Kehrreim:

      »Wat geiht denn di dat an —

      Du büst kein Arbeitsmann!«

      er mit einem Ausdruck wilder Auflehnung gegen Gesetz und Recht in die schweigende Natur hinausbrüllte. Unser Staunen erregten auch die sonderbaren Kurse, die er einschlug, um den Ort seiner Bestimmung zu erreichen, da solche uns manchmal weder zielbewusst noch zweckmässig erscheinen wollten. Nachdem er sich dann einmal im Rohr und einmal auf einer Sandbank festgefahren hatte, verschwand er endlich hinter einer Waldecke, und wir glaubten, es noch einmal ganz leise herübertönen zu hören:

      »Wat geiht denn di dat an —

      Du büst kein Arbeitsmann!«

      Wir aber waren die Helden des Tages und sonnten uns im Glanze unsrer glücklich verlaufenen Abenteuer. Als am nächsten Tage zu Herrn Martens der Besuch aus der Stadt kam, durften wir an dem Abendessen teilnehmen und mussten noch einmal von allem berichten. Als nun aber die Krebse, die zu den ganzen Erlebnissen die Veranlassung gegeben hatten, aufgetragen wurden und Onkel Scholz sich wirklich erhob, so lang er war, und mit den Worten: »Bei Krebsen ist es erlaubt, nach dem grössten zu greifen!« mit der Sicherheit eines Stossvogels unsern Freund von gestern beim Wickel hatte, da explodierte in uns eine so ungeheure Lachlust, dass wir kaum wieder zu uns kommen konnten und sicher vom Tisch geschickt worden wären, hätte nicht Onkel Scholz, der uns wegen der Krebse wohlwollte, Fürsprache eingelegt. Als dann bald darauf seine Nachbarin, Tante Malchen, zum dritten Male durch ihr gefülltes Glas aufs höchste überrascht und in Schrecken gesetzt wurde, beschränkten wir uns darauf, uns gegenseitig furchtbar in die Beine zu kneifen, um unsre gewaltig emporsteigende Lachlust im Keime zu ersticken.

      II.

      Wer sich am meisten für unsre Erlebnisse auf der Insel Uhlenberg interessierte, war »isern Hinrich«, unser Gespiele aus dem Dorfe, der, wenn es seine Zeit zuliess, in unserm Bunde der dritte zu sein pflegte. Da er ein Sohn des Krügers Trilk war, wo Driebenkiel seine Einkäufe gemacht hatte, so waren ihm unsre Abenteuer schon bekannt, allerdings nur in jener Form, die sie in Driebenkiels von Wohlwollen nicht beeinflussten Darstellung angenommen hatten. Mit dem Massstabe von Driebenkiels Entrüstung gemessen, mussten wir ganz ungewöhnlich heldenhafte Thaten vollbracht haben, und da isern Hinrich für das Heldenhafte schwärmte und schon Wilddiebe für Heroen, Strassenräuber aber gar für Halbgötter erachtete, so brannte er darauf, Näheres zu erfahren, zumal auch auf ihn die Geheimnisse des Uhlenberges eine dämonische Anziehungskraft ausübten. Er traf uns, als wir nachdenklich unsern schwer erkrankten Albatros betrachteten, der sich über Nacht so voll Wasser gesogen