Heinrich Seidel

Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande


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un da wär‘ ich zuletzt beinah doch noch in‘n See gefallen, wenn Driebenkiel nich so furchtbar staark wär‘. Igittegittegitt, ich gräs‘ mir ümmer noch, wenn ich da bloss an denk‘, denn wenn ich erst ins Wasser lieg‘ – wer soll mir da woll wieder ‚rauskriegen?«

      Wir hielten dies für eine wohlberechtigte Frage, was wir durch Kopfnicken andeuteten, und da wir unterdes die Eierkuchen bewältigt hatten, »gingen wir noch ‚n bischen bei den sauren Aal un bei das andre«. Dies sah Mamsell Kallmorgen mit Wohlwollen, nickte beifällig und liess das Bächlein ihrer Rede weiter rauschen:

      »Einsam is es hier ja man, szu un szu einsam, kein Mensch, mit den ‚n Wort snacken kann. Gar un gar szu gärn in all die Zeit hätt‘ ich ja mein‘ Swester besucht, die an den Holländer in Bibow verheurat‘t is, dass ich mir mal wieder mit ihr aussnacken könnt‘, aber denn käm‘ ümmer wieder die Angst vor das Wasser, un dass ich dann wieder in den Kahn muss. Ich kann hier ja gar nich klagen, un der Salehr is ja so hoch, so viel kriegt‘ ich auf keine andre Stell‘, wenn ich mir man bloss an dem Einsamen gewöhnen könn‘t! Wenn nich alle Jahr‘ Herrn Wohland sein‘ Tochter mit ihr klein süsse Lana auf vier Wochen hier her kam‘, dann hielt‘ ich‘s jawoll auch gar nich aus. Glaubt ihr woll, dass Herr Wohland mal‘n Wort mit mir spricht? Ne, fällt ihm gar nich ein. Bloss mal, wenn‘s gar nich anders geht, so ruff, buff un mit Handweisen. Das muss er sich woll so auf seine einsame Insel angewöhnt haben. Aber mit seine Papageien, da kann er ümmerszu snacken. Was hat er denn nu bloss an das unvernünftige Viehzeug? Un kosten ein gräsiges Geld. Vor den einen hat er sechsundreissig Daler gegeben in Hamburg, bloss weil da man einen von da war un weil noch niemals ein solchen nach Hamburg gekommen war. Na, un Driebenkiel, wenn ich mit den mal anfang‘ un ‚n bischen mit ihm snacken will, denn grient er ümmer so veniensch, un ich trau‘ ihn auch nich, er snüffelt, überall snüffelt er rum, wo ihn gar nichs verloren hat. Mir wundert man bloss, dass unsen grossen Kettenhund Wasser ihm so gern leiden mag. Un denn Stina! Stina is ‚ne unbedarfte Dirn, was soll ich mit die gross snacken? Un Respekt muss auch sein, un in acht nehmen muss ‚n sich ja auch, sonst spielen einen sonne Dirns gleich auffe Nas‘. Je, un da könnt ihr euch woll denken, wo ich mir freu‘, dass ich mir mal mit so nette un artige Jungs bischen unterhalten kann.«

      Man musste sagen, genügsam war die alte Dame, denn bis jetzt hatte keiner von uns den Mund anders aufgethan, als zum Essen. Aber auch hierzu erlahmten allmählich unsre Kräfte, und wir liessen ermattet die Waffen sinken. Mamsell Kallmorgen wollte uns eben mit Beredsamkeit zu neuen Thaten anfeuern, da horchte sie plötzlich auf ein Geräusch, das draussen vernehmlich ward.

      »Ne aber!« rief sie, »kaum, dass man den Rücken wend‘t! Da jachtert Driebenkiel all wieder mit Stina ‚rum. So‘n alten Kerl, un noch ümmer hinter die Dirns her un süht doch aus wie so ‚n richtigen Affe. Un schämt sich gar nich mal, so ‚n Kerl. Un Stina, anstatts dass sie ihm einen ans Maul giebt, wie sich das hört, die macht das jawoll noch Spass. Ja, mit die Dirns heutszutage – un mit die Mannsleut‘ erst recht! Na ich sag‘ man!«

      Und damit dampfte sie unter dem Hochdruck sittlicher Entrüstung zur Thür hinaus.

      Wir standen nun auf, und da wir nichts Besseres zu thun hatten, so sahen wir uns im Zimmer um. Wir schienen uns in Herrn Wohlands Studierstube zu befinden, die zugleich eine Art von Museum darstellte. An den Wänden standen viele Glasschränke, die zum Teil Bücher enthielten, meist Reisebeschreibungen und naturwissenschaftliche Werke, zum grössten Teil aber waren sie mit Naturalien und Seltsamkeiten angefüllt, alles weitläufig und mit Platzverschwendung aufgestellt, so dass man jegliches Ding von aussen sehen konnte. Wir konnten solche ungeahnten Schätze nicht ohne Staunen und einige stille Besitzesgier betrachten. Da waren ganze Schränke angefüllt mit den herrlichsten und wunderbarsten Muscheln an Formen und Farben, die wir nie für möglich gehalten hätten. Sie schimmerten in Porzellan- und Perlmutterglanz und leuchteten mit den Farben der Morgenröte und sanftem Purpurbraun. Stattliche Erzstufen flimmerten mit metallischem Glanz, und von den unzähligen Flächen und Kanten der verschiedenfarbigen Krystalldrusen strahlte wechselndes Licht. Dann wieder war da ein Schrank mit Vogeleiern und einer mit Schmetterlingen. Davon glaubten wir etwas zu verstehen, denn Adolf hatte eine ganz stattliche Eiersammlung und ich zwei Kasten mit selbstgefangenen Schmetterlingen; allein von den Eiern konnte mein Freund kein einziges benennen, und ich starrte fast geblendet auf die glänzende Pracht dieser geflügelten Luftjuwelen. Dergleichen flog nicht in Steinhusen und Umgegend, und mein grösster Stolz, die beiden Schillerfalter, die ich im Warnitzer Holz gefangen hatte, verblassten vor diesem schimmernden Glanz zu nichts. Insonderheit waren da Schmetterlinge, die hatten eine unscheinbare Zeichnung auf dem Flügel, die von oben einfach schwarz erschien. Sah man diese Zeichnung aber in schrägem Lichte und wechselte den Ort, so strahlte sie bald in feurigem Rot, dann in leuchtendem Grün, durchdringendem Blau und sonnigem Goldgelb, wie es kein Diamant vermag. Das erschien mir wie ein Wunder ohnegleichen. Die Seltsamkeiten in andern Schränken, Arbeiten aus Porzellan, Glas, Elfenbein, Bernstein, Malachit, Onyx und wer weiss was für Stoffen, zogen uns weniger an, doch schenkten wir den bunten und wunderlichen ausgestopften Vögeln, die auf den Schränken standen, einige Blicke. Von Bildern enthielt der grosse Raum nur zwei Ölgemälde. Das eine stellte ein Barkschiff unter vollen Segeln dar, die Anna Sophie aus Rostock, das andre zeigte eine sanftblickende Frau, an die sich ein schönes zwölfjähriges Mädchen schmiegte. Wir waren so betäubt und berauscht von der Fülle der Schätze, die dieses Zimmer darbot, dass wir, von wechselnden Eindrücken fast ermüdet, an die Fenster traten, wo in einem stattlichen Erker, der durch den Unterbau des Turmes gebildet wurde, der Schreibtisch des Herrn Wohland stand. Die Fenster reichten fast bis auf den Boden, und man sah von hier auf den abfallenden Rasenplatz und den Waldgürtel, der ihn umgab. Wir bemerkten, was uns vorher entgangen war: dass überall Durchhaue im Walde, von hohen Wipfeln überwölbt, sternförmig von diesem Punkte ausliefen, so dass man an den verschiedensten Stellen einen Ausblick auf den See hatte, auch auf die Bucht, in der wir vorhin dem Krebsfang obgelegen hatten. In einem dieser Ausschnitte sahen wir gerade einen Fischerkahn vorüberziehen, der langsam wieder hinter dem Baumwerk verschwand. Über den Wipfeln sah man in weiter Ferne den blau dämmernden Höhenzug, auf dem die Kirche von Borna, das Wahrzeichen der Gegend, sich deutlich abhob. Neben der Schreibmappe des Herrn Wohland stand ein Doppelfernrohr, mit dem wohl der alte Einsiedler die Welt aus seinem Schlupfwinkel zu betrachten pflegte.

      In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, und Stina trat herein, wie es uns schien mit einem etwas roten Kopfe. Sie sagte: »Das Zeug von die jungen Herrn wär‘ nu trocken, un wenn die jungen Herrn sich nu anziehen wollten, in die Schlafstube wär‘ allens prat. Un Driebenkiel hätt‘ auch das Boot von die jungen Herrn wieder flott gemacht un sollt Ihnen nu in unser Boot nach Haus fahren, denn mit die jungen Herrn ihr eigen Boot da ginge das nicht, das hätte eine Leck.«

      Damit öffnete sie eine andre Thür, die, wie wir jetzt sahen, in das Schlafzimmer führte, das uns vorhin zum Aufenthalt gedient hatte. Wir zogen uns um und wurden dann von Herrn Wohland abgeholt, der, wortkarg wie immer, nur mit einer Handbewegung uns aufforderte, ihm zu folgen. Wir verliessen das Haus diesmal durch einen andern Eingang als vorhin und kamen auf einen Hof, der die Küchen- und Wirtschaftsgebäude von dem eigentlichen Hause trennte. Hier wurden wir begrüsst durch das wütende Gebell eines ungeheuern, wild und blutgierig aussehenden Hundes, der, vor seiner Hütte angekettet, unter schrecklichem Gerassel wie ein wahnsinniger Teufel hin und her tanzte und sich das Ansehen gab, er würde uns alle beide, jeglichen auf einen Happs, aufessen, könnte er nur von der ekligen Kette loskommen. Da war es nun merkwürdig, zu sehen, wie, als Driebenkiel mit einer Futterschüssel aus der Küche trat und auf den Hund zuging, sich dessen wütige Wildheit sofort in Sanftmut verwandelte, wie er jenem die mächtigen Pranken auf die Schultern legte und ihm mit seinem grossen blutroten Zungenlappen das Gesicht zu lecken versuchte. Driebenkiel aber drückte den Hund nieder zu seiner Schüssel, und dieser begann zu fressen, nicht ohne uns zuvor von der Seite ein böses, misstrauisches Knurren zuzusenden. In der Küchenthür, sie ganz ausfüllend, so dass nur Stinas hübsches Köpfchen über die eine Schulter hinweg sichtbar wurde, stand in der ganzen überwältigenden Pracht ihrer rundlichen Leibesfülle Mamsell Kallmorgen. Sie nickte uns zu und winkte mit ihrer fetten Hand und rief: »Na, adjö Jungs un kommt gut nach Haus! Un du, Reinhard, grüss auch dein süss‘ Mudding von mich. Un auf das alte Wasser, da geht mich man nich wieder ‚rauf. Da hat Moses keine Balken