Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen IV


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fordere es von dir!«

      »So wisse: Du stehst als Personifikation deines Lebens, von dem du jetzt erzählen willst, vor mir. Es ist ein individuelles Leben. Deine Ansichten sind die Ergebnisse desselben. Ich habe sie also als individuelle Meinungen zu betrachten, nicht aber als Gottesbotschaften, die für mich maßgebend sein sollen. Ich bin, wie ich hoffe, ein vernünftiger Mensch. Als solcher habe ich nicht nur den ernsten Fleiß zu achten, mit welchem du nach Erkenntnis strebtest, sondern auch die Früchte dieses Fleißes, die du so aufrichtig bist, mir vorzulegen. Ich weiß, daß du mich nicht zwingen willst, sie zu genießen, und habe also nicht den geringsten Grund zu einem Lobe oder Tadel. Sprich also ruhig weiter!«

      Wahrscheinlich hatte er eine andere Antwort erwartet. Er sagte es aber nicht, sondern fuhr gleich fort:

      »Hast du vielleicht einen solchen angeblich von Gott gepachteten Himmel kennen gelernt? Ich nicht nur mehrere, sondern viele. Wie sonderbar, daß sie einander alle so außerordentlich ähnlich sind! Und weißt du, was so ein allgewaltiger Vertreter Gottes für den Pacht bezahlt? Was von dem ihm gebrachten Weihrauche übrig bleibt, das schickt er dem Herrn hinauf. Weiter nichts! Und nachdem er sämtliche Verneigungen und Verbeugungen für sich hingenommen hat, ist er so gütig, nun auch seinerseits Gott einen Knicks zu machen. Weiter nichts! Denn dieser Gott ist so ganz ewige Liebe, Gnade, Geduld und Gutmütigkeit, daß der Usurpator seines Himmels gar nicht an einen Tag der Abrechnung zu denken hat, an welchem er sicher der erste aller derer ist, die hinausgeworfen werden! Da wirst du mich fragen, wie es sich mit der ewigen Gerechtigkeit verträgt, solchen übermütigen Himmelspächter so lange, lange Zeit im Paradiese sitzen zu lassen. Mein Freund, es ist ja gar nicht der Himmel, in dem er sich festgesetzt hat, sondern jene einstige, herrliche, nun aber zur Wüste gewordene Gedankenwelt, in welcher jedes folgende Kameel genau in die Stapfen des vorangehenden zu treten hat, wenn es nicht von dem Führer gezwungen werden will, auf die Vorderbeine zu fallen, um die Peitsche zu bekommen.«

      Ich wollte hier eine berichtigende oder wenigstens mildernde Bemerkung machen. Er wies sie aber durch eine rasche und energische Bewegung seiner Hand zurück und sprach weiter:

      »Ich weiß alles, was du sagen willst, alles! Du hast gemeint, ich wolle als Personifikation meines Lebens vor dir stehen, als Individuum. Nun lasse es mich auch sein! Ich hatte die Absicht, anders zu sprechen. Ich wollte mit der Stimme der Menschheit reden. Du aber hast mich darauf gebracht, als Einzelwesen mich jener Zunge zu bedienen, mit welcher mich Haß und Neid aus den Straßen des Lebens hierher in diese meine Einsamkeit verwiesen. Ich danke dir, daß du mir dies ermöglicht hast! Ich werde nicht die Unwahrheit sagen, auch nicht übertreiben, sondern alles bei dem rechten Namen nennen. Aber fordere nicht von mir, zu schweigen oder gar zu beschönigen und mißzuloben, wo man gegen mich nicht einmal Nachsicht hatte. Der Gemarterte hat keine andern Töne als die, welche ihm der Schmerz erpreßt. Und wenn ich jetzt in der Erinnerung von meinen Bergen aus zurück nach jenen Gegenden steige, in denen ich die größten Qualen erduldete, die ein Mensch erleiden kann, so wundere dich nicht, daß ich nicht im Tone eines Mannes erzähle, der seine Feinde vergessen hat!«

      »Ich würde es dennoch thun!« warf ich ein.

      »Du? Wirklich?«

      »Ja.«

      »Ich glaube es dir. Christus sprach ja: Liebet eure Feinde! Aber er war der Gottmensch, und du hast mich auf das Individuum, auf meine spezielle Persönlichkeit zurückgeführt, und so soll sie es sein, welche ich jetzt sprechen lasse. Ich fordere dich auf, dich als die Gesamtheit meiner Feinde zu betrachten. Zu ihr will ich weiter reden, nicht zu dir, dem das Leben nur Sonnenschein und die Menschheit gewiß nur freundschaftliche Anerkennung gegeben hat!«

      Da war ich still! Ich sagte kein Wort, kein einziges! Aber mein Gesicht schien nicht ganz so verschwiegen zu sein, wie ich es wünschte, denn er fragte:

      »Was hast du für ein eigenartiges Lächeln, Effendi? Gilt es mir?«

      »Nein. Bitte, sprich weiter! Du sagtest, daß du viele jener gepachteten Himmel kennen gelernt habest?«

      »Ja. Indem ich dir einen von ihnen beschreibe, lernst du mit ihm auch alle anderen kennen. Also höre! Ich kam auf meinem Pferde Imtichat[2] vom Dschebel Din[3] herab in ebenliegendes Menschenland. Da kehrte ich ein und erfuhr, daß hier der Weg zum nahen Paradiese sei. Ich ließ mir diesen Weg zeigen und folgte ihm. Die Leute, welche mir begegneten, schienen alle sehr fromm zu sein. Sie hielten die Hände gefaltet und schlugen die Augen ganz anders auf, als man für gewöhnlich thut. Bewohnte Zelte und Häuser gab es gar nicht mehr, dafür aber lauter Gebäude, welche Allah geweiht waren, wenn auch unter anderen Namen. Ich sah Moscheen neben hochfensterigen Bauten, an denen Türme standen, indische Tempel und chinesische Pagoden, malayische Götterhäuser und amerikanische Medizinzelte, hottentottische Götzenhütten und die in die Erde gegrabenen Andachtslöcher der Australen. Viele, viele Menschen strömten vor mir her. Sie alle wollten in den Himmel. Aber fast ebenso viele kamen traurig zurück, weil sie nicht hineingedurft hatten. Ich fragte sie, warum, und erfuhr, daß sie nicht im Besitze von Erlaubnisscheinen gewesen seien. Da ritt ich weiter. Das Gewühl wurde immer größer, bis ich das Thor des Himmels vor mir sah. Da hielt die Menge an, weil sich quer über den Weg das Chabl el Milal[4] spannte. Ich war nicht da, um schon jetzt in den Himmel zu kommen und dort zu bleiben, sondern nur, um ihn zu prüfen. Darum ging mich dieses Seil nichts an. Ich spornte mein Pferd, und es sprang darüber weg. Nun befand ich mich auf dem freien Platze vor dem Thore des Paradieses. An der sehr, sehr hohen Mauer standen herrliche Palmen, Bäume und Sträucher, welche prächtig zu blühen schienen. Aber da ich keinen Duft bemerkte, schaute ich schärfer hin, und da sah ich denn, daß es keine wirklichen, sondern nur gemalte waren. Nur ein einziger von allen war ein wirklicher Baum, aber ein höchst sonderbarer. Er war sehr niedrig, doch unendlich breit. Blüten und Früchte trug er nicht, aber Tausende von eigentümlichen Blättern, welche die Form menschlicher Köpfe hatten, die lebendig zu sein schienen, denn sie bewegten die Augen immerfort, wobei sie mit den nie schweigenden Lippen plapperten. Ich drehte mich um und fragte einen der Dastehenden, was das für eine seltsame Pflanze sei.

      »Das ist der Baum El Dscharanil,« wurde mir geantwortet. »Kennst du ihn nicht? Er wurde hierher gepflanzt, weil der Baum der Erkenntnis, der einst mitten im Paradiese stand, abgestorben ist. Seitdem muß man die Blätter des El Dscharanil fragen, wenn man wissen will, ob man das Wohlgefallen Allahs besitze oder nicht. Denn nur sie allein sind es, denen er alle Geheimnisse seines Ratschlusses anvertraut, sonst niemandem weiter auf der ganzen Erde.«

      Kaum hatte ich dies erfahren, so wurde ich von einigen der Blätter gesehen. Es erhob sich erst ein unverständliches Flüstern. Dieses wurde immer lauter, je mehr Augen sich auf mich richteten, bis sich endlich alle Lippen bewegten und meinen Namen riefen. Infolge dieses vereinten Geschreies thaten sich alle in der Nähe liegenden Thüren auf, und über mich ergoß sich eine Menge von Gestalten, von denen ich erdrückt worden wäre, wenn ich nicht hoch auf dem Pferde gesessen hätte. Ich spornte es zu einigen Seitensprüngen an, so daß ich freien Raum gewann, und fragte, was man wolle. Die Antwort erklang in allen Sprachen, die es auf der Erde giebt. Die mich Umringenden waren ja auch in die Trachten aller Völker gekleidet. Jeder von ihnen hatte etwas in der Hand, was er sein »heiliges Buch« nannte, und jeder von ihnen versicherte, daß er der einzig und allein berechtigte Aussteller der hier vorzuzeigenden Erlaubniskarte sei. Ich aber machte kurzen Prozeß mit ihnen allen und verlangte die Unterschrift dessen zu sehen, von dem man diesen Himmel gepachtet habe. Das hatte noch niemand gethan, und darum waren sie von dieser meiner Forderung so verblüfft, daß sie alle wieder in ihren Thüren verschwanden. Ich konnte also ungehindert durch das Thor des Paradieses reiten. Doch als ich an dem Baum der Neugierde und Geschwätzigkeit El Dscharanil vorüberkam, riefen alle seine Köpfe in einem und demselben Tone:

      »Er kommt zwar hinein, doch niemals wieder heraus. Wer dieses Himmelreich betritt, der ist verloren. Dafür haben wir gesorgt, wir, die Gottesstimmen!«

      Hier machte der Ustad eine Pause. Welch ein Bild er mir da vor die Augen stellte! Fremdartig, aber nicht ganz unwahr. Was ich als gerecht denkender Beobachter dagegen zu sagen hatte, das hob ich mir für später auf, weil sein Gedankengang zu interessant war, als daß