Señores, und tretet ein in mein Haus!«
Er streckte nun auch Mariano und Helmers die Hand entgegen und führte die Gäste in den Speisesaal, wo ihnen eine Erfrischung gereicht wurde. Eben hob Helmers das Glas empor, um zu trinken, als er es wieder absetzte. Sein Auge hing an der Tür, die sich geöffnet hatte, um eine bleiche Gestalt einzulassen, die mit irren, nichtssagenden Augen die Angekommenen überflog. Helmers trat ein paar Schritte nach der Tür zu und fixierte den Kranken.
»Ist es möglich!« rief er dann. »Anton, Anton! O mein Gott!«
Der Irre blickte ihn an und schüttelte den Kopf.
»Ich bin tot, ich bin erschlagen worden«, wimmerte er.
Helmers ließ die Arme sinken und fragte:
»Señor Arbellez, wer ist dieser Mann?« – »Es ist der Bräutigam meiner Tochter«, antwortete der Haziendero. »Er heißt Antonio Helmers, und die Jäger nannten ihn Donnerpfeil.« – »Also doch! Bruder, o mein Bruder!«
Mit diesem Ausruf stürzte Helmers auf den Irren zu, schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich. Der Kranke ließ sich liebkosen, blickte gleichgültig in das Angesicht seines Bruders und sagte nur:
»Ich bin erschlagen worden, ich bin tot!« – »Was ist mit ihm, was fehlt ihm?« fragte Helmers den Wirt. – »Er ist wahnsinnig«, antwortete dieser. – »Wahnsinnig? O Herr, mein Gott, welch ein Wiedersehen!«
Der Deutsche drückte die Hand vor die Augen, warf sich in einen Stuhl und weinte. Die anderen standen wortlos und ergriffen dabei, bis Arbellez ihm die Hand auf die Schulter legte und mit leiser Stimme fragte:
»Ist es wahr, daß Ihr der Bruder von Señor Antonio seid?«
Helmers richtete die in Tränen schwimmenden Augen zu dem Frager empor und antwortete:
»Ja, ich bin sein Bruder! O mein Gott, welch ein Wiedersehen!« – »So seid Ihr Seemann?« – »Ja.« – »Er hat uns viel von Euch erzählt.« – »Ich bin tot, ich bin erschlagen«, klagte der Irre dazwischen.
Sternau hatte bisher kein Auge von ihm verwandt, jetzt fragte er:
»Was ist die Ursache seiner Krankheit?« – »Ein Schlag auf den Kopf«, antwortete Arbellez. – »Haben Sie einen Arzt gehabt?« – »Ja, längere Zeit.« – »Hat dieser gesagt, daß keine Hilfe möglich sei?« – »Ja.« – »So ist dieser Arzt ein Pfuscher, ein unverständiger Ignorant. Fassen Sie sich, Helmers. Ihr Bruder ist nicht wahnsinnig, sondern geistig gestört; es ist noch Hilfe möglich.«
Da ertönte ein heller Jubelschrei. Emma Arbellez hatte ihn ausgestoßen. Sie kam auf Sternau zugeflogen, faßte seine beiden Hände und fragte:
»Sagen Sie die Wahrheit, Señor?« – »Ja.« – »Gewiß? Sind Sie Arzt?« – »Ich bin Arzt und hoffe das Beste. Sobald ich die näheren Umstände weiß, unter denen er erkrankte, werde ich Ihnen mit Gewißheit sagen können, ob ich Hilfe bringen kann.« – »Oh, so lassen Sie sich erzählen …« – »Gemach, Señorita!« unterbrach Sternau sie. »Das möchten wir uns denn doch bis zu einem ruhigeren Augenblick aufsparen. Zunächst haben wir noch anderes zu besprechen, das ebenso wichtig und nötig ist«
Sie ließ sich nur ungern zurückweisen und führte den Irren hinaus.
»Es muß eine sehr wichtige Angelegenheit sein, die Sie hierhergeführt hat«, sagte der Haziendero in einer Art von Vorahnung. – »Eine sehr, sehr wichtige«, bestätigte Sternau. – »Meine Hazienda war Ihr einziges Ziel?« – »Ja.« – »Und Sie haben sie ohne Führer gefunden?« – »So ziemlich. Erst gestern trafen wir einen Mann, der uns bis hierher begleitete. Es war ein Indianer, vom Stamm der Mixtekas.« – »Der Mixtekas? Das ist Büffelstirn gewesen.« – »Büffelstirn ist es gewesen, Büffelstirn?« fragte Sternau überrascht. »Er trug doch gar nicht die Abzeichen eines Häuptlings!« – »Das tut er nie. Er kleidet sich nur in Büffelhaut und trägt als Waffe eine Büchse und sein Messer.« – »So war er es. Ich bin mit Büffelstirn geritten, ohne es zu wissen. Er hat es uns verschwiegen, er ist ein echter, richtiger Mann. Wird man ihn wiedersehen?« – »Er ist jetzt täglich in der Gegend. Sie bleiben doch auf einige Zeit hier?« – »Das werden die Umstände bestimmen. Wann haben Sie Zeit, zu hören, was uns hierhergeführt hat?« – »Sogleich oder auch später, je nachdem Sie es wünschen. Ist die Sache kurz und muß sie sogleich erledigt sein?« – »Nein. Sie bedarf einer längeren Zeit und will überhaupt sehr achtsam behandelt sein. Es handelt sich um ein Familiengeheimnis, zu dessen Aufklärung wir Ihre Hilfe und diejenige von Maria Hermoyes brauchen.« – »Ich stehe zur Verfügung, bitte aber zunächst um die Erlaubnis, Ihnen Ihre Zimmer anweisen zu dürfen.«
Karja, die Indianerin, trat ein. Sie hatte nach den Zimmern gesehen und kam nun, um die Herren zu führen. Sternau erhielt dasjenige, das Graf Alfonzo gewöhnlich bewohnt hatte. Er reinigte sich vom Schmutz der Reise und ging dann auf einen Augenblick hinunter in den Garten. Dort sah er die schöne Tochter des Hazienderos sitzen, neben ihr den Irren, der sich höchst gleichgültig von ihr liebkosen ließ. Sie erhob sich, um dem Gast Platz zu machen.
Er setzte sich so, daß er den Kranken beobachten konnte, und begann nun mit der Señorita ein Gespräch, im Verlauf dessen sie ihm die Abenteuer in der Höhle des Königsschatzes und also auch den Grund von der Erkrankung ihres Bräutigams mitteilte. Er hörte aufmerksam zu, denn ihre Erzählung erregte noch mehr als bloß sein ärztliches Interesse.
»Also der berühmte Bärenherz war auch dabei«, sagte er darauf. »Hat sich dieser Apachenhäuptling seitdem wieder sehen lassen?« – »Nein.« – »Und all, all dieses Unheil nur um eines einzigen Menschen, um dieses Alfonzo Rodriganda willen. Man wird ihm das Handwerk legen und ihn seine Missetat sühnen lassen.« – »Oh, Señor, wird auch hier bei meinem armen Antonio eine Sühne, eine Hilfe möglich sein? Sein Bruder hat mir bereits erzählt, während Sie auf Ihrem Zimmer waren, daß Sie ein großer und berühmter Arzt sind und daß Sie sogar Ihre eigene Gemahlin vom Wahnsinn gerettet haben.« – »Der größte Arzt ist Gott; ich hoffe, daß er auch hier helfen wird. Ist Ihr Patient geduldig und gefügig?« – »Sehr.« – »Wird er mit mir gehen?« – »Sofort.« – »So werde ich ihn mit mir nehmen, um ihn sogleich zu untersuchen. Ich führe meine Bestecks stets bei mir und hoffe, daß ich alles habe, was ich brauche.«
Sternau ergriff die Hand des Patienten, und dieser folgte ihm mit der allergrößten Bereitwilligkeit. Emma ging unterdessen auf sein Zimmer und sank dort auf ihre Knie, um zu beten. Als sie dann in den Salon kam, waren bereits alle erwartungsvoll versammelt, um den Ausspruch des Arztes zu vernehmen. Dieser aber kam erst später. Er wurde sofort mit Fragen bestürmt
»Ich will Ihnen allen eine frohe Botschaft bringen«, sagte er lächelnd. »Ich werde Señor Helmers wiederherstellen.«
Ein lauter, vielstimmiger Ruf erscholl durch den Raum, dann fuhr Sternau fort:
»Der Schlag ist ein außerordentlich kräftiger gewesen, aber er hat dennoch die Hirnschale nicht zertrümmert; doch unter derselben hat irgendein Blutgefäß seinen Inhalt gerade auf das Organ des Gedächtnisses ergossen, und so kommt es, daß der Patient alles vergessen hat, nur nicht das letzte, was er vom Leben fühlte, nämlich den Schlag. Er weiß, daß er totgeschlagen werden sollte, er hat den Hieb gefühlt und glaubt nun, daß er tot sei. Die sicherste Hilfe ist nur durch die Trepanation möglich. Ich werde die Hirnschale öffnen, um das ausgeflossene Blut zu entfernen, dann hört der Druck desselben auf die Hirnmasse auf, das Organ beginnt seine unterbrochene Tätigkeit, und in demselben Augenblick wird auch das vollständige Gedächtnis wiederkehren.« – »Ist diese Operation lebensgefährlich?« fragte Emma besorgt. – »Schmerzlich, aber nicht lebensgefährlich«, tröstete er. »Wenn die Angehörigen des Patienten mir Vollmacht erteilen, werde ich morgen die Trepanation vornehmen.«
Sie erklärten sich alle einverstanden, und Arbellez fügte lächelnd hinzu:
»Und um das Honorar dürfen Sie nicht bange sein, Señor. Der Patient ist reich, steinreich, er hat aus der Höhle des Königsschatzes ein Geschenk erhalten, das ihn in den Stand setzt, sogar eine Trepanation zu bezahlen.« – »Hoffen wir, daß die Operation ihn so weit herstellt, daß er seinen Schatz genießen kann«, entgegnete Sternau und ging