Marco Lupis

Interviews Aus Dem Kurzen Jahrhundert


Скачать книгу

ich mich schon seit etlichen Jahren “frei von Angst”. Seit ich begriffen habe, dass der in meinem Land herrschende Machtmissbrauch mich verletzen und demütigen konnte, ja mich sogar hätte umbringen können, aber das konnte mir keine Angst mehr machen.

      

      

       Heute, kaum in Freiheit, haben Sie sofort erklärt, dass man keinerlei Bedingungen an Ihre Freilassung geknüpft hat und dass die an der Macht befindliche Militärjunta Ihnen gestattet hat, auch ins Ausland zu reisen. Glauben Sie das wirklich?

       Ein Sprecher der Junta hat in einer gestern veröffentlichten schriftlichen Verlautbarung angekündigt, dass «für das Volk von Myanmar und für die internationale Gemeinschaft eine neue Seite im Buch der Geschichte aufgeschlagen werden soll». In den letzten Monaten wurden hunderte von politischen Häftlingen freigelassen und die Militärregierung hat mir versichert, dass man auch weiterhin diejenigen freilassen wird, die – wie sie es ausdrücken – “keine Gefahr für die Gemeinschaft darstellen“. Alle Menschen hier wollen das nur allzu gerne glauben und hoffen, dass dies echte Anzeichen für einen Wandel sind. Die Rückkehr auf diese Straße in Richtung Demokratie, die mit dem Staatsstreich von 1990 plötzlich und gewaltsam unterbrochen wurde, aber im Herzen des birmanischen Volkes stets präsent war.

      

      

       Jetzt, da Sie frei sind, befürchten Sie da nicht ausgewiesen- und von ihren Anhängern getrennt zu werden ?

       Es sollte jedem klar sein, dass ich nicht gehe. Ich bin Birmanin und habe die britische Staatsbürgerschaft ausgeschlagen, um dem Regime keinen Angriffspunkt zu bieten. Ich habe keine Angst. Das gibt mir Kraft. Aber das Volk hungert, daher die Angst, die die Menschen schwach werden lässt.

      

      

       Sie haben mehrfach und mit Nachdruck die Einschüchterungsversuche des Militärregimes gegenüber den Sympathisanten für die Demokratische Liga angeprangert. Gibt es die auch heute noch?

       Wir sind in Besitz von Daten, die besagen, dass allein im Jahr 2001 über tausend militante Kämpfer der Opposition auf Geheiß der Generäle des slorc [ State Law and Order Restauration Council/Name der Spitze der Militärjunta] festgenommen wurden. Viele andere sahen sich gezwungen, der Liga abzuschwören, nachdem sie eingeschüchtert und bedroht wurden. Für diese Art von illegalen Pressionen gibt es keine Rechtfertigung. Die Strategie erfolgt flächendeckend nach demselben Muster: Man setzt Einheiten staatlicher Funktionäre auf sie an, die “von Tür zu Tür” gehen und die Bürger auffordern, die Liga zu verlassen. Den Familien, die sich weigern, droht man mit Repressalien wie dem Verlust des Arbeitsplatzes und oftmals sind es offene Drohungen. Viele Parteizentren wurden geschlossen und tagtäglich kontrollieren die Militärs die Zahlen der ausgetretenen Mitglieder. Das beweist, wie groß die Angst vor der Liga ist. Die Hoffnung, die wir alle im Augenblick haben ist die, dass dies alles wirklich und wahrhaftig ein Ende gefunden hat.

      

      

       Hat Sie die heutige Wende, der Paukenschlag ihrer Befreiung, überrascht oder war es ein von den Militärs sorgfältig geplantes und vorbereitetes Manöver, das aus Gründen des “Ansehens” in aller Welt erfolgte, quasi ein Vorhaben mit „Außenwirkung“?

       Von ’95 bis heute kam es zu einer schrittweisen Lockerung der Isolation von Birma. Die Universität von Rangun wurde wieder geöffnet und möglicherweise haben sich die Lebensumstände leicht verbessert; dennoch wird der Gang der Geschichte von Birma im täglichen Alltag immer noch von Gewalt, Illegalität und Machtmissbrauch, sowohl gegen Dissidenten als auch gegen ethnische Minderheiten (Shan, We, Kajn) bestimmt, die sich nach Autonomie sehnen, sowie ganz generell, gegen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes. Die Militärs haben immer mehr Probleme, sowohl intern als auch international betrachtet. In der Zwischenzeit betreiben sie weiter Drogenhandel, sofern es ihnen nicht gelingt, eine andere, ebenso lukrative Einnahmequelle aufzutun. Nur welche? Die Nation gleicht praktisch einem großen Panzerschrank, von dem nur das Militär die Kombination kennt und es wird nicht leicht werden, die Generäle davon zu überzeugen, diesen Reichtum mit den anderen fünfzig Millionen Birmanen zu teilen.

      

      

       Wie sehen aktuell die Bedingungen für eine Dialogbereitschaft aus ?

       Wir werden so lange keine wie auch immer geartete Initiative akzeptieren - die Rede ist auch von Wahlen, die von den Generälen einberufen werden – bis das 1990 gewählte Parlament nicht zusammengetreten ist. In meinem Land herrscht auch weiterhin die Angst. Einen echten Frieden wird es so lange nicht geben, so lange es kein echtes Engagement gibt, im Namen aller, die für ein freies und unabhängiges Birma gekämpft haben, auch wenn ihnen bewusst war, dass es nicht möglich sein würde, Frieden und Versöhnung für alle Zeiten zu sichern und dass es daher notwendig sein würde, die Anstrengungen im Sinne von mehr Wachsamkeit zu verdoppeln, mehr Mut zu beweisen und den wahren, aktiven aber gewaltlosen Widerstand im eigenen Herzen zu entwickeln.

      

      

       Was kann die Europäische Union tun, um dem birmanischen Volk zu helfen?

       Weiterhin Druck machen, damit die Generäle merken, dass die Welt ihnen auf die Finger schaut und dass sie nicht ungestraft weitere Schändlichkeiten begehen können.

       *****

       Am dreizehnten November 2010 erlangte Aung San Suu Kyi endgültig die Freiheit. 2012 bekam sie einen Sitz im birmanischen Parlament und am sechzehnten Juni desselben Jahres konnte sie den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Nachdem die Regierung ihr endlich erlaubte hat, ins Ausland zu reisen, konnte sie nach England fahren, um nach vielen Jahren ihren Sohn wiederzusehen.

       Am sechsten April 2016 wurde sie zur Staatsrätin (ziviles Staatsoberhaupt) von Myanmar ernannt.

       Birma, die heutige Republik der Union Myanmar, ist noch immer kein völlig freies Land und seine Geschichte wird von der Diktatur der Vergangenheit belastet, die auch Auswirkungen auf die Zukunft der Nation hat, aber die Öffnung des Landes der tausend Pagoden lässt Raum für mehr als nur die Hoffnung auf Freiheit und Demokratie.

       7

      Lucia Pinochet

      

      

       “ Asasinar, torturar y hacer desaparecir ”

       [Morden, foltern und verschwinden lassen]

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

       Santiago de Chile, März 1999 .

       «Pinochet? Für die Chilenen ist er wie ein Krebsgeschwür, ein Stück dunkle Vergangenheit, das sie male oscuro nennen..., etwas Schmerzhaftes. Etwas, von dem man weiß, dass man es hat, aber sich fürchtet,