machten seine Zähne an einander klappern.
Diese Erklärung brachte eine tiefe Erregung im Publikum hervor.
Der Präsident war genöthigt, zur Stille aufzufordern, und als er den Greis entließ, sagte er zu ihm:
»Geht, mein Freund; die Herren Geschworenen werden Eurer Angabe Rechnung tragen.«
Der Advocat von Herrn Gérard wand nun ein, man habe den Gärtner, dessen Dienste wegen seines hohen Alters beinahe unnütz geworden seien, entlassen wollen, und in diesem Augenblicke habe Orsola, welche dieser Mensch anzugreifen so undankbar sei, seine Begnadigung erbeten.
Der Greis, der mit einer Hand auf seinen Stab, mit der andern auf einen seiner Söhne gestützt, nach seiner Bank zurückkehrte, blieb plötzlich stehen, als ob ihn, durch das hohe Gras des Parkes gehend, eine Schlange in die Ferse gebissen hätte.
Dann kehrte er um und sprach mit fester Stimme:
»Was dieser Herr so eben gesagt hat, ist, abgesehen vom Undanke, dessen er mich beschuldigt, die reine Wahrheit. Orsola hatte Anfangs meine Entlassung verlangt, und Herr Gérard hatte ihr dieselbe bewilligt: sodann verlangte sie meine Begnadigung, und Herr Gérard bewilligte sie ihr auch. Die Magd wollte ihre Gewalt über den Herrn versuchen, vielleicht um sich dessen zu versichern, was sie bei einem wichtigeren Umstande thun könnte. Fragen Sie Herrn Gérard, ob das wahr ist.«
»Ist das, was. dieser Mensch sagt, wahr, mein Herr?« fragte der Präsident Herrn Gérard.
Gérard wollte antworten, es sei falsch: doch emporschauend begegnete er den Augen des Gärtners, welche die seinigen suchten.
Geblendet durch sie wie durch Blitze seines Gewissens, hatte er nicht den Muth zu leugnen, und er stammelte:
»Es ist wahr!«
Dieser Zwischenfall ausgenommen waren, wie gesagt, alle Zeugnisse zu Gunsten von Herrn Gérard.
Was die Zeugnisse zu Gunsten von Herrn Sarranti betrifft, – der Angeklagte hatte nicht um ein einziges angesucht: er wähnte sich bonapartistischer Verschwörung beschuldigt, und da er die ganze Verantwortlichkeit aus sich zu nehmen gedachte, so hatte er keine Entlastungszeugen nöthig zu haben geglaubt.
So hatte sich die Anklage wie aus einem Zapfen gedreht, und Herr Sarranti befand sich einem Diebstahle, einer doppelten Entführung und einem Morde gegenüber. Die Anschuldigung dünkte ihm alsdann so wahnsinnig, daß er sich auf die Instruction selbst verließ, sie werde seine Unschuld zur Kenntniß bringen.
Nur zu spät bemerkte er, in welche Falle er gerathen war, und bei diesem Factum des Diebstahls, der Entführung und des Mordes widerstrebte es ihm, ein Zeugniß anzurufen. Seiner Ansicht nach mußte sein Ableugnen genügen.
Doch allmählich drang durch diese Bresche, die er offen gelassen, der Verdacht, dann die Wahrscheinlichkeit, dann, wenn nicht in den Geist des Publikums, wenigstens in den der Geschworenen eine Beinahe-Gewißheit ein.
Herr Sarranti war wie ein Mensch, der von einem zu raschen Laufe gegen einen Abgrund fortgerissen wird: er sah den Abgrund, er ermaß ihn; doch es war zu spät! keine Stütze schien sich zu bieten, an der er sich hätte zurückhalten können. Er mußte unfehlbar hinabstürzen. Der Abgrund war tief, erschrecklich, häßlich: er sollte dabei nicht nur das Leben, sondern auch die Ehre verlieren.
Und dennoch sagte ihm Dominique unablässig leise:
»Haben Sie Muth, mein Vater! ich weiß, daß Sie unschuldig sind!«
Man war zu dem Punkte der Debatten gelangt, wo, da die Sache hinreichend durch das Anhören der Zeugen erhellt war, die gesetzliche Discussion den Advocaten zukommt.
Der Advocat der Civilpartei nahm das Wort.
Ich weiß nicht, ob die Gesetzgebung, als sie bestimmte, die Parteien sollten, statt selbst zu plaidiren, durch das Organ eines Dritten plaidiren, sah, begriff, errieth, – abgesehen von den Vortheilen, die sie bei der Anklage oder der Vertheidigung durch Procuration fand, – ich weiß nicht, ob sie sah, begriff, errieth, zu welchen Stufen der Treulosigkeit, der Unverschämtheit und der Spitzfindigkeit sie den Menschen hinabzusteigen zwinge.
Es gibt auch im Justizpalaste Advocaten der schlimmen Sachen. Diese Menschen wissen vollkommen, daß die Sache, die sie verteidigen, eine schlechte ist: schaut sie aber an, hört sie, studiert sie: würdet Ihr nach ihrer Stimme, nach ihren Geberden, nach ihrem Accente nicht sagen, sie seien überzeugt?
Was ist nun der Zweck dieser falschen Ueberzeugung, die sie heucheln? Ich setze die Frage des Geldes, der Belohnung, des Salaire ganz beiseit: was ist der Zweck dieser falschen Ueberzeugung, die sie heucheln und die Anderen wollen theilen machen?
Nicht der, einen Schuldigen zu retten und einen Unschuldigen zur Verurtheilung zu bringen?’
Sollte das Gesetz, statt diese seltsame Abirrung des Geistes zu beschützen, dieselbe nicht vielmehr bestrafen?
Man wird mir vielleicht sagen, es sei mit dem Advocaten wie mit dem Arzte. Der Arzt wird gerufen, um einen Mörder zu behandeln, der, in der Ausübung seiner Functionen, einen Messerstich oder eine Pistolenkugel bekommen hat: um ins Leben einen Verurtheilten zurückzurufen, der nach seiner Verurteilung, in Folge eines wohl erwiesenen Verbrechens, sich zu entleiben versucht hat; der Arzt kommt und findet den Verwundeten fast im Zustande einer Leiche; er braucht die Wunde nur machen zu lassen: sie wird ganz sachte und von selbst den Menschen zum Tode führen. Der Arzt glaubt eine völlig entgegengesetzte Mission empfangen zu haben; der Arzt ist der Kämpfer für das Leben, der Gegner des Todes.
Ueberall, wo er das Leben trifft, unterstützt er es, überall, wo er den Tod trifft, bekämpft er ihn.
Er kommt in dem Augenblicke an, wo das Leben des Mörders oder wenigstens des Verurtheilten verscheidet, wo der Tod die Hand ausstreckt, um sich des Verurtheilten oder des Mörders zu bemächtigen; wer auch der Sterbende sein mag, der Arzt ist sein Secundant, er wirft den Handschuh der Wissenschaft dem Tode hin und spricht: »Nun ist es an uns Beiden!«
Von diesem Augenblicke an beginnt der Kampf zwischen dem Arzte und dem Tode. Schritt für Schritt weicht der Tod vor dem Arzte zurück. Der Tod tritt am Ende aus dem Kreise hinaus, der Arzt bleibt Herr des Schlachtfeldes; der Verurtheilte, der sich entleiben wollte, der Mörder, der eine Wunde bekommen hat, sind gerettet; ja, doch gerettet, um den Händen der menschlichen Gerechtigkeit übergeben zu werden, die an ihnen ihr Zerstörungswerk übt, wie der Arzt sein Rettungswerk geübt hat.
So ist es mit dem Advocaten, wird man sagen: man gibt ihm einen Schuldigen, das heißt einen schwer verwundeten Menschen; er macht daraus einen Unschuldigen, das heißt einen Menschen, der sich wohl befindet.
Derjenige, welcher mir diese Antwort gibt, vergißt nur Eines: daß der Arzt Niemand das Leben nimmt, welches er dem Kranken wiedergibt, während der Advocat manchmal dem Unschuldigen das Leben nimmt, das er dem Schuldigen gibt.
Es war so bei dem erschrecklichen Ereignisse, wo Herr Gérard und Herr Sarranti einander gegenüberstanden.
Vielleicht glaubte der Advocat von Herrn Gérard an die Unschuld von diesem: sicherlich glaubte er aber nicht an die Schuldhaftigkeit von Herrn Sarranti.
Das hielt diesen Mann nicht ab, die Anderen glauben zu machen, was er selbst nicht glaubte.
Er drängte in einem emphatischen Eingange alle rednerische Gemeinplätze, alle die abgedroschenen Phrasen zusammen, die sich in den Journalen jener Zeit gegen die Bonapartisten herumschleppten: er zog eine Parallele zwischen Karl X. und dem Usurpator: er tischte den Geschworenen alle die Beigerichte aus, die ihren Appetit in Betreff des Hauptstückes reizen sollten. Das Hauptstück war Herr Sarranti, das heißt einer von jenen Ruchlosen, vor denen die Schöpfung einen Abscheu hat: eines von jenen Ungeheuern, welche die Gesellschaft zurückstößt, einer von jenen Verbrechern, fähig zu den schwärzesten Attentaten, deren Tod als ein Beispiel von ihren Zeitgenossen verlangt wird, welche entrüstet sind, daß sie dieselbe Lust mit ihnen athmen sollen.
Er schloß also, ohne das erschreckliche Wort auszusprechen, aus die Todesstrafe.
Doch, wir müssen es sagen, er nahm zugleich seinen Platz unter einem eisigen Stillschweigen wieder ein.
Dieses