worden, sagt man: man schließt sich in seinem Hause ein und zittert: die Fremden sind aus einer von Verbrechen heimgesuchten Stadt geflohen: der Handel ist ruiniert, zu Grunde gerichtet, vernichtet!
»Meine Herren, was würden Sie sagen, wenn der böswillige Geist der Menschen, die ihre bonapartetische oder republikanische Gesinnung unter dem Titel von Liberalen verbergen, allein diese Mißgeschicke durch Verleumdungen hervorgerufen hätte?
»Sie wären entrüstet, nicht wahr?
»Doch ein anderes Uebel ist durch die unseligen Manoeuvres eben dieser Menschen erzeugt worden, welche die Gesellschaft bedrohen, während sich sich das Ansehen geben, als nähmen sie dieselbe unter ihren Schutz, jeden Tag unbestrafte Frevelthaten verkündigen und wiederholen, unachtsame Behörden lassen das Verbrechen ruhig die Straflosigkeit genießen.
»So konnte sich ein Sarranti, über dessen Loos Sie zu dieser Stunde zu entscheiden haben, seit sieben Jahren schmeicheln, er werde für immer vor den Verfolgungen der Gerichte geschützt sein.
»Meine Herren, die Gerechtigkeit hinkt, sie kommt mit langsamen Schritten, sagt Horaz. Das mag sein! doch sie kommt unfehlbar.
»So begeht ein Mensch! – ich meine den Verbrecher, den Sie vor den Augen haben, – ein Mensch begeht ein dreifaches Verbrechen, Diebstahl, Entführung, Mord. Nachdem das Attentat begangen ist, verläßt er die Stadt, in der er wohnt, er verläßt das Land, wo er geboren worden, er durchschifft die Meere, er flieht ans Ende der Welt, und verlangt von einem andern Continent, von einem jener im Herzen Indiens verlorenen Reiche, ihn wie einen königlichen Gast aufzunehmen; doch jener andere Continent stößt ihn zurück, jenes Reich stößt ihn zurück, und Indien sagt zu ihm: »»Was willst Du unter meinen unschuldigen Kindern, Du Schuldiger? Entferne Dich von hier! fort! Zurück, Dämon! Retro, Satanas! . . . ««
Bis dahin zurückgehalten, kam plötzlich, zum großen Aergernisse der Herren Geschworenen, einiges Gelächter zum Ausbruch.
Der Staatsanwalt aber, mochte er die Heiterkeit der Menge nicht begreifen, mochte er im Gegentheile, sie begreifend, diese Heiterkeit zurückdrängen oder ihr eine Wendung zu seinen Gunsten geben wollen, – der Staatsanwalt rief:
»Meine Herren, der Schauer des Auditoriums ist bezeichnend; es ist ein verächtlicher Tadel von der Menge dem Verbrecher zugeworfen, und die strengste Verurtheilung wird für ihn nicht grausamer sein, als dieses Lächeln der Verachtung . . . «
Ein Gemurre empfing diese Verdrehung der Meinung des Auditoriums.
»Meine Herren,« sprach der Präsident, sich an das Auditorium wendend, »erinnern Sie sich, daß das Stillschweigen die erste Pflicht des Publikums ist.«
Das Publikum, das die größte Ehrfurcht für die unparteiische Stimme des Präsidenten hatte, trug seiner Ermahnung sogleich Rechnung, und die Stille war alsbald wiederhergestellt.
Ein Lächeln auf den Lippen, die Stirne hoch und ruhig, hielt Herr Sarranti seine Hand in der des schönen Mönches; und dieser, der sich frommer Weise schon unter dem Spruche beugte, den sein Vater nicht vermeiden konnte, erinnerte an jene heiligen Sebastian, deren Typus die spanischen Maler uns vermacht haben, und die, den Leib von Pfeilen durchbohrt, die erhabenste Milde, die engelischste Resignation athmen.
Wir werden dem Staatsanwalte nicht weiter in seinem Plaidoyer folgen; wir sagen nur, daß er, sobald einmal der Gegenstand in Angriff genommen war, so lange als er konnte die aus den Anschuldigungen der Zeugen von Herrn Gérard hervorgehenden Ansichten gleichsam ausmalte, und dabei alle abgedroschene Mittel, alle classische Blumen der Rhetorik des Justizpalastes erschöpfte. Er schloß endlich sein Plaidoyer, indem er auf die Anwendung der Artikel 293, 296, 302 und 304 des Strafcodex antrug.
Ein Gemurmel des Schmerzes und ein Schauer des Schreckens durchliefen die ganze Menge; die Erregung hatte den höchsten Grad erreicht.
Der Präsident fragte Herrn Sarranti:
»Angeklagter, haben Sie etwas zu sagen?«
»Nicht einmal, daß ich unschuldig bin, dergestalt verachte ich die gegen mich erhobene Anklage,« antwortete Herr Sarranti.
»Und Sie, Maitre Emanuel Richard, haben Sie etwas zu Gunsten Ihres Clienten vorzubringen?«
»Nein, mein Herr,« antwortete der Advocat.
»Dann sind die Debatten geschlossen,« sagte der Präsident.
Es fand im ganzen Auditorium eine ungeheure Bewegung der Theilnahme, gefolgt von einer tiefen Stille, statt.
Das Resumé des Präsidenten trennte allein den Angeklagten vom Spruche. Es war vier Uhr Morgens. Man begriff, das Resumé werde kurz sein, und an der Art, wie der ehrenwerthe Herr Präsident die Debatten geleitet hatte, erkannte man, er werde unparteiisch sein.
Sobald er den Mund aufthat, hatten die Huissiers auch nicht nöthig, Stillschweigen aufzuerlegen: die Menge schwieg von selbst.
»Meine Herren Geschworenen,« sprach der Präsident mit einer Stimme, aus der er die Aufregung zu verbannen nicht im Stande gewesen war, »ich habe so eben die Debatten geschlossen, deren Länge zugleich peinlich für Ihr Herz, ermüdend für Ihren Geist ist.
»Ermüdend für Ihren Geist: denn sie dauern seit sechzig Stunden.
»Peinlich für Ihr Herz: denn wer wäre nicht bewegt, wenn er als klagende Partei einen Greis sieht, ein Muster der Tugend und der Menschenliebe, die Ehre seiner Mitbürger, und ihm gegenüber, von ihm eines dreifachen Verbrechens angeklagt, einen Mann, den seine Erziehung dazu berief, eine ehrenhafte und sogar glänzende Laufbahn zu verfolgen, und der durch seine Stimme und durch die seines Sohnes, eines würdigen Mönches, gegen die dreifache Anklage, deren Gegenstand er ist, protestiert.
»Mein Herren Geschworenen, Sie sind noch wie ich unter dem Eindrucke der Plaidoyers, die Sie gehört haben. Wir müssen uns also Gewalt anthun, in die Tiefe von uns selbst hinabsteigen, uns mit Ruhe in diesem feierlichen Augenblicke sammeln, und mit kaltem Blute das Ganze dieser langen Debatten wiederaufnehmen.«
Dieser Eingang brachte eine tiefe Bewegung im Gemüthe der Zuhörer hervor, und die Menge folgte, stumm und keuchend, mit einer glühenden Aufmerksamkeit der Analyse des Präsidenten.
Nachdem er mit gewissenhafter Treue alle Mittel der Anklage hatte die Revue passieren lassen, nachdem er hervorgehoben, was der Mangel der Vertheidigung Nachtheiliges für den Angeklagten hatte, schloß der ehrenwerthe Gerichtsbeamte seine Rede mit folgenden Worten:
»Meine Herren Geschworenen, ich habe vor Ihnen so gewissenhaft und so rasch, als es mir möglich war, das Ganze der Sache auseinandergesetzt. Es kommt nun Ihnen, es kommt Ihrem hohen Scharfsinne, Ihrer erhabenen Weisheit zu, das Gerechte vom Ungerechten zu unterscheiden und zu beschließen.
»Während Sie diese Prüfung vollführen, werden Sie jeden Augenblick erschüttert sein durch die tiefen, heftigen Gemüthsbewegungen, welche das Herz des redlichen Mannes in dem Augenblicke ergreifen, wo er ein Urtheil über seines Gleichen fällen und eine entsetzliche Wahrheit verkündigen soll; doch es wird Ihnen weder an der Erleuchtung, noch am Muthe fehlen, und was auch Ihr Urtheil sein mag, es wird der souverainen Gerechtigkeit entfließen, besonders wenn Sie zum Führer den einzigen unfehlbaren Führer nehmen: das Gewissen!
»Im Vertrauen auf dieses Gewissen, an dem sich alle Leidenschaften gebrochen haben, – denn es ist taub für Worte, taub für die Freundschaft, taub für den Haß, – bekleidet Sie das Gesetz mit Ihren furchtbaren Functionen, überträgt Ihnen die Gesellschaft ihre Vollmachten, und beauftragt Sie mit ihren gewichtigsten und theuersten Interessen. Die Familien mögen, Ihnen wie Gott selbst vertrauend, sich unter Ihren Schutz stellen, und die Angeklagten, welche das Gefühl ihrer Unschuld haben, mögen in Ihre Hände ihr Leben mit voller Sicherheit legen und Sie, ohne zu zittern, als Richter annehmen.«
Dieses scharfe, präcise, kurze Resumé, das vom ersten bis zum letzten Worte das Gepräge der gewissenhaftesten Unparteilichkeit an sich trug, wurde beständig mit der religiösesten Stille angehört.
Kaum hatte der Präsident zu sprechen aufgehört, als sich das ganze Auditorium aus innerem Antriebe wie ein einziger Mensch erhob und die lebhaftesten Zeichen von Billigung von sich gab, in die sich der laute