Sie meinen Vater für unschuldig?«
»Ja, bei meiner Seele, das ist meine Ueberzeugung; und ich kann Ihnen vielleicht den Beweis seiner Unschuld erlangen helfen.«
»Ich habe ihn!« antwortete der Mönch.
»Hoffen Sie Ihren Vater zu retten?«
»Ich bin dessen sicher!«
»Bedürfen Sie der Mitwirkung meines Armes oder meines Verstandes?«
»Niemand außer mir selbst kann mir bei Verfolgung meines Werkes helfen.«
»Was verlangen Sie dann von mir?«
»Etwas, was mir unmöglich scheint, daß ich es durch Ihre Vermittlung erlange; doch Sie hießen mich zu Ihnen kommen, um welcher Sache willen es auch sein möge, und ich hätte nicht kommend zum Verräther an meiner Pflicht zu werden geglaubt.«
»Sagen Sie mir Ihren Wunsch.«
»Ich muß heute, spätestens morgen eine Audienz beim König erhalten . . . Sie sehen, mein Freund, daß das unmöglich ist . . . wenigstens durch Sie.«
Salvator wandte sich lächelnd gegen Fragola um und sagte:
»Taube, fliege aus der Arche und komm nur mit dem Oelzweige zurück.«
Fragola ging, ohne zu antworten, in das Nebenzimmer, setzte einen Hut mit einem Schleier auf, warf auf ihre Schultern eine Mantille von englischem Stoffe, kam wieder zurück, reichte Salvator ihre Stirne zum Kusse und entfernte sich.
»Setzen Sie sich, mein Vater,« sagte der junge Mann. »In einer Stunde werden Sie Ihre Audienz für heute oder für morgen spätestens haben.«
Der Priester setzte sich und schaute Salvator mit einem Erstaunen an, das an die Betäubung grenzte.
»Aber wer sind Sie denn,« fragte er Salvator, »Sie, der Sie unter einem so demüthigen Anscheine über eine so große Macht verfügen?«
»Mein Vater,« antwortete Salvator, »ich bin wie Sie: ich muß allein auf dem Wege gehen, den ich mir vorgezeichnet habe; erzähle ich aber je einem Menschen mein Leben, so verspreche ich Ihnen, daß Sie es sein werden.«
III
Die Quadrupel Allianz
Das Atelier, oder vielmehr das Gewächshaus von Regina, bot in der Stunde, wo der Abbé Dominique bei Salvator eintrat, das heißt gegen zehn Uhr Morgens, das anmuthige Schauspiel von drei auf demselben Sopha gruppierten Frauen mit einem zu ihren Füßen liegenden Kinde.
Diese drei Frauen, welche unsere Leser schon erkannt haben, waren die Gräfin Rappt, Frau von Marande und Carmelite; das Kind war die kleine Abeille.
Beunruhigt über die Art, wie Carmelite die Nacht zugebracht, hatte Regina, frühzeitig aufgestanden, Nanon abgeschickt, um sich nach ihrer Freundin erkundigen zu lassen, und zugleich mit dem Auftrage, sie in ihrem Wagen zurückzubringen, sollte sie sich wohl genug fühlen, um den Morgen im Hotel Lamothe-Houdan zuzubringen.
Carmelite besaß die unbezwinglichste von allen Kräften: die Willenskraft; sie verlangte von Nanon nur die Zeit, um einen Shawl über ihre Schultern zu werfen, stieg in den Wagen und kam zu Regina.
Sie hatte Regina für alle ihre Bemühungen am vorhergehenden Tage zu danken: das war das erste Bedürfniß ihrer Seele: die Beschwerden ihres Leibes kamen erst nachher.
Man höre nun, was geschehen war.
Als Herr von Marande gegen sieben Uhr Morgens das Zimmer seiner Frau verließ, suchte Frau von Marande zu schlafen, doch vergebens: es war ihr unmöglich.
Um acht Uhr stand sie auf: sie nahm ein Bad, und ließ dann Herrn von Marande um Erlaubnis bitten, sich nach Carmelite erkundigen zu dürfen.
Herr von Marande, der auch nicht geschlafen hatte und schon bei der Arbeit war, klingelte, und ließ, statt jeder Antwort, dem Kutscher sagen, er solle anspannen und sich Madame für den ganzen Morgen zur Verfügung stellen.
Um zehn Uhr stieg Frau von Marande in den Wagen und gab Befehl, nach der Rue de Tournon zu fahren.
Sie kam gerade in dem Augenblicke an, wo sich Carmelite von Hause entfernt hatte: doch die Kammerfrau wußte zum Glücke, wohin Carmelite gegangen war: der Kutscher erhielt also Befehl, seine Gebieterin nach dem Boulevard des Invalides zur Gräfin Rappt zu fahren.
Frau von Marande traf hier zehn Minuten nach Carmelite ein.
Carmelite hatte die kleine Abeille aus den Knieen aus einem Tabouret vor Regina gefunden: sie ließ sich als wahre Coquette, was sie schon war, die Einzelheiten der Soirée am vorhergehenden Abend erzählen.
In dem Augenblicke, wo Regina dem Kinde die Ohnmacht von Carmelite erzählte, welche Ohnmacht sie durch die erstickende Hitze, die in den Salons herrschte, zu erklären suchte, trat Carmelite ein, und das Kind warf sich ihr um den Hals, küßte sie zärtlich und fragte, wie sie sich befinde.
Regina hatte zwei Gründe gehabt, um zu Carmelite zu schicken: einmal wollte sie Kunde über ihre Gesundheit haben; und dann, wenn Carmelite käme, um sie selbst zu geben, gedachte sie ihr zu sagen, es sei am Abend große Fete im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, und ihr einen Einladungsbrief zuzustellen: das Mädchen könnte, nach ihrem Belieben, auf diesen Ball als Eingeladene oder als Künstlerin gehen, singen oder nicht singen.
Carmelite nahm die Einladung im Namen der Künstlerin an; sie hatte am Tage vorher eine so harte, zu gleicher Zeit aber so heilsame Prüfung durchgemacht, daß sie fortan nichts mehr zu fürchten brauchte. Kein Publikum, selbst das eines Ministeriums, war zu fürchten, so fremd es der Kunst sein mochte; kein Mensch konnte mehr diejenige erschrecken, welche vor dem unheilvollen Gespenste, das ihr erschienen war, gesungen hatte.
Es wurde also verabredet, Carmelite sollte auf diesen Ball als Künstlerin gehen, – von Regina vorgestellt und patronisirt.
Man war so weit, als Frau von Marande eintrat.
Es war ein Freudenschrei, zugleich von den zwei Freundinnen und von der kleinen Abeille ausgestoßen, welche Frau von Marande ungemein liebte.
»Ah! die Fee Türkis!« rief Abeille.
Frau von Marande hatte die schönsten Türkise von Paris, und darum nannte sie Abeille so, wie sie ihre Schwester die Fee Carita nannte, wegen ihres Abenteuers mit Rose-de-Noël: wie sie Carmelite die Fee Grasmücke nannte, wegen ihrer bewunderungswürdigen Stimme, und Fragola die Fee Mignonne, wegen ihrer zarten Taille und ihres graziösen Halses. Waren die vier jungen Frauen beisammen, so behauptete Abeille, das Reich der Feen sei vollständig.
Das Reich der Feen sollte an diesem Tage vollständig sein: denn kaum hatte Frau von Marande einen Kuß mit ihren zwei Freundinnen ausgetauscht, als die Thüre sich öffnete und man Fragola meldete.
Die drei jungen Frauen stürzten der vierten Freundin entgegen, derjenigen von Allen, welche man am seltensten sah, und umarmten sie nach und nach, während Abeille, welche eiligst ihren Theil an den Liebkosungen haben wollte, um die Gruppe hüpfte und rief:
»Und ich! und ich! liebst Du mich nicht mehr, Fee Mignonne?«
Fragola wandte sich endlich gegen Abeille um, hob sie in ihren Händen wie einen Vogel aus und bedeckte das Gesicht des kleinen Mädchens mit Küssen.
»Man sieht Dich nicht mehr, Liebe!« sagten gleichzeitig Regina und Frau von Marande, indeß sich Carmelite, der Fragola während ihrer Wiedergenesung treue Gesellschaft geleistet hatte, da sie ihr keinen ähnlichen Vorwurf machen konnte, daraus beschränkte, daß sie ihr die Hand drückte.
»Es ist wahr, meine Schwestern,« erwiderte Fragola, »Ihr seid die Prinzessinnen, und ich bin die arme Cendrillon,11 muß beim Herde bleiben . . . «
»Ah! nicht wie Cendrillon,« sagte Abeille, »wie Trilby.«
Das Kind hatte das reizende Mährchen von Charles Nodier gelesen.
»Außer bei großen Veranlassungen,« fuhr Fragola fort, »außer bei ernsten Dingen . . . Dann wage ich es, und ich komme, um Euch zu fragen,