Leser erinnern sich vielleicht des nächtlichen Besuches, den Carmelite und Colombau, zur Zeit ihres so schnell verlaufenen Glückes, in einer Frühlingsnacht dem Grabe von la Ballière machten. In jener Nacht, wie man sich auch erinnert, gingen sie, nachdem sie die Rue Saint-Jacques und die Rue du Val-de-Grace durchschritten hatten, gegen links und kamen in der Rue d’Enfer vor eine kleine hölzerne Gitterthüre, welche dem ehemaligen Garten der Carmeliterinnen als Eingang dient.
Nun wohl, jenseits der Straße, – folglich rechts, wenn man nach dem Observatoire geht, diesem Garten der Carmeliterinnen beinahe gegenüber, war eine gewölbte Thüre mit eisernem Gitter und durch eine eiserne Kette geschlossen.
Schaut im Vorübergehen durch die Gitterstangen dieser Thüre, und Ihr werdet erstaunt sein, wenn Ihr die üppigste Vegetation seht, die Ihr je vor den Augen gehabt, die Ihr je in einem Traume erschaut habt.
In der That, man denke sich einen Wald von Platanen, Adamsfeigenbäumen, Kastanienbäumen, Sumachs, Fichten, Tulpenbäumen mit einander wie Lianen verschlungen und verbunden durch tausendarmigen Epheu, in einem unentwirrbaren Durcheinander, in einer unglaublichen Verwirrung: ein für den Menschen undurchdringlicher Wald, ein Urwald Indiens oder Americas, und man wird kaum einen Begriff von der Zauberwirkung haben, die aus den erstaunten Vorübergehenden der Anblick dieses vereinzelten, mehr als vereinzelten, geheimnißvollen Parkwinkels hervorbringt,
Doch der Zauber, den der Anblick eines Urlandes und einer üppigen Vegetation verursacht, verschwand sehr bald und machte einer Art von Schrecken Platz, wenn, statt diesen Wald am hellen Tage zu sehen, der Vorübergehende seinen Blick durch die Gitterstangen in der Abenddämmerung oder in der Finsternis tauchte, welche der Mitternachtsmond sichtbar machte.
Da erblickte er, beim bleichen Scheine der Königin mit dem silbernen Diadem, in der Ferne die Trümmer eines eingestürzten Hauses und einen ungeheuren gähnenden Brunnen in einem Dickicht von hohem Grase: da hörte er unter der tiefen Stille jene tausend seltsamen Geräusche, die um Mitternacht aus den Kirchhöfen, den verfallenen Thürmen und den unbewohnten Schlössern hervorkommen: dann, wenn, – statt von jenem dreifachen Erze umschlossen zu sein, von dem Horaz in Beziehung auf den ersten Schiffer spricht, – die Einbildungskraft des verspäteten Wanderers, eines Schülers von Göthe oder Lesers von Hoffmann, auch nur ein wenig von der Lecture dieser zwei Dichter erfüllt wäre, würden ihm die Erinnerung an die Burgen des Rheins, wohin die Gespenster der Feudalbaronen zurückkehren, die Geister der böhmischen Wälder, alle Mährchen, alle Legenden, alle schlimmen Geschichten des alten Deutschlands wieder in den Kopf kommen, und er würde von diesen schweigsamen Bäumen, von diesem offenen Brunnen, von diesem eingestürzten Hause ihre Geschichte, ihr Mährchen oder ihre Legende verlangen.
Was wäre es dann bei dem, welcher, nachdem er die Trödlerin, – eine gute, brave Frau Namens Thomas, die gerade gegenüber, auf der andern Seite der Straße, wohnt, – was wäre es dann, sagen wir, wenn er, nachdem er diese brave Frau über die Legende oder die Geschichte des geheimnißvollen Parkes befragt hätte, durch Vergünstigung, durch Gewalt oder durch List das Mittel, ihn zu besichtigen, erhielte! Er würde sicherlich schauern, sähe er nur durch das Gitter diesen seltsamen, düsteren, unbeschreiblichen Wirrwarr von alten Bäumen, hohen Gräsern, Farnkräutern, Nesseln und kriechendem Epheu.
Ein Kind würde es nicht wagen, die Schwelle dieser Thüre zu überschreiten; eine Frau würde beim Anblicke dieses Parkes ohnmächtig werden.
Mitten in diesem Quartier, das schon so voll von Legenden, – mit der vom Teufel von Vauvert anzufangen, – ist dieser Park eine Art von Nest, wo tausend Legenden entstehen, die Euch der erste der Beste von der Barrière bis zur Porte Saint-Jacques, vom Observatoire bis zur Place Saint-Michel erzählen wird.
Welche ist die wahrste von allen diesen sich widersprechenden Legenden? Wir vermöchten es nicht zu sagen; doch wir wollen, ohne sie als ein evangelisches Wort zu geben, diejenige mittheilen, welche uns persönlich ist, und man wird begreifen, warum die Erinnerung an dieses düstere, fantastische Haus bei uns so tief in den Geist eingedrungen ist, daß sie nach Verlauf von dreißig Jahren noch darin bleibt.
Ich war kurz zuvor in Paris angekommen; ich zählte zwanzig Jahre, wohnte im Faubourg Saint-Denis und hatte eine Geliebte in der Grande-Rue-d’Enfer.
Sie fragen mich, warum ich, im Faubourg Saint-Denis wohnend, eine Geliebte in diesem abgelegenen Quartier, das so fern von dem meinigen, gewählt habe. Daraus antworte ich Ihnen, daß man mit. zwanzig Jahren, wenn man von Villers-Coterets ankommt und nur zwölfhundert Franken Gehalt hat, seine Geliebte nicht wählt, sondern von ihr gewählt wird.
Ich war also von einer hübschen jungen Person gewählt worden, welche, wie gesagt, in der Grande-Rue-d’Enfer wohnte.
Ich machte dreimal in der Woche, zur großen Angst meiner armen Mutter, dieser schönen jungen Person einen nächtlichen Besuch; ich ging um zehn Uhr Abends von Hause weg und kam gegen drei Uhr Morgens zurück.
Nach meiner Gewohnheit als noctambuler Tourist trug ich, auf meine hohe Gestalt und meine Stärke mich verlassend, weder Stock, noch Pistolen, noch Dolch bei mir.
Der Weg, den ich machte, war sehr einfach; wäre er auf der Karte von Paris mit einem Lineal und einem Bleistift gezogen worden, er hätte keine geradere Linie verfolgt: ich ging vom Faubourg Saint-Denis Nr. 53 aus; ich wanderte über den Pont-au-Change, durch die Rue de la Barillerie, über den Pont Saint-Michel; ich durchschritt die Rue de la Harpe; sie führte mich nach der Rue d’Enfer, die Rue d’Enfer nach der Rue de l’Est, die Rue de l’Est nach der Place de l’Observatoire;, dann zog ich mich am Hospice des Enfants-Troupés hin und trat durch die Barrière, und zwischen der Rue de la Pepinière und der Rue de la Rochefoucauld öffnete ich die kleine Thüre eines Gartens, der nach einem Hause führte, das heute verschwunden ist und vielleicht nur noch in meiner Erinnerung lebt. Ich kam auf demselben Wege zurück, das heißt, ich machte ungefähr zwei Meilen in meiner Nacht.
Meine arme Mutter, die sich schon sehr ängstigte, ohne zu wissen, wohin ich ging, würde sich wohl noch viel mehr geängstigt haben, hätte sie mir folgen, und sehen können, durch welche finstere Wüste mein Gang von dem aus, was man die Ecole des Mines nennt, vollführt wurde.
Doch der ödeste und düsterste Ort von dieser ganzen Marschlinie waren unstreitig die fünfhundert Schritte, die ich von der Rue de l’Abbé-de-l’Epée nach der Rue de Port-Royal gehend und von der Rue de Port-Royal nach der Rue de l’Abbé-de-l’Epée zurückkehrend machte. Diese fünfhundert Schritte gingen längs den Mauern des verfluchten Hauses hin.
Ich gestehe, daß in mondlosen Nächten diese fünfhundert Schritte mich beklommen machten.
Es gibt einen Gott für die Trunkenen und die Verliebten, sagt man. Gott sei Dank, ich vermöchte, was die Trunkenen betrifft, nicht zu urtheilen; was aber die Verliebten betrifft, da wäre ich versucht, es zu glauben: ich hatte nie ein schlimmes Zusammentreffen.
Gequält von der Wuth, Alles zu ergründen, die mich beständig anstachelte, hatte ich allerdings den Entschluß gefaßt, wie man sagt, den Stier beiden Hörnern zu packen, das heißt, in das Innere dieser geheimnißvollen Einsamkeit einzudringen.
Ich fing damit an, daß ich mich nach der betreffenden Legende bei der Person erkundigte, welche mich, von zwei Nächten eine, die so eben von mir erzählte Unklugheit begehen ließ. Sie versprach, ihren Bruder, einen der unbändigsten Studenten des Quartier Latin, darüber zu fragen; ihr Bruder bekümmerte sich wenig um Legenden; um jedoch die Neugierde seiner Schwester zu befriedigen, erkundigte er sich, und Folgendes sind die Details, die er sammelte.
Die Einen sagten, dieses Haus sei das Eigentum eines reichen Nabobs, der, nachdem er seine Söhne und seine Töchter, seine Enkel und seine Enkelinnen, sowie auch seine Urenkel hatte sterben sehen, – denn der Indier zählte fast anderthalb Jahrhunderte, – geschworen habe, Niemand mehr zu sehen, nur Wasser aus seiner Cisterne zu trinken, nur Gras von seinem Garten zu essen, seinen Leib nur aus der kahlen Erde, seinen Kopf nur aus einem steinernen Kissen ruhen zu lassen.
Andere behaupteten, dieses Haus diene als Schlupfwinkel für eine Falschmünzerbande, und alle falsche Geldstücke, welche in Paris im Umlaufe seien, werden zwischen der Allee de l’Observatoire und der Rue de I’Eft verfertigt.
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