gleich im Anfang stehen und ließen sich an Unschuld, Einfachheit und Reinheit von der Liebe irgendeiner erwachsenen Pensionärin nicht überbieten.
Am meisten mied er jene bleichen, traurigen Jungfrauen, die größtentheils schwarze Augen haben, in denen sich »die qualvollen Tage und nicht ganz schuldlosen Nächte« wiederspiegelten, Jungfrauen, mit von niemand gekannten Leiden und Freuden, mit blauen Ringen unter den Augen, Jungfrauen, die immer etwas anzuvertrauen und zu sagen haben und die, wenn es dazu kommt, erbeben, in plötzliche Thränen ausbrechen, dann den Hals des Freundes plötzlich mit den Armen umschlingen, ihm lange in die Augen, dann auf den Himmel schauen und sagen, daß ihr Leben von einem Fluch bedroht sei und manchmal in Ohnmacht fallen. Er wich ihnen ängstlich aus. Seine Seele war noch rein und jungfräulich; sie erwartete vielleicht ihre Liebe, ihre Zeit, ihre pathetische Leidenschaft und später hörte sie mit den Jahren scheinbar warten auf und verzweifelte.
Ilja Iljitsch verabschiedete sich noch kühler von dem Haufen seiner Freunde. Gleich nach dem ersten Brief des Dorfschulzen von den Rückständen und der Mißernte vertauschte er seinen nächsten Freund, den Koch, mit einer Köchin, verkaufte dann die Pferde und schickte dann seine übrigen »Freunde« fort.
Fast nichts übte auf ihn eine genügende Anziehungskraft aus, um ihn aus dem Hause herauszulocken, und er setzte sich mit jedem Tage immer mehr und ständiger in seiner Wohnung fest.
Zuerst fiel es ihm schwer, den ganzen Tag angekleidet zu verbringen, dann wurde er zu faul auswärts zu speisen, außer bei sehr nahen Bekannten, meistens bei ledigen Kameraden, bei denen man die Cravatte ausziehen und die Weste aufknöpfen durfte, es sich sogar »bequem« machen und eine Stunde lang schlafen konnte. Bald wurden ihm auch die Abende lästig. Er mußte einen Frack anziehen und sich täglich rasieren. Er hatte irgendwo gelesen, nur die Morgendünste wären gesund, während die Abenddünste schadeten, und begann sich vor Nässe zu fürchten. Trotz allen diesen Grillen gelang es seinem Freunde Stolz, ihn unter Menschen zu bringen, aber Stolz verreiste oft aus Petersburg nach Moskau, nach Nischnij-Nowgorod, in die Krim und auch ins Ausland, und ohne ihn gab sich Oblomow gänzlich seiner Abgeschlossenheit und Einsamkeit hin, aus welcher ihn nur etwas Außerordentliches, das sich vom gewöhnlichen Gang seines Lebens scharf abhob, aufscheuchen konnte; doch etwas Ähnliches kam nicht vor und war auch nicht vorauszusehen.
Außerdem war zu ihm mit den Jahren eine kindische Schüchternheit zurückgekehrt, und weil er die verschiedenartigen äußeren Erlebnisse nicht mehr gewohnt war, erwartete er von allem, was außerhalb der Sphäre seines äußeren Lebens lag, Gefahr und alles Böse.
Ihn erschreckte z.B. nicht der Riß im Plafond seines Schlafzimmers. Er hatte sich daran gewöhnt; es fiel ihm auch nicht ein, daß die stets eingeschlossene Luft seines Zimmers und das beständige Zuhausesitzen für seine Gesundheit beinahe verderblicher waren, als die nächtliche Feuchtigkeit, und daß die tägliche Überfüllung des Magens eine Art von progressivem Selbstmord bedeutete. Doch er hatte sich daran gewöhnt und fürchtete das alles nicht. Doch Bewegung, Leben, viele Menschen und Trubel waren ihm etwas Ungewohntes. Er fühlte sich in der Menschenmenge beengt, er stieg mit der schwankenden Hoffnung, glücklich ans Ufer zu gelangen ins Boot, und erwartete, wenn er im Wagen fuhr, die Pferde würden scheu werden und umschmeißen. Manchmal überfiel ihn eine nervöse Angst. Er fürchtete sich vor der ihn umgebenden Stille und wußte oft selber nicht, warum es ihn kalt überlief. Es kam vor, daß er ängstlich in eine dunkle Ecke schielte, in der Erwartung, seine Phantasie würde ihm einen Streich spielen, und ihm eine übernatürliche Erscheinung zeigen.
Das war das Ende seiner gesellschaftlichen Laufbahn. Er wies mit einer trägen Handbewegung alle seine Jugendhoffnungen von sich, die ihn betrogen hatten oder die er betrogen hatte, all die zarten, traurigen und lichten Erinnerungen, die manchen das Herz noch im Alter klopfen machen.
VI
Was machte er denn zu Hause? Las er? Schrieb er? Lernt er? Ja, wenn ihm ein Buch oder eine Zeitung in die Hand kam, las er. Wenn er von irgendeinem merkwürdigen Werk hörte, erwacht in ihm der Wunsch es kennen zu lernen; er sucht danach, bittet, ihm das Buch zu bringen, und wenn man es bald bringt, nimmt er es vor und beginnt sich eine Vorstellung über den Gegenstand zu bilden; nur noch ein einziger Schritt und er würde denselben beherrschen, wenn man aber nach einer Weile hinsieht, ruht er schon wieder, apathisch auf die Zimmerdecke blickend, und das Buch liegt, nicht zu Ende gelesen und unverstanden, neben ihm. Die Abkühlung erfaßte ihn noch schneller als die Begeisterung. Er kehrte nie mehr zum verlassenen Buch zurück. Und dabei hatte er wie die andern, wie alle, bis zum fünfzehnten Jahr im Pensionat gelernt; dann entschlossen sich die alten Oblomow nach langem Kampf Iljuscha nach Moskau zu schicken, wo er, er wollte oder nicht den Lehrcursus bis zu Ende verfolgen mußte. Sein schüchterner, apathischer Charakter hinderte ihn daran seine Faulheit und seine Launen vor fremden Leuten, in der Schule, wo man zu Gunsten von verwöhnten Muttersöhnchen keine Ausnahme machte, ganz zu äußern. Er saß nothgedrungen in gerader Haltung in der Classe da, hörte zu, was die Lehrer sagten, weil er nicht anders durfte, und lernte mit Mühe, schwitzend und seufzend seine Aufgaben.
Er überschritt niemals die Zeile, unter welcher der Lehrer mit dem Nagel einen Strich gezogen hatte, stellte ihm keinerlei Fragen und forderte keinerlei Erklärungen. Er begnügte sich damit, was im Heft stand und äußerte auch dann keine lästige Neugierde, wenn er nicht alles verstand, was er hörte und lernte. Wenn es ihm irgendwie gelang, ein Buch, das Statistik, Geschichte, politische Ökonomie hieß, zu bewältigen, war er ganz zufrieden. Wenn ihm aber Stolz Bücher brachte, welche er noch außer dem Gelernten lesen sollte, blickte Oblomow ihn lange schweigend an. »Auch Du Brutus bist gegen mich,« sagte er seufzend und nahm die Bücher vor. Ein so übermäßiges Lesen erschien ihm unnatürlich und lästig. »Wozu sind denn alle diese Hefte, auf welche man eine Menge Papier, Zeit und Tinte verwendet? Wozu sind die Schulbücher? Wozu sind endlich die sechs, sieben Jahre des Einsiedlerthums, all die Strenge, die Strafen, das Einsperren und Quälen mit Aufgaben, das Verbot zu laufen, herumzutollen und lustig zu sein, wenn noch nicht alles zu Ende ist?« »Wann soll man denn leben?« – fragte er sich wieder. »Wann soll man denn endlich dieses Wissenscapital, dessen größten Theil man im Leben gar nicht verwenden kann, in Umsatz bringen? Was werde ich zum Beispiel mit politischer Ökonomie, mit Algebra und Geometrie in Oblomowka anfangen?« Und die Geschichte macht einen nur niedergeschlagen. Man lernt und liest, daß die Stunde der Trübsal gekommen ist, daß der Mensch unglücklich ist; er sammelt seine Kräfte, arbeitet, läuft hin und her, leidet furchtbar und müht sich ab, und das alles, um sich lichte Tage vorzubereiten. Jetzt kommen sie, und die Geschichte könnte ausrasten. Aber nein, es kommen wieder Wolken, das Gebäude stürzt zusammen, man muß wieder arbeiten und sich abmühen. . . Die lichten Tage bleiben nicht, sie flüchten, und das Leben fließt und fließt immerzu weiter und wird immer wieder umgebaut.
Die ernste Lectüre ermüdete ihn. Den Denkern gelang es nicht, in ihm den Durst nach beschaulichen Wahrheiten wachzurufen. Aber die Dichter packten ihn mächtig, und er wurde dabei ein Jüngling wie alle. Auch für ihn kam der glückliche, niemand versagte Augenblick des Lebens, wo die Kräfte aufblühen, die Hoffnung auf das Sein, der Wunsch des Guten, der Thaten und Wagnisse erwacht, die Epoche des Herzklopfens, des gesteigerten Pulses; des Bebens, der begeisterten Reden und süßen Thränen, Verstand und Herz läuterten sich. Er schüttelte die Schläfrigkeit von sich ab, die Seele verlangte nach Thätigkeit. Stolz verhalf ihm dazu, diesen Moment um so viel zu verlängern, als es für seine Natur, wie sein Freund sie besaß, nur irgend möglich war. Er ertappte Oblomow bei den Dichtern und hielt ihn im Laufe von anderthalb Jahren im Bann des Gedankens und der Wissenschaft. Er nützte den jugendlichen Aufschwung aus, schloß in das Lesen der Dichter außer dem Genuß neue Ziele ein, wies ihn mit einer gewissen Strenge auf die in der Ferne liegenden Weges ihres Lebens hin und riß ihn mit sich in die Zukunft. Beide regten sich auf, weinten und versprachen einander feierlich, einen vernünftigen und lichten Weg zu wählen. Stolzʼ jugendliches Feuer steckte Oblomow an, und er vergieng vor Sehnsucht nach Arbeit, nach einem fernen, aber verlockenden Ziel.
Doch die Blüte des Lebens entfaltete sich ohne Früchte tragen. Oblomow wurde nüchtern und las nur manchmal, auf den Rath von Stolz hin, das eine oder das andere Buch, doch er that es nicht auf einen Zug, nicht plötzlich und ohne Gier, er ließ Augen nur träge den Zeilen folgen. Wie interessant die Stelle, die er las, auch sein mochte, wenn ihn aber