aber wenn sie siegen, werden sie es dann zugeben, dass Du Dich mir weihst, da sie dies beinahe verhinderten, als sie besiegt waren? Sieh, Marie, was ich mehr fürchte, als meinen Sturz, mehr als die Zertrümmerung meiner Macht, mehr als die Enttäuschung meines Ehrgeizes, das ist die Trennung von Dir. Ach, wenn ich nur gegen Spanien zu kämpfen hatte, gegen Österreich, gegen Savoyen, so wäre das nichts; aber gegen Die kämpfen zu müssen, die mich umgeben, die ich reich, glücklich, mächtig mache; aber wenn ich den Fuß erhebe, es nicht zu wagen, ihn niederzusetzen, aus Furcht, auf eine Natter, auf einen Scorpion zu treten, das ist es, was mich erschöpft. Was kümmert mich der Kampf gegen Spinoza, Waldstein, Olivarez? Ich werde sie niederwerfen. Sie sind nicht meine wahren Feinde, meine wahren Nebenbuhler! Mein wahrer Nebenbuhler ist ein Vauthier, mein wahrer Feind ist ein Bérulle, ein unbekannter Mensch, der in einem Alkoven intrigiert, in den Vorzimmern umher kriecht, ein Mensch, dessen Namen, dessen Existenz ich sogar nicht kenne. – Ich schreibe Tragödien; ach, ich kenne keine finsterere, als die, welche ich spiele! Während ich gegen die englische Flotte kämpfe, während ich die Mauern von la Rochelle niederwerfe, gelingt es mir, durch die Macht des Genies – ich darf dies sagen, obgleich ich von mir selbst spreche – außer meiner Armee in Frankreich zwölftausend Mann auszuheben. Ich gebe Sie dem Herzog von Nevers, dem rechtmäßigen Erben von Mantua und Montferrat, um damit seine Erbschaft zu erobern. – Das wäre mehr, als nöthig gewesen, hätte ich nur Philipp IV., Carl Emanuel und Ferdinand II. zu bekämpfen gehabt, d. h. Österreich, Spanien und Piemont! Aber der Astrolog Vauthier hat in den Sternen gelesen, dass die Armee die Berge nicht überschreiten wird, und der fromme Bérulle fürchtet, dass die Siege des Herzogs von Nevers das gute Einverständnis zwischen Seiner katholischen Majestät und Seiner aller christlichsten Majestät stören möchte. Sie lassen daher durch die Königin-Mutter an Créqui schreiben, an Créqui. den ich zum Pair, zum Marschall von Frankreich, zum Gouverneur der Dauphine machte, und Créqui, der meinen Sturz erwartet, um mit Zurücksetzung von Montmorency Connetable zu werden, verweigert die Lebensmittel, mit denen er im Überfluss versehen ist. Der Hunger reißt in der Armee ein; in Folge des Hungers die Desertion, in Folge der Desertion siegt der Savoyarde! Aber wer hat die Felsblöcke geschleudert, welche die Trümmer der französischen Armee vernichteten, indem sie von den Bergen Savoyens herabrollten? Eine Königin von Frankreich, Maria von Medicis.
»Freilich ist es wahr, dass Maria von Medicis, ehe sie Königin von Frankreich wurde, die Tochter des Herzogs Franz war, d. h. die Tochter eines Mörders und die Nichte Ferdinands, eines ehemaligen Kardinals, der seinen Bruder und seine Schwägerin vergiftete! So wird man es auch, mit mir machen, oder vielmehr mit meiner Armee, wenn ich nicht nach Italien gehe; gehe ich aber hin, so unterwühlt man mich hier, bis ich zusammenstürze. Und dennoch ist es das Wohl Frankreichs, das ich will. Mantua und Montferrat sind kleine Länder, aber wichtig als militärische Stellungen; Casale ist der Schlüssel der Alpen und ist dieser Schlüssel in den Händen des Savoyarden, so leiht er ihn – wie sein Interesse es fordert – bald am Österreich, bald an Spanien. Mantua, die Hauptstadt der Gonzaga s, schützt die fliehenden Künste; Mantua, ein Museum, ist zugleich mit Venedig das letzte Nest in Italien geblieben. Mantua deckt Toscana, den Papst und Venedig. – »Ihr werdet vielleicht Casale entsetzen, aber Ihr werdet Mantua nicht retten!« schreibt mir Gustav Adolph. Ha. wenn ich nicht Kardinal, nicht von Rom abhängig wäre, so möchte ich keinen anderen Verbündeten haben, als Gustav Adolph. Aber wie kann ich mit den Protestanten des Nordens eine Allianz schließen, während ich die Protestanten des Südens vernichte? Wenn ich wenigstens die Gewissheit hätte, Legat zu wenden! Wenn es mir gelänge, in meiner Hand die weltliche und die geistliche Macht zu vereinigen! Legat auf Lebenszeit! Und wenn man bedenkt, dass es ein Charlatan ist – Vauthier; ein Dummkopf – Bérulle, welche die Verwirklichung solcher Pläne hindern.
»Und dabei erinnere ich mich doch zuweilen daran, dass sie Alle in meiner Hand sind. Ich habe Beweise, dass durch Ehebruch die Ehre Heinrichs IV. und der französischen Krone geschändet wurde, ich habe auch Zeugen! Frau von Bellier und Patrocle gegen die Königin Anna von Österreich, die Escoman gegen Maria von Medicis; ich werde die Esoman suchen, deren Worte die Anklage des Mordes auf das ergrauende Haupt der Königin-Mutter schleudern sollen ich werde sie in dem Kloster aufsuchen, wo sie jetzt ihr sündiges Leben bereut, und sollte sie gestorben sein, werde ich ihre Leiche ausscharren lassen, und diese Leiche wird zeugen gegen meine Feindin!«
»Lieber Onkel,« sagte Frau von Combalet, welche sah, dass Richelieu sich allzu sehr aufregte, »denken wir jetzt nicht an diese verdrießlichen Geschichten, und plaudern wir!«
»Du hast Recht, liebes Kind; wo warst Du heute Abend?«
»Bei der Marquise von Rambouillet.«
»Was trieb man dort?«
»Nun, was man immer dort zu treiben pflegt, etwas Malerei, etwas Liebe und sehr viel Poesie! – Es wurde auch ein junger Dichter aus Rouen vorgestellt.«
»Dieses Rouen scheint ziemlich reich an poetischen Naturen; da arbeitet auch in meinem Kabinett ein solcher junger Taugenichts aus Rouen, Namens Rotrou, dem ich den Weg zu Parnasse ebnen soll; wie heißt denn der neu gebackene Dichter?«
»Peter Corneille!«
Der Kardinal machte mit Kopf und Schultern eine Bewegung, welche sagen wollte: »Mir unbekannt.«
»Und er kommt ohne Zweifel mit einem Trauerspiel in der Tasche?«
»Mit einem fünfaktigen Lustspiel.«
»Der Titel?«
»Melita.«
»Das ist kein historischer Name.«
»Nein, es ist ein Stoff eigener Erfindung. Rotrou behauptet, Corneille sei dazu bestimmt, alle gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Dichter zu verdunkeln.«
»Der Unverschämte!« Darauf fuhr er fort: »Man war ja, wenn ich nicht irre, auch auf eine Überraschung gefasst; ist die Erwartung in Erfüllung gegangen?«
»Im vollsten Maße; denkt Euch, Onkel, dass sich vor unseren erstaunten Blicken plötzlich eine Mauer, von der wir wussten, dass sie in den Garten führe, auftat wie die Sesamhöhle, und wir an der Schwelle eines feenhaft ausgeschmückten Gemaches standen, wie ich Reizenderes noch nicht gesehen!«
»Wenn Du Dir das Gemach genau in die Erinnerung zurückzurufen vermagst, so sollst Du ein ähnliches in unserem neuen Landhaus haben. Du weißt, dass ich für meine liebe Nichte kein Opfer scheue. – Waren mit diesem Feengemache die Überraschungen erschöpft?«
»O nein, wir hatten noch eine, aber die war nicht im Programm der Marquise, es war im Gegenteil eine sehr traurige Überraschung.«
»Was war es?«
»Ich weiß nicht, ob ich es erzählen soll, weil ein Degenstoß dabei vorkommt.«
»Was? Wieder ein Duell?« sagte Richelieu. die Stirn runzelnd, »soll denn dieser barbarische Gebrauch in Frankreich nie ausgerottet werden können?«
»Es war nicht eigentlich ein Duell, sondern ein Rencontre. Der Marquis wurde in das Hotel gebracht, ohnmächtig in Folge einer Wunde.«
»Gefährlich?«
»Nein; aber es war ein Glück für ihn, dass er bucklig ist, denn die Klinge traf auf den Höcker, konnte nicht eindringen und glitt an dm verwachsenen Rippen ab.«
»Weiß man, woraus der Kampf entstand?«
»Ich glaube, ich hörte den Grafen von Moret nennen.«
»Den Grafen von Moret?« wiederholte Richelieu, wieder die Stirn runzelnd; »seit drei Tagen hörte ich diesen Namen schon mehrmals. Und wer versetzte dem Marquis Pisani diesen schönen Degenstoß?«
»Einer seiner besten Freunde, hundert Schritte von dem Hotel Rambouillet entfernt.«
Der Kardinal zog ein Notizbuch zu Rate.
»Und wer war der Angreifer?« fragte er, während er die Blätter des Notizbuches überflog.
Frau von Combalet