sich an seinen Sekretär.
»Er ist schon zweimal dagewesen, Eminenz.«
»Sollte er heute noch ein drittes Mal kommen, so werdet Ihr ihn eintreten lassen. – Ist Cavois im Wachzimmer?«
»Ja.«
»Sagt ihm, er solle sich heute nicht entfernen, bis ich ihn rufe.«
»Sehr wohl. Eminenz.«
Auch der Sekretär entfernte sich durch die Tür, durch welche er in das Zimmer getreten war.
»Nun, Rossignol,« fragte der Kardinal, als er mit seinem Dechiffreur allein war. »habt Ihr die Chiffre des Briefes gefunden, den ich Euch gab? Ihr wisst, dass derselbe unter den Papieren des königlichen Arztes Senelle gestohlen wurde, als derselbe von Lothringen zurückkehrte.«
»Ja, gnädigster Herr,« erwiderte mit entschieden südlichem Akzent ein kleiner Mann von fünfundvierzig bis fünfzig Jahren, beinahe bucklig durch die Gewohnheit einer gebückten Haltung. Sein hervorstechendster Zug war eine so lange Nase, dass darauf drei bis vier Brillen Platz gefunden hätten; er besaß indes die Bescheidenheit, nur eine einzige darauf reiten zu lassen.
»Die Auflösung war leicht,« antwortete er; »Céphalus bedeutet den König, Procris die Königin, das Orakel heißen Eure Eminenz, mit der Venus ist Frau von Combalet gemeint.«
»Gut; gebt mir den Schlüssel,« sagte der Kardinal; »ich werde die Depesche selbst lesen.«
Rossignol trat einen Schritt zurück, um sich zu entfernen.
»Apropos,« fügte der Kardinal hinzu; »Ihr werdet mir morgen eine Gratifikation von zwanzig Pistolen zur Unterzeichnung vorlegen.«
»Monseigneur haben mir keine anderen Befehle zu erteilen?«
»Nein, kehrt nach Eurem Kabinett zurück, macht den Schlüssel der Chiffreschrift, und haltet Euch bereit, wenn ich Euch rufen lasse.«
Rossignol entfernte sich, rückwärts schreitend, und verneigte sich bis zum Fußboden.
In dem Augenblicke, als die Tür sich kaum hinter ihm schloss, erzitterte der von einer Glocke in einem Fache des Schreibtisches des Kardinals.
Er öffnete das Fach und erblickte das Glöckchen noch zitternd. Sogleich drückte er, wie zur Antwort, die Fingerspitze auf einen kleinen Knopf, der ohne Zweifel mit der Wohnung der Frau von Combalet in Verbindung stand, denn eine Minute später trat sie bei ihrem Onkel durch eine Tür ein, welche denen gegenüber lag, die sich bisher geöffnet hatten.
Ihre Kleidung war sehr verändert; sie hatte ihren Schleier und ihre Binde, ihr Scapulir und ihren Brustschleier abgelegt, so dass sie nur noch ihr wollenes Gewand bewahrte, welches um die Taille durch einen Ledergürtel gehalten wurde. Ihre schönen, kastanienbraunen Haare, aus ihrer Haft erlöst, fielen in reichen Ringeln auf ihre Schultern herab und ihr Gewand, das etwas mehr ausgeschnitten war, als der Orden es ihr gestattet haben würde, wäre sie eine wirkliche Carmeliterin gewesen, statt das Gewand einer solchen in Folge eines Gelübdes zu tragen, zeigte die Umrisse eines Busens, welchen das Bouquet von Veilchen und Rosenknospen schmückte, das wir schon bei Frau von Rambouillet erwähnten, das damals aber ihren Busenschleier zierte.
Dieses braune Gewand, welches unmittelbar auf ihrer Haut ruhte, hob wunderbar die Atlasweiße ihres eleganten Halses und ihrer schönen Hände, und da sie nicht in einen jener eisernen Schnürleiber eingezwängt war, welche man damals trug, wogte ihr Busen frei unter den schönen Falten, welche ihr Kleid aus Wolle warf, der kleidsamste aller Stoffe.
Bei dem Anblicke dieses anbetungswürdigen Geschöpfes, das ganz in einen mystischen Wohlgeruch gehüllt war, kaum sein fünfundzwanzigstes Jahr erreicht hatte, in der höchsten Blüte seiner Schönheit stand und durch die Einfachheit seiner Kleidung womöglich noch schöner und anmutiger gemach wurde, erheiterte sich die gerunzelte Stirne des Kardinals. Ein hellerer Strahl beleuchtete seine finstere Physiognomie, ein erleichternder Seufzer hob seine Brust und er streckte der Eintretenden seine beiden Arme entgegen, indem er rief:
»Komm, komm, Marie!«
Die junge Frau bedurfte dieser Ermutigung nicht, denn sie trat mit einem reizenden Lächeln auf ihn zu, nahm das Bouquet von ihrem Busen, presste es an ihre Lippen und überreichte es ihrem Oheim.
»Ich danke Dir, mein schönes, teures Kind,« und indem er tat, als wollte er den Duft des Bouquets einatmen, drückte er es ebenfalls an seine Lippen.
»Ich danke Dir, meine liebe Tochter.«
Dann zog er sie an sich und küsste sie wie ein Vater sein Kind.
»Ja, ich liebe diese Blumen,« fuhr er fort. »Sie sind frisch, wie Du, Wohlgeruch atmend, wie Du.«
»Ihr seid viel zu gut, mein teurer Onkel! Ihr habt mir sagen lassen, dass Ihr mich zu sehen wünscht; sollte ich so glücklich sein, dass Ihr meiner bedürftet?«
»Ich bedarf deiner stets, meine schöne Marie,« sagte 2er Kardinal, indem er seine Nichte mit Entzücken betrachtete; »diesen Abend jedoch ist deine Gegenwart mir notwendiger denn je.«
»Ach, mein guter Onkel,« sagte Frau von Combalet, und versuchte es, die Hände des Kardinals zu küssen; er duldete es indes nicht, sondern zog vielmehr die Hände seiner Nichte an seine Lippen und küsste sie, ungeachtet ihres Widerstandes. Dieser Widerstand rührte jedoch weit Mehr von der tiefen Ehrfurcht her, welche die junge Witwe für ihren Onkel hegte, als aus irgend einem anderen Grunde; dann sagte sie: »Ich sehe, dass Ihr diesen Abend wieder sehr bedrückt seid,« und mit trübem Lächeln fügte sie hinzu: »Ihr solltet doch daran schon gewöhnt sein. Was bekümmert Euch übrigens? Gelingt Euch nicht Alles?«
»Ja,« sagte der Kardinal, »ich weiß wohl, es ist unmöglich, zugleich höher und niedriger zu stehen, glücklicher und unglücklicher, mächtiger und ohnmächtiger zu sein, wie ich es bin. Du weißt es aber besser, als irgend Jemand, Marie, wovon mein politisches Gedeihen und das Glück meines Privatlebens abhängt. Du liebst mich von ganzem Herzen, nicht wahr?«
»Von ganzem Herzen, von ganzer Seele!«
»Nun wohl! Du wirst Dich erinnern, dass ich nach Dem Tode von Chalais einen großen Sieg errungen hatte; ich sah zu meinen Füßen niedergeworfen Monsieur, die Königin, die beiden Vendômés, den Grafen von Soissons. Was taten nun Die, denen ich verzieh? Sie haben mir nicht verziehen; Sie verwundeten mich da, wo ich am empfindlichsten bin, an dem Herzen meines Herzens. Sie wussten. dass ich aus der Welt nichts so sehr liebe, wie Dich; dass deine Anwesenheit mir daher so notwendig ist, wie die Luft, die ich atme, wie die Sonne, die mich bescheint. Nun wohl! Sie machten Dir ein Gewissen daraus, mit diesem verdammten Priester, mit diesem Blutmenschen, zu leben! Mit mir zu leben! Ja, Du lebst mit mir, oder, noch mehr zu sagen, ich lebe durch Dich. Nun wohl! dies Leben, so treu ergeben von deiner Seite, so rein von der meinigen, dass ich nie einen schlechten Gedanken hegte, selbst nicht, wenn ich Dich so schön sah, selbst nicht, wenn ich Dich – wie jetzt – in meinen Armen hielt; dies Leben, auf das Du stolz, sein musst, wie auf ein Opfer, haben sie Dir zur Schande angerechnet; Du bekamst Furcht, Du erneuertest dein Gelübde, Du wolltest in das Kloster eintreten. Dir dies zu verwehren, musste ich ein Breve von dem Papst erbitten, gegen den ich Krieg führte. Wie kannst Du also wollen, dass ich nicht zittern soll? Wenn sie mich tödten, so ist das nichts; bei der Belagerung von la Rochelle habe ich mein Leben zwanzigmal auf das Spiel gesetzt; aber wenn sie mich stürzen, wenn sie mich verbannen, wenn sie mich einkerkern, wie soll ich dann leben, fern von Dir?«
»Mein teurer Onkel,« entgegnete die schöne Fromme, indem sie auf den Kardinal einen Blick richtete, in welchem man mehr lesen konnte, als die Zärtlichkeit einer Nichte für ihren Oheim, und vielleicht selbst mehr, als die Liebe einer Tochter für ihren Vater; »Ihr seid gleichwohl in jener Zeit so gut gewesen, wie es nur möglich war. Aber ich kannte, ich liebte Euch noch nicht, wie ich Euch jetzt kenne und liebe. Ich tat ein Gelübde; der Papst hat mich dessen entbunden, und es besteht daher nicht mehr, Nun wohl, in dieser Stunde leiste ich einen Eid, und Ihr selbst werdet nicht die Macht, haben, mich davon zu entbinden: Ich leiste den Eid. überall zu sein, wo Ihr sein werdet, Euch überall zu folgen, wohin Ihr geht: Palast, Exil, Gefängnis sind für mich gleich,