weiß! Der Prinz von Condé erhielt für sich davon allein vier Millionen; doch das interessiert mich nur sehr wenig. Kommen wir also zu unserer eigentlichen Angelegenheit zurück und saget mir, ob Ihr bei all' diesen Dingen nicht von einer Marquise von Escoman man habt sprechen hören?«
»O, das will ich meinen!« sagte Latil. »Sie war eine kleine Frau, ein wenig verwaschen, nannte sich mit ihrem Mädchennamen Jacqueline la Boyer, und hieß nicht Escoman, sondern Coëtman. Sie war nicht Marquise, obgleich man ihr diesen Titel zu geben pflegte; ihr Mann hieß kurzweg Isaac von Varenne. Sie war die Mätresse des Herzogs; Ravaillac wohnte sechs Monate bei ihr. Man beschuldigte sie, mit ihm bei der Ermordung des Königs im Einverständnis gewesen zu sein. Sie sagte Jedem, der es hören wollte, die Königin-Mutter wäre mit in dem Komplott gewesen, aber Ravaillac hätte das nicht gewusst.«
»Was ist aus dieser Frau geworden?« fragte der Kardinal.
»Sie wurde einige Tage vor dem Tode des Königs verhaftet«
»Das weiß ich; sie blieb sogar bis 1619 im Gefängnis; aber in diesem Jahre wurde sie nach einem andern Kerker gebracht. Nach welchem, das habe ich nicht erfahren können. – Wisst Ihr es vielleicht« «
»Monseigneur, Ihr werdet Euch erinnern, dass 1613 von dem Parlamente ein Befehl erlassen wurde, welcher alle weiteren Nachforschungen verbot, und zwar wegen des Standes der Angeklagten. Dieses »wegen des Standes der Angeklagten« war eine fortwährende Drohung. Als Concini ermordet und Luynes allmächtig war, konnte man den Prozess wieder aufnehmen und zu Ende führen; aber Luynes zog es vor, die Königin-Mutter zu gewinnen, um an ihr im Fall der Not eine Stütze zu haben, statt sie zu vernichten und darüber vielleicht eines Tages dem Zorn Ludwig's XIII. ausgesetzt zu sein. Luynes verlangte deshalb damals von dem Parlamente, den Spruch zu Gunsten der Königin umzuändern, die Anklage gegen dieselbe für verleumderisch, Maria von Medicis und den Herzog von Epernon für unschuldig zu erklären und statt ihrer die Cëstman zu verurteilen.«
»Es war in der Tat zu jener Zeit, dass sie verschwand. Aber in welches Gefängnis wurde sie gebracht? Danach fragte ich Euch schon und es ist Euch wahrscheinlich unbekannt, da Ihr mir darauf keine Antwort gabt.«
»Ich kann Euch dennoch sagen, Monseigneur, wo sie ist, oder vielmehr, wo sie war; denn Gott allein kann wissen, ob sie seit den neun Jahren gestorben ist, oder ob sie noch lebt.«
»Gott wird gestatten, dass sie noch am Leben ist!« rief der Kardinal mit einem so entschiedenen Vertrauen, dass man leicht sehen konnte, das Verlangen, sie unter den Lebenden zu wissen, habe an diesem Ausrufe wenigstens eben so viel Anteil, wie sein Gottvertrauen.
Nach einer Pause fügte er hinzu:
»Ich habe immer bemerkt, dass die Seele um so fester an dem Körper hängt, je mehr dieser leidet.«
»Nun wohl, Monseigneur,« sagte Latil, »sie wurde in einem »In peace« eingesperrt, und darin sind ihre Gebeine zuverlässig noch, wenn auch ihr Fleisch vielleicht nicht mehr.«
»Und Ihr wisst, wo dieses »In peace« ist?« fragte lebhaft der Kardinal.
»Es wurde eigens für sie erbaut, Monseigneur. Es liegt in einem Winkel von dem Hose der Büßerinnen. Es ist ein Grab, dessen Tür hinter ihr zugemauert wurde; man sah sie darin hinter einer vergitterten Öffnung, durch deren Stäbe ihr Speise und Trank zugesteckt wurden.«
»Und Ihr habt sie dort gesehen?« fragte der Kardinal.
»Ich sah sie dort, Monseigneur. Man duldete, dass die Kinder mit Steinen nach ihr warfen, wie nach einem wilden Tiere, und sie brüllte wie ein solches: »Sie lügen! Ich bin es nicht gewesen, die ihn ermordet hat. – Sie waren es, die mich hierher brachten!«
Der Kardinal stand auf.
»Es ist kein Augenblick zu verlieren!« rief er aus. »Ich muss diese Frau haben!«
Dann fügte er zu Latil hinzu:
»Werdet gesund, mein Freund, und wenn Ihr geheilt seid, macht Euch keine Sorgen mehr wegen Eurer Zukunft.«
»Pest!« sagte der Verwundete. »Bei einem solchen Versprechen werde ich bald gesund sein, Monseigneur; aber es war auch Zeit!«
»Zeit! Wozu?« fragte Richelieu.
»Dass wir zu Ende kamen, Monseigneur, denn ich fühle mich sehr schwach, und – Na, soll ich etwa jetzt sterben?«
Mit einem tiefen Seufzer sank er zurück auf sein Lager.
Der Kardinal blickte umher und gewahrte ein kleines Fläschchen, von welchem er vermutete, dass es ein Stärkungsmittel enthielte. Er goss einige Tropfen der Flüssigkeit in einen Löffel und flößte sie dem Verwundeten ein. Dieser öffnete die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus; »der es war ein Seufzer der Erleichterung.
Der Kardinal legte nun den Finger auf den Mund, um Latil das Schweigen anzuempfehlen, zog die Capuze wieder über das Gesicht und verließ das Gemach.
VI.
Das »In pace«
Es mochte ungefähr halb zwei Uhr Morgens sein, aber die vorgerückte Stunde war für den Kardinal ein weiterer Grund, seine Nachforschungen fortzusetzen. Er fürchtete, für den Fall, dass er bei Tage an den Pforten dieses Klosters erschiene, wo man alle Dirnen aus den unsauberen Orten von Paris verhaftet hielt, man würde das Motiv seines Kommens erfahren, und Die, um derentwillen er kam, verschwinden lassen. Er wusste, welchen Schleier Concini, die Königin-Mutter und D'Epernon über die schreckliche Angelegenheit der Ermordung Heinrichs IV. zu breiten versucht und auch seither wirklich ausgebreitet hatten. Er wusste und wir haben Einiges davon im vorigen Kapitel gesehen, dass hie schriftlichen Beweisstücke verschwunden waren: er fürchtete nun, man werde auch die lebendigen Beweise verschwinden lassen. Latil war nur ein solcher Wegweiser, welchen der Tod jeden Augenblick brechen konnte; er brauchte diese Frau, bei welcher Ravaillac längere Zeit gelebt hatte, und welche wegen ihres Mitwissens an diesem Staatsgeheimnisse gestorben war oder in einem »In pace« verschmachtete, das heißt, in einem jener Gräber, welche von jenen bewunderungswürdigen Marterknechten erfunden worden sind, welche man Mönche nennt, und die es versuchen, ihren Mitmenschen durch physische Leiden das zurückzuzahlen, was sie sich selbst an physischen und moralischen Martern in einem Alter auferlegten, in welchem sie oft nicht wissen können, ob sie die Kraft haben werden, dieselben zu ertragen.
Es war eine weite Strecke von der Rue de l'Homme Armé, oder vielmehr von der Rue du Plâtre, wo die Sänfte des falschen Kapuziners ihn erwartete, bis zur Rue des Postes, in der das Kloster der Büßerinnen lag, auf demselben Platze, wo seitdem die Madelonettes gestanden haben. Aber der Kardinal verhinderte die Einwendungen, welche die Träger vielleicht machen wollten, indem er jedem derselben zwei silberne Louis in die Hand drückte. Sie schlugen also den kürzesten Weg ein, den sie wählen konnten, und welcher durch die Rue des Billettes, die Rue de la Coutellerie, über die Notre-Dame-Brücke, die kleine Brücke der Rue St. Jacques und die Rue de l'Estrapade führte, durch die man wieder an die Ecke der Rue des Postes gelangte, wo selbst dann an der Ecke der Rue du Chevalier das Kloster der Büßerinnen sich befand.
Als die Sänfte vor der Tür des Klosters hielt, schlug, es auf dem Kirchthurm von St. Jacques zwei Uhr.
Der Kardinal steckte den Kopf durch den Schlag und befahl einem der Träger, heftig zu klingeln.
Der Größere von den Beiden gehorchte.
Nach dem Verlaufe von zehn Minuten, während deren der ungeduldige Kardinal noch zweimal kräftig an der Klingel gezogen hatte, tat sich eine Art von Guckfenster auf, und es erschien der Kopf der Schwester Pförtnerin, welche fragte, was man wolle.
»Sagt, es sei ein Bruder Kapuziner, der vom Pater Josef käme und mit der Oberin über wichtige Dinge zu sprechen hätte.«
Der eine der Träger wiederholte Wort für Wort die Rede des Kardinals.
»Von welchem Pater Josef?« fragte die Pförtnerin.
»Mir scheint, es gäbe bloß einen Pater Josef,« erwiderte eine gebieterische Stimme aus dem Innern der Sänfte, »und das ist der Sekretär des Kardinals!«
Die Stimme hatte einen solchen Ton von Autorität,