die Gabe des doppelten Gesichts hätten.
Sie haben bemerkt, mein lieber Petrus, daß ich die Röhren meines Fernrohres wieder in einander geschoben hatte, wie als ob, wo diese Persienne geschlossen, nichts mehr in der Schöpfung würdig wäre, gesehen zu sein.
Und dennoch, würde ich, ich weiß nicht wie lange, noch an meinem Fenster geblieben sein, wenn ich nicht sich etwas in dem anstoßenden Zimmer hätte bewegen hören.
Ich wandte mich um, und sah die Tochter des Magisters. Ihr Vater sandte sie mir, damit sie meine Aufträge für das Mittagessen einholte. Ich hatte weder eine Magd, noch einen Bedienten, und der Magister, in der Meinung, daß ich ziemlich in Verlegenheit sein würde, mir mein Mittagessen selbst zuzubereiten, hatte ihr gesagt, sich zu meiner Verfügung zu stellen.
Ich nahm es für dieses Mal an, indem ich dabei erkannte, daß ich in dieser Beziehung einen Entschluß fassen müßte. Ich konnte nicht so allein mit einem jungen Mädchen bleiben und ihr die Besorgung meiner Haushaltung überlassen. Ich sah ein, daß ihr Ruf und der meinige bald darunter gelitten haben würden.
Ach! wie meine gute Mutter mir gesagt, war es eine Gefährtin, die ich nöthig hatte.
Ich stieß einen schweren Seufzer aus und ging mit dem jungen Mädchen hinab. Indem sie das Haus möblirten, hatten meine Pfarrkinder die Speisekammer und den Keller möblirt, so daß ich für einige Tage durchaus nichts zu kaufen hatte. Ich machte die Tochter des Magisters mit Allem bekannt, und ging in den Garten, um spazieren zu gehen.
Warum war ich denn so vergnügt und zugleich so traurig? Warum hatte denn die Stimme, welche in meinem Herzen sang, zugleich einen so lieblichen und so schwermüthigen Ausdruck? Waren nicht alle meine Wünsche erfüllt? Hatte ich nicht diese so sehr begehrte Pfarre? Waren die Schränke nicht mit Wäsche, die Truhe mit Geschirr, der Keller mit Bier, die Speisekammer mit Brod, der Garten mit Früchten versehen? Gewährten mir diese vier Linden, unter denen man meinen Tisch deckte, nicht selbst am vollen Mittage Schatten und Frische? Was fehlte mir noch und was hatte ich denn weiter nöthig?
Ach! mein lieber Petrus, ich hatte das nöthig, woran ich am Tage vorher nicht gedacht hatte, und das, wovon ich fühlte, daß ich von nun an beständig träumen würde, ich hatte ein Wesen nöthig, um mit ihm alle diese Güter zu theilen, die mir der Herr sandte, ich hatte Jemand nöthig, der sich neben mich an diesen Tisch setzte, an den ich mich allein setzen würde.
Es schien mir unerläßlich, damit mein Glück für den Fall, wo der Herr mir diesen Schutzengel meines Lebens bewilligen würde, vollständig wäre, daß dieser Engel lange blonde Haare, blaue Augen, ein rosiges Gesicht und ein weißes, mit einem Bande von der Farbe des Himmels zusammengehaltenes Kleid hätte.
XIV.
Welchen Einfluß ein offenes oder verschlossenes Fenster auf das Leben eines armen Dorfpastors haben Kann
In dem Augenblicke, wo ich mein einsames Mittagessen beendigte, führte die Tochter des Schulmeisters einen Landmann zu mir ein.
Dieser Landmann war ein Bote meines Amtsbruders, des Pastors von Wirksworth, – dieses wackern und vortrefflichen Herrn Smith, über den ich Ihnen einige Worte in meinem vorletzten Briefe gesagt zu haben glaube, mein lieber Petrus, – desselben, welcher meiner guten Madame Snart die letzten Ehren erwiesen hatte. – Sie erinnern sich, nicht wahr?
Dieser Bote überbrachte mir einen Brief von ihm.
Hier ist das, auf welche Veranlassung er mir schrieb:
Der Pastor eines kleinen benachbarten Dorfes von Wirksworth war krank geworden, und seit länger als sechs Wochen war seine Gemeinde des Wortes Gottes beraubt. Sie hatten sich demzufolge an Herrn Smith gewandt, damit er, wäre es auch nur ein einziges Mal, die Stelle seines kranken Amtsbruders verträte. Nun hatte Herr Smith an mich gedacht und mich diesen wackeren Leuten vorgeschlagen, indem er mit Recht meinte, mir zugleich ein Vergnügen zu erzeigen und mir nützlich zu sein, indem er mir die Gelegenheit zu einem neuen Triumphe bot. Da nun aber mein Beifall großes Aufsehen in der Umgegend gemacht hatte, so hatten die Landleute es mit vieler Freude angenommen, so daß Herr Smith, da die Sache jetzt nur noch von mir abhing, mich fragen ließ, ob es mir genehm sei, in Wetton – das war der Name des kleinen Dorfes – am folgenden Donnerstage zu predigen. Er wählte den Donnerstag, weil, da mein Sonntag von Rechtswegen meiner Gemeinde angehörte, er den Sonntag nicht andeuten konnte.
Uebrigens war dieser Donnerstag ein Festtag, und das kam für mich auf dasselbe heraus, da dieser Festtag mir ein zahlreiches Auditorium versprach.
Wenn ich es annähme, so würde der Pastor mich erwarten, um mich nach dem kaum eine Viertelstunde weit von Wirksworth gelegenen Dorfe zu führen, dann würden wir zurückkehren, und in seinem Pfarrhause im Familienkreise frühstücken.
Er verlangte eine bestimmte Antwort von mir, damit seine Frau und seine Tochter, welche in zwei Stunden abreisten, um, – die Frau ihrer Schwester, die Tochter ihrer Tante, die in Chesterfield wohnte, einen Besuch abzustatten, am folgenden Donnerstag zurückgekehrt wären, wenn ich die Einladung annähme; wenn ich sie im Gegentheile ausschlüge, so würden sie zwei oder drei Tage länger in Chesterfield bleiben.
Die Einladung war so herzlich, daß es mir nicht einfiel , sie auszuschlagen oder sie auf einen anderen Tag zu verlegen. – Ich ließ mir von der Tochter des Schulmeisters eine Feder, Tinte und Papier bringen, und antwortete meinem Amtsbruder auf der Stelle, daß er für den angedeuteten Tag auf mich rechnen könnte.
Um ihn nicht warten zu lassen, würde ich um acht Uhr Morgens in Wirksworth sein.
Ich wollte dem Boten einen Schilling für seinen Gang geben, aber er war bezahlt.
Ich ließ ihn ein Glas Bier mit mir auf die Gesundheit des guten Herrn Smith trinken, und er brach entzückt auf.
Jetzt, mein lieber Petrus, warum hatte ich die Einladung mit so vielem Eifer, ich möchte fast sagen, mit so vieler Freude angenommen?
War es, um den Kreis meines Rufes auszudehnen, war es, um die Einladung des Herrn Smith anzunehmen, war es, um einem Amtsbruder einen Dienst zu erzeigen? Es waltete ein Wenig von alle Dem ob.
Aber es war vor Allem der Wunsch, mich dem jungen Mädchen mit blonden Haaren und blauen Augen, mit rosigem Gesicht, mit dem weißen Kleide, mit dem himmelblauen Bande zu nähern, – und zu wissen, wer sie wäre.
Mit ein wenig Gewandtheit würde ich zuverlässig zu meinem Zwecke gelangen, ohne im Geringsten vor der Welt das Gefühl merken zu lassen, dem ich nachgab.
Als das Mittagessen beendigt, schickte ich mit Dank die Tochter des Magisters fort, und ging wieder in mein Zimmer hinauf.
Warum ging ich mit so viel Eifer wieder in mein Zimmer hinauf? Sie errathen es, mein lieber Petrus, nicht wahr? Es geschah, um das Fernrohr meines Großvaters zu nehmen, es wieder nach meinem Auge zu stellen und es auf Wirksworth zu richten; es geschah, um zu sehen, ob sich nicht etwa zufällig die Persienne des kleinen rothen und weißen Hauses unter ihrem Efeukleide erhoben hätte.
Sie war nicht allein immer noch herabgelassen, sondern es war auch noch vergeblich, daß ich von drei bis fünf Uhr Nachmittags dablieb, um zu erwarten, daß sie aufgezogen würde.
In alle dem lag nichts als etwas sehr Einfaches. An einem heißen Junitage verschließt Jedermann seine Fenster, um sich ein wenig Dunkelheit und Kühlung zu verschaffen: meine unbekannte Schöne hatte es wie Jedermann gemacht.
Mit der Dämmerung würde die Persienne sich erheben, um das kleine Zimmer durch diesen auf das Feld geöffneten Mund die ersten so frischen und nach einem gewitterhaften Sommertage so angenehmen Lüfte der Nacht einathmen zu lassen.
Das Ganze war also, noch zwei Stunden zu warten. Nur war das sehr lange . . . zwei Stunden.
Sehr lange, zwei Stunden! um eine Frau wiederzusehen! Begreifen Sie, mein lieber Petrus, ich, der ich drei und zwanzig Jahre gewartet hatte, ohne das Drückende der Zeit zu bemerken und ohne zu wünschen, irgend eine der Frauen wiederzusehen, die ich gesehen hatte, ich fand, daß zwei Stunden sehr lang wären!
Uebrigens gab es für mich ein Mittel, die Zeit abzukürzen, das bestand darin, nach der Seite des Dorfes Wirksworth spazieren