denn sie empfahl sich mit einer graziösen Verbeugung und einem äußerst freundlichen Lächeln.
Als Tristan an die Thür kam, traf er Herrn Van-Dick, der mit der Magd in einem Gespräche begriffen war. Wie wir bereits gesagt, war diese ein wohlgenährtes, starkes Mädchen, fast Wilhelms Figur, mit schönen schwarzen Augen, schwarzen Haaren und nervigen Armen, mit einem Worte eine Person, welche man als Statue der Freiheit hätte verwenden können.
Herr Van-Dick verließ die Köchin, als er Tristan bemerkte.
– Ich erwartete Sie! sprach er.
– Hier bin ich. Verzeihung, daß ich Sie warten ließ.
Die beiden Männer verließen das Haus.
Gegen fünf Uhr kamen die Spaziergänger zurück.
Das Mittagessen ging vorüber wie das Frühstück, nur wollte es unserm Tristan scheinen, als ob Wilhelm etwas röther und Euphrasia etwas ruhiger sei.
Nach Tische ward ein Spaziergang durch den Garten gemacht, dann nahm Herr Van-Dick Tristan mit sich.
Euphrasia blieb mit Wilhelm allein.
Tristan plauderte lange, denn er wollte die Unterhaltung der beiden Liebenden nicht stören. Nach einer halben Stunde kehrte er in den Saal zurück. Das Kind ward zu Bette geschickt.
Tristan schützte die Anstrengung der Reise vor und bat um die Erlaubniß, sich zurückziehen zu dürfen, eine Erlaubniß, die man ihm gern bewilligte. Euphrasia fuhr fort, gegen ihren Gast liebenswürdig zu sein und fragte nach, ob ein Zimmer, wie sie befohlen, in Ordnung gebracht sei.
Der Tenor stieg die Treppen hinauf und begab sich in sein Zimmer. Nach den gemachten Erfahrungen fand er das Haus schön und angenehm, er versprach sich ein zufriedenes, gemüthliches Leben mit seinen Bewohnern.
– Madame Van-Dick, dachte er, hält sich für sentimental, schön und geistreich; ich werde ihr sagen, daß ich den Werther verehre, werde über den Schwank lachen und ihr den Beinamen Ninon geben. Herr Wilhelm will stets gut gekleidet erscheinen, ich werde ihm seine Kleider auswählen, ihm Sonntags die Halsbinde anlegen und er wird mich vergöttern. Der kleine Eduard ist wild, ich werde ihm das Ballspiel zeigen und ihn »Guter Mond, du gehst so stille« auf dem Piano spielen lehren. Herrn Van-Dick, der mir der beste Mensch von der Welt zu sein scheint, werde ich in einen ausländischen Correspondenzen helfen und werde, wenn es sein muß, für ihn in das Feuer gehen.
Unter diesen Gedanken legte sich Tristan zu Bette, als es acht Uhr schlug.
Er mochte ungefähr vier Stunden geschlafen haben, als er wieder erwachte. Da bemerkte er, daß er vergessen hatte, das Fenster zu schließen, das in den Garten hinausging, denn der frische Nachtwind zog herein. Er stand auf und näherte sich diesem Fenster. Da war es, als ob er in dem Fenster des ersten Stockwerks, das sich unter dem einigen befand, sprechen hörte. Leise steckte er den Kopf hinaus, und da es sehr finster war und er nicht gesehen werden konnte, lauschte er.
In demselben Augenblicke bemerkte er einen Schatten, der eine Leiter an die Mauer des Hauses legte. Gleich darauf sah er eine Hand aus dem Fenster kommen, welche diese Leiter befestigte.
– Kann ich hinaufsteigen? fragte eine Stimme, in der er die Wilhelms erkannte.
– Ja! antwortete eine andere Stimme, in der er die Euphrasia’s erkannte.
– Und Herr Van-Dick?
– Schläft.
– Gewiß?
– Ganz gewiß!
– Da bin ich, mein Engel!
Und der dicke Wilhelm setzte den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter, welche unter dem Gewichte laut aufseufzte. Dann gelangte er an das Fenster, stieg hinein, und Tristan hörte nichts mehr.
– Nicht übel! dachte Tristan. Die Balcon-Scene aus Shakespeare’s Romeo und Julia.
Nachdem er das Fenster geschlossen, wollte er sich wieder zu Bette legen, da glaubte er aber auf dem Corridor ein Geräusch zu vernehmen. Er öffnete die Thür seines Zimmers, ging leise bis zur Eingangsthür und legte sein Ohr an das Schlüsselloch.
– Lotte, sprach eine Stimme, in der Tristan die des Herrn Van-Dick erkannte, wo zum Teufel steckst Du denn?
– Hier bin ich!
– Warum entläufst Du mir denn immer?
– Ich fürchte, daß Madame mich hört.
– Meine Frau schläft.
– Gewiß?
– Ganz gewiß!
Die Stimmen entfernten sich und Tristan glaubte wahrzunehmen, daß sie die Treppe hinaufgingen, die zu dem Stockwerke über seinem Zimmer führte.
– Lotte, sprach er leise zu sich selbst, ist das große, dicke Mädchen, das ich heute einige Male gesehen. Nicht übel! Ich befinde mich zwischen zwei Liebschaften. Unter mir Shakespeare, über mir Molière. Im ersten Stockwerke geht der Commis als Romeo zu seiner Herrin, und im dritten schleicht sich Gros-René zur Marinette. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich hier wahrnehme, denn von morgen an werde ich das Essen stets ausgezeichnet gut finden, um der Köchin zu schmeicheln, die mir eine der mächtigsten Personen im Hause zu sein scheint. In dem Augenblicke, als es ein Uhr Morgens schlug, kehrte Tristan, vor Kälte zitternd, in sein Zimmer zurück.
5
So oft Tristan am folgenden Tage den dicken Wilhelm oder Herrn Van-Dick sah, regte sich in ihm eine Lachlust, die er kaum zu unterdrücken vermochte. Weder der eine noch der andere dieser beiden Herren verrieth übrigens die geringste Verlegenheit oder auch nur die leiseste Furcht. Als die Stunde des Frühstücks erschien, näherte sich der Commis dem Negocianten und reichte ihm die Hand, welche der Letztere sehr freundlich drückte; dann trat er Euphrasia entgegen und machte eine tiefe respektvolle Verbeugung. Herr Van-Dick wendete in diesem Augenblicke den Kopf nach einer andern Seite und bemerkte es nicht. Zuletzt näherte sich Herr Wilhelm unterm Tristan, der, ihm die Hälfte des Weges ersparend, einige Schritte ihm entgegen machte und seine feine weiße Hand vertraulich in die breite, rothe Hand des jungen Kaufmanns legte.
– Wie befinden Sie sich? fragte dieser und wurde über und über roth wie ein Mensch, der die ersten Worte einer Phrase zu Tage fördert, auf die er sich lange Zeit vorbereitet.
– Gut; und Sie, Herr Wilhelm?
– Danke, vortrefflich! Das Getümmel in dem Kanale hat Sie wohl früh geweckt?
– Ich konnte es nicht hören, da mein Zimmer nach dem Garten hinaus liegt.
Herr Wilhelm wurde roth wie eine Kirche und es bedurfte eines Blickes Euphrasia’s, um ihm die Ruhe wiederzugeben.
Haben Sie Bücher, begann Wilhelm wieder, im Falle Sie gewohnt sind, spät einzuschlafen?
– O, im Gegentheil, antwortete Tristan, der den armen jungen Mann wieder beruhigen wollte, um für die Folge mit ihm auf einem guten Fuße zu bleiben, im Gegentheil, ich schlafe schon früh ein und erfreue mich eines bleiernen Schlafes, aus dem ich erst bei hellem Tage erwache.
Tristan hatte sich nicht getäuscht. Wilhelms Gesichtszüge wurden ruhig und nahmen einen durchaus freundlichen Ausdruck an.
Man setzte sich zu Tische: Wilhelm nahm zwischen Euphrasia und dem Kinde Platz, Tristan zwischen Herrn Van-Dick und Euphrasia.
– Vortreffliche Cotelettes, Madame, sprach Tristan, ich mache Ihnen, Ihrer Köchin wegen, mein Compliment. Es ist zwar erst das zweite Mal, daß ich die Ehre habe, an Ihrem Tische zu sitzen, aber ich muß gestehen, daß ich nie besser gegessen habe.
Indem Tristan dies sagte, warf er verstohlen einen Blick auf Herrn Van-Dick; dieser aber, wahrscheinlich besser an solche Sachen gewöhnt, als sein Commis, fuhr ruhig fort, sein Fleisch zu zerschneiden und mit großem Appetite zu essen.
– In der That, antwortete Euphrasia, unsere Lotte ist eine vortreffliche Köchin, außerdem ist sie treu und ehrlich und dafür steht sie bei meinem Gemahl und mir in großer Gunst.
Wie es Tristan schien,