wie du so schön schreibst, daß ich nämlich immer lebendig oder so ähnlich – Lori hat den Brief von wegen Werner – vor deinem geistigen Auge stehe und daß du mit allen deinen Gefühlen bei mir bist; das wünscht dir auch von Herzen dein kleines Vögelchen.
Mein Lieber! Nun, wo ich mit Werner bei dem Otto war, mag ich dich noch viel mehr leiden, da du mich da hast rausgezogen. Das ist doch nichts, wenn es auch bequemer ist und man nicht immer braucht bei allem zu überlegen, ob es so auch ist, wie es sein muß, womit zum Beispiel die Frau Geheimrat aufsteht und schlafen geht. Aber erst mal von Otto! Na, das war ’n Theater! erst ist er aufgebraust und dann nachher war er so klein und hat gesagt, wenns denn nicht anders is, denn sollten wir doch wenigstens gute Freunde sein, dazwischen aber, bis es dazu hin kam, krachte es man immer so mit gemeinen Redensarten, von denen du auch nicht verschont bliebst. Gewaltsmensch! hat die Geheimrätin immerzu gesagt, da ich nämlich bei ihr war nachher und ihr alles erzählt habe. Aber sie liebt Gewaltsmenschen, sagt sie und will den Otto kennen lernen. Du, am Ende macht der auch noch sein Glück, denn sie scheint sehr reich zu sein. Also der Otto war ordinär, sag ich dir! aber glaube janich, daß du seinetwegen brauchst in Unruhe zu geraten. Otto war Otto, heute ist Otto Carl. Wenn du aber nicht willst, daß ich deine Briefe weitergebe, so laß ich’s. Ich dachte nur, warum soll man dem andern keine Freude machen, wenns nichts kostet. Da fällt mir ein, schick doch dem Geheimrat 500 Mark. Er hat’s auf der Wäscheausstattung für mich bezahlt. Weißt du, daß der was wek hat! Also Hemden haben wir ausgesucht, du, die zerfließen einem zwischen den Fingern. Er wollte sie mir zum Geschenk machen. Aber Estella, die mit dem reichen Peter mit uns war, sagte, das ginge nicht, weil es doch Hemden sein und wegen dir. Na, denn nich. Obschon ich nicht begreife, was da soll bei sein, wenn ich für dich spare; der hat’s ja. Du, weißt du, was ich möchte, daß Estella mal recht krank wäre und ich die Helena für sie spiele; du, ich könnts! Mit dem Grafen is nichts; was soll denn sein? Also du schenkst mir das Pferd. Am meisten Mühe gebe ich mir ja bei Estella, wenn ich doch auch erst so weit wäre! Aber amüsieren tue ich mich doch mehr bei der Frau Geheimrat. Du, seit Ihr komisch! Wenn Otton mal einer zuwider war, denn ging er ihm ausn Weg oder er suchte Streit mit ihm zu bekommen und dann gings drauf wie Blücher, und hinterher da war ihm noch mal so leicht, auch wenns Brüschen gab. Und Ihr ladet euch sone Leute extra ein und macht mit ihnen, wenn sie da sind, großen Schmus und setzt ihnen das beste Essen und die teuersten Weine vor; und wenn sie dann mit ihren vollen Bäuchen gehen wollen, bittet Ihr sie womöglich noch, zu bleiben. Sind sie dann aber endlich fort, dann schimpft ihr hinter ihnen her. Wenn ihr noch was von ihnen wolltet. Ich würde alle Abende bei dem glotzäugigen Direktor sitzen, so eklich er ist, wenn er mich einmal die Helena spielen ließe. Aber nur, weil jemand, wie die alte Geheimrat sagt, gesellschaftlich ne erste Nummer is? – ne, dazu wär ich nich zu haben. Nimms nich krum Carli, aber ich geh nu nich mehr alle Abende in die Helena, die kotzt mich nachgrade an, ich meine die Estella, das weiß ich ja nu, wie die’s macht! die schmeiß ich glatt, wenn ich mal für sie raus komme. Aber die Routine kuck ich ihr ab, da kannst du dich drauf verlassen. Na und denn is das auch kein Publikum mehr, das jetzt rein geht. Das mit den Blumen alle Tage ist lieb von dir. Erst hatte ich den Geheimrat in Verdacht. Du, der will mir ein Ballet schreiben lassen, er war bei Lori und ich mußte ihm vortanzen, und er meinte, das wäre für ihn sehr leicht, da er das könnte, mich berühmt zu machen. Aber ich will doch zur Bühne. Das ist doch klar, daß wenn du kommst, ich mich freue, du mußt mir doch helfen, und ich muß weiter, denn immer nur lernen, dazu tut mans doch nicht. Also denn komm nur, du warst ja nun auch lange genug fort. Und überrasche mich (hier führte der Brief auf die nächste Seite) mit der Stola aber kein Bruch, sondern Zobel, weißt du, so mit weißen Fädchen, wie ’n Estella vom reichen Peter hat. Dann bin ich auch immer dein Vögelchen.
Als Carl die Briefe las, sagte er sich zwar, daß er ja nie auf Agnes’ Worte geachtet hatte, daß es vielmehr ausschließlich der Zauber ihrer Person gewesen war, der ihn gefangen hatte. Und doch suchte er jetzt einen Zusammenhang zwischen diesen Briefen mit dem Menschen herzustellen. Denn gerade weil jedes Wort, das in diesen Briefen stand, echt und ursprünglich und ohne jede Rücksicht auf die Wirkung geschrieben war, so glaubte er, danach den Menschen werten zu können. Und da geschah’s dann, daß das Bild für Augenblicke an Glanz verlor, nüchterner Ueberlegung wich und ihn Cläre beipflichten ließ, die seine Leidenschaft einen Rausch nannte, der das Bewußtsein ausschloß. Dann war ihm, als wenn er es körperlich fühlte, wie die Glut nachließ und sein Gemüt allmählich wieder zur Ruhe kam. Und doch wußte er nicht, ob er sich dies Nachlassen eines Gefühls, das ihn beglückte, wünschen sollte, so stark auch in ihm der Wille war, Cläre nicht zu kränken. Aber das erkannte er aus der Unsicherheit seines Gefühls, daß die Leidenschaft zu Agnes nicht unerschütterlich und der Gesinnung, die ihn zu Cläre zog, zum mindesten nicht überlegen war. Und so war es denn auch ehrlich, wenn er jetzt, im Begriffe, nach Berlin zu fahren, zu Cläre beim Abschied sagte:
»Ich glaube, es wird bald vorüber sein.«
Cläre sah ihn freundlich an und nickte.
»Schieb die Reise noch acht Tage hinaus, Carl! dann hast du’s hinter dir.«
Carl stutzte.
»Meinst du?« fragte er fast ängstlich – und erwog. Und gerade weil er die Ansicht Cläres teilte, so schüttelte er den Kopf und sagte:
»Es geht nicht!«
Cläre stand noch lange und sah dem Zuge nach. Dann holte sie tief Atem, sagte:
»Schade!« schüttelte den Kopf und trat den Heimweg an.
»Also, liebes Kind,« sagte Frau Geheimrat, »Sie sind ein entzückendes Geschöpf, ich sage es Ihnen alle Tage, aber worauf es letzten Endes ankommt, das haben Sie noch immer nicht erfaßt.«
»Möglich,« erwiderte Agnes, »aber schließlich ist das auch gar nicht nötig, und es geht auch ohne das.«
»Aber nein, Kind! Sie haben nicht nur die Aussicht, eine berühmte Künstlerin zu werden, sondern sind auch prädestiniert, in der Gesellschaft zu glänzen.«
»Worauf ich pfeife!«
Die Frau Geheimrat schüttelte den Kopf.
»Unverbesserlich!« sagte sie.
»Möglich! wenigstens in der Beziehung! Ich bin, wie ich bin! Da läßt sich nichts machen. Ich kann nur tun, was mir Spaß macht. Herrschen will ich und eine Rolle spielen; die Gesellschaft, das ist für mich so, was für euch das Theater is.«
»Und wenn man Ihnen dieses Theater eines Tages verbietet, dann wird’s Ihnen fehlen.«
»Pah!« rief Agnes. »Soviel hab ich raus: is man erst ’ne Nummer, dann kann man sich manches erlauben.«
»Gewiß! Aber immer nur, wenn man bei allem, was man tut, den Takt wahrt.«
»Was is das?«
Die Frau Geheimrat zog die Schultern hoch:
»Das läßt sich schwer sagen. Takt ist, was man hat.«
»Ne,« sagte Agnes und schüttelte den Kopf, »das versteh ich nicht.«
»Also zum Beispiel, daß man keine Geschmacklosigkeiten begeht, nicht anstößt.«
»Hm, hm,« sagte Agnes. »Ich beginne zu begreifen,« und führte den Zeigefinger an die Stirn.
»Was meinen Sie?« fragte Frau Geheimrat.
»Na – zum Beispiel: Otto.«
Die Frau Geheimrat erschrak und sah zur Tür.
»Allerdings!« sagte sie empört. »Es ist taktlos und geschmacklos, den Namen hier im Salon, wo einen jeder hören kann, so laut zu nennen.«
»Hm,« sagte Agnes. »Aber sonst . . . nicht wahr?« und zog eine Schnute.
»Sonst geht’s niemanden was an! Hauptsache, daß niemand dabei kompromittiert wird.«
»Kompromittieren, das heißt ja wohl lächerlich machen?«
»Sehr richtig!« bestätigte die Frau Geheimrat. »Die Rücksicht hat man vor allem auf seine Nächsten zu nehmen.«
»Dann hätten also in erster Linie Sie auf den Geheimrat