und die Gesellschaft?«
»Auf die natürlich auch. Sie hat ein Recht darauf, zu verlangen, daß alles, was geschieht, in einer Form geschieht, die keinen Skandal verursacht.«
»Also kommt’s mehr auf das Wie als auf das Was an?« fragte Agnes.
»Bravo, Kind!« rief die Frau Geheimrat. »Sie beginnen zu begreifen.«
»Ich bin doch nich auf den Kopf gefallen.«
»So wissen Sie’s nun also?«
»Natürlich: Takt is nicht, wie Sie sagen, was man hat; das versteht kein Schw . . .« Sie hielt sich schnell die Hand vor den Mund und sagte: »O Gott, das durfte nicht kommen.«
»Also was ist Takt?« fragte die Alte.
»Takt is, raffiniert sein und sich nicht erwischen lassen.«
»Wenn man Sie so sieht, Agnes, glaubt man, eine kleine Prinzessin vor sich zu haben.«
»Das ist doch schön.«
»Gewiß! Wenn man aber hinhört, was Sie sagen, dann läuft’s einem kalt über den Rücken.«
»Auf deutsch: Gänsehaut! Im übrigen, wir haben doch eben festgestellt: was ist Nebensache; das wie entscheidet.«
»Eben die Art, in der Sie die unmöglichsten Dinge, die jeden anderen gesellschaftlich unmöglich machen würden, vorbringen, ist so reizend, daß man es Ihnen durchgehen läßt.«
»Das ist doch fein,« sagte Agnes. »Bin ich froh! Da brauch’ ich mich also gar nicht so in acht zu nehmen.«
»Doch! doch!« widersprach die Alte eifrig. »Vergessen Sie nicht, daß Sie eigentlich überhaupt gesellschaftlich gar nicht qualifiziert sind . . .«
»Was heißt denn das nu wieder?« fragte Agnes.
»Da Sie weder eine verheiratete Frau noch ein junges Mädchen sind.«
»Nanu!« rief Agnes und besah sich von oben bis unten, sprang auf und trat vor den Spiegel. »Wie nennen Sie denn das?«
»Außenseiter!« sagte Frau Geheimrat und betrachtete Agnes durch die Lorgnette. »Klassifiziert lediglich durch die Ausnahmestellung des Besitzers.«
»Na,« erwiderte Agnes, »bisher hat man sich auf Gesellschaften mehr um mich gekümmert als mir lieb war.«
»Verdientermaßen!« sagte Frau Geheimrat.
»Also!«
Die Alte nahm ihre Hand:
»Kind! ich mein’s ja gut mit Ihnen! Darum sind Sie der einzige Mensch, dem ich die Wahrheit sage. Sie müssen eins wissen: die Position haben Sie nur durch Ihr Verhältnis zu Holten. Zieht der sich von Ihnen zurück, so sind Sie erledigt. Selbst ich kann Sie dann nicht halten.«
»Und meine Karriere?« fragte Agnes ängstlich.
»Kein Mensch wird sich mehr für Sie interessieren.«
»Großer Gott!« rief sie, »dann hätte ich ihm ja öfters schreiben müssen!« Sie zog die Stirn in Falten und dachte nach. »Und anders vor allem.«
»Was haben Sie ihm geschrieben? Etwa die Wahrheit? Was Sie alles mitmachen und erleben?«
»Ja!« platzte Agnes laut heraus. »Buchstäblich – ohne jeden Schmus.«
»Sehr dumm!« sagte die Alte. »Aber hoffentlich doch zärtlich und verliebt.«
Agnes verzog den Mund und schüttelte den Kopf.
»Das ist fatal! Nun, hoffentlich hat sich seine Liebe noch nicht abgekühlt. Seien Sie doppelt zärtlich, wenn er jetzt kommt, und vor allem: Kein Brief mehr ohne mich! Das will verstanden sein!« Sie reichte ihr die Hand. Agnes schlug ein. »Wir beide wollen zusammenhalten!«
Agnes machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Hätte ich daran nur früher gedacht!« sagte sie vor sich hin. »Wenn’s nur nicht schon zu spät ist.«
»Noch eins!« sagte die Frau Geheimrat, »und zwar was sehr Wichtiges. Wenn Sie mit Carl heut abend bei uns sind, darf kein Mensch merken, daß ihr zusammengehört.«
Agnes stutzte und sah sie an, als wenn sie überlegte, wer von ihnen beiden nicht ganz bei Sinnen war.
»Wie? Was?« fragte sie und suchte sich das Gespräch der letzten Minuten ins Gedächtnis zu rufen: Meine Position beruht auf meinem Verhältnis zu Carl; endet das, so ist sie erschüttert. Also – was sagte die Frau Geheimrat doch eben? Kein Mensch darf merken, daß ihr zusammengehört!
»Brrrr!« sagte sie und schlug sich mit der Faust vor die Stirn.
»Natürlich! natürlich!« rief die Alte. »Im übrigen: es weiß ja so ein jeder.«
»Na, dann schadt’s doch gewiß nichts!«
»Kind! Kind! Sie lernen es nie!«
»Das scheint mir auch,« sagte Agnes.
»Und ich prophezeie Ihnen: wenn Sie noch so hoch steigen und das nicht lernen, dann kommt eines Tages die große Katastrophe.«
Der Geheimrat trat ins Zimmer.
Agnes lehnte sich, obschon sie mit ihren Gedanken wo anders schien und sich ihr alles im Kopfe drehte, in den Sessel zurück und schlug die Beine übereinander.
Der Geheimrat begrüßte sie und setzte sich ihr gegenüber.
»Dann bleibt mir am Ende nichts anderes übrig, als ihn zu heiraten,« sagte Agnes und verzog den Mund.
»Wenn Sie das fertig brächten!« sagte die Frau Geheimrat strahlend. »Hören Sie, das wäre das große Los!«
»Und eine große Last,« erwiderte Agnes. »Wenn ich denke, immer um ihn – und immer dasselbe – und dann, ich weiß kaum mehr: wie sieht er denn aus?« Sie senkte den Kopf und dachte nach. »Grau! grau! grau! Das weiß ich bestimmt. Und dann so bombastisch! Wißt ihr, so feierlich! Aber das gewöhn’ ich ihm ab! Das ertrag’ ich nicht.«
Die Frau Geheimrat stand auf und trat vor sie hin.
»Vor allem, Agnes, versprechen Sie mir eins: reden Sie mit niemandem darüber, bevor die Verlobung perfekt ist. Glauben Sie mir, die Menschen sind zu schlecht. Man darf heutzutage niemand trauen. Das muß einschlagen wie eine Bombe! Und wissen Sie wo? Hier bei mir! Ich lade Sie ein wie immer. Ganz ahnungslos müssen alle sein, und dann – ich denke mir so zwischen dem eingeschobenen Gang und dem Geflügel – muß mein Mann aufstehen, ans Glas klopfen und die Verlobung verkünden. Das gibt eine Sensation; das war noch nicht da! – Nicht wahr, Leo?« wandte sie sich an ihren Mann, der dasaß und kein Auge von Agnes ließ.
»Gewiß!« erwiderte der Geheimrat und hob langsam den Kopf. »Nur gibt’s da noch ein kleines Hindernis zu überwinden.«
»Wieso?« fragten beide.
»Nun, Carl Holten ist, so viel ich weiß, seit zwanzig Jahren verheiratet – und führt, wie man sagt, eine sehr glückliche Ehe.«
Da der Gesichtsausdruck beider Frauen unverändert blieb, so wußte man nicht, ob sie diesen, nach des Geheimrats Ansicht erschwerenden Umstand bereits kannten oder eben zum ersten Male davon erfuhren.
»Dann, liebe Agnes,« sagte die Alte, »erfordert die Durchführung Takt und Delikatesse, um die Moral auf unserer Seite zu haben.«
»Ich verlasse mich dabei ganz auf Sie,« erwiderte Agnes.
Der Diener trat ein und meldete:
»Herr Doktor Carl Holten.«
»Allmächtiger!« fuhr Agnes entsetzt auf, »daran habe ich ja ganz vergessen!«
»Sehr peinlich!« sagte Frau Geheimrat.
»Ich sollte ihn ja um sechs Uhr von der Bahn abholen.«
»Das erscheint mir allerdings auch nicht als der Weg zur Ehe,« sagte der Geheimrat und erhob sich.
»Und dabei wollte ich so zärtlich zu ihm sein!«
»Was macht man