ist doch dasselbe Bild!« sagte er. »Ich habe es nur geändert; bemerktest du denn nicht,« fuhr er heftig auf Ajanow los, »daß jenes dort ganz ohne Leben, ohne Feuer war, so welk, so schläfrig – und dieses hier! . . .
»Mag sein – aber es hatte vorher mehr Ähnlichkeit!« versetzte Ajanow hartnäckig. »Und das da . . . sie sieht ja aus, als wäre sie betrunken! . . .«
»Du selbst bist betrunken! Pack’ ein mit deinem Urteil!«
»Ich verstehe ja nicht viel davon,« bemerkte Ajanow gleichgültig.
Raiski gab ihm keine Antwort und fuhr ärgerlich mit dem Pinsel über das Haar und das Samtkleid des Porträts. Eine Viertelstunde später kam der Maler Kirilow, den Raiski erwartete. Es war ein kleiner, hagerer Mann, der ganz in seinem riesigen Vollbart zu verschwinden schien. Von seinem Gesicht war fast nichts zu sehen, nur die tiefliegenden Augen strahlten in unnatürlichem Glanze, und die Nase trat wie ein schroffer Buckel aus dem Haarwald hervor, mit der Spitze wiederum an den Bartwuchs stoßend, in dem die Wangen, das Kinn, die Lippen gänzlich verschwanden. Auch der Hals war vom Bart verdeckt, und der Rumpf steckte in einem sackartigen, weiten, faltig herabhängenden Paletot, unter dem die Schöße eines zweiten Paletots oder Rockes, der ganz mit Farbenklecksen bedeckt war, sichtbar wurde. An den Füßen trug er ein Paar weite Schuhe, die beim Gehen ein weich schlurrendes Geräusch verursachten; sein Hut war abgegriffen und hatte einen fettigen Glanz und eine verbogene Krempe.
Wenn man diese nachdenklich in sich gekehrten, glühenden Blicke und dieses strenge, unbewegliche, gleichsam unter dem dichten Haarwuchs schlummernde Antlitz sah, wenn man diesen kleinen Menschen in seiner düsteren Künstlerzelle mit der Palette vor der Staffelei erblickte, wie er den wilden, durchdringenden Blick gleich einem Nagel in das Antlitz des Heiligen hineinbohrte, den er gerade malte, dann glaubte man nicht einen freien, nach den sonnigen Seiten des Lebens ausschauenden Künstler vor sich zu haben, sondern eher einen Märtyrer, einen Mönch der Kunst, der die Freuden des Daseins haßte und nur seine Leiden und Bitternisse begriff. Und von dieser Art schien Kirilow in der Tat zu sein.
Schweigend, ohne sich zu rühren, hatte er sich in Sophies Porträt vertieft. Voll Unruhe beobachtete Raiski den Ausdruck seines Gesichtes. Ganz erstaunt hatte Kirilow im ersten Moment seinen Blick auf dem Gesicht des Porträts ruhen lassen, und namentlich der Ausdruck der Augen schien seinen Beifall zu finden: die Falten auf seiner Stirn glätteten sich, als stände ein schönes Traumbild vor seiner Seele.
Dann aber schien er plötzlich zu erwachen; ein Erstaunen, das nicht mehr freudiger Art war, sondern eher etwas Betrübtes hatte, trat auf sein Gesicht, und die Stirn legte sich wieder in Falten. Er wandte sich ab, legte den Hut auf den Tisch, nahm eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an.
»Nun – wie lautet Ihr Urteil?« fragte Raiski.
»Haben Sie mich deswegen kommen lassen?« fragte Kirilow.
»Wie denn? Warum?«
»Ich muß nach Hause gehen – leben Sie wohl! . . .«
»So sagen Sie doch etwas.«
»Was soll ich sagen? Es verlohnt sich nicht . . .«
»Nun ja, euch könnte jemand die Schönheit selbst vom Himmel herunterholen – ihr würdet immer nur sagen: es lohnt nicht!« erwiderte Raiski gekränkt. »Ihr seid ja Tote, alle miteinander! . . . Sie sagten doch früher selbst, daß ich Talent habe, Semjon Semjonytsch . . .«
»Warum soll ich’s Ihnen also wiederholen, wenn ich’s Ihnen doch schon gesagt habe?« versetzte Kirilow mit einem Seufzer. »Wenn Sie auf diesem Wege weitergehen und sich an solche Modebilder wegwerfen . . .«
»Modebilder! Wissen Sie, wer das ist?«
»Wer mag’s sein?« entgegnete Kirilow, einen flüchtigen Blick auf das Porträt werfend. »Irgendeine Schauspielerin . . .«
»Was reden Sie da! . . . Als ob sie beide den Verstand verloren hätten: der eine hält sie für betrunken, der andere für eine Schauspielerin! Was soll ich da noch mit Ihnen reden!«
Raiski schickte sich an, das Porträt zu verhängen.
»Ich will’s ihr hinbringen: hoffentlich wird das Original selbst gerechter urteilen! . . . Von Ihnen, Semjon Semjonytsch, hätte ich wenigstens ein ermutigendes Wort erwartet – Sie haben früher in meinen Arbeiten stets etwas gefunden, einen lebendigen Funken . . .«
»Auch hier ist ein lebendiger Funke!« sagte Kirllow und zeigte nach den Augen, den Lippen, der hohen Stirn. »Das ist ganz vortrefflich gemacht . . . ich kenne das Original nicht, doch sehe ich, daß hierin viel Wahrheit liegt. Das würde sich herrlich machen bei einem ernsten, würdigen Sujet. Und Sie haben diese Augen, diese Leidenschaft, diese Wärme irgendeiner leichtfertigen Person, einer Puppe, einem koketten Dämchen gegeben!«
»Nein, Semjon Semjonytsch: ein würdigeres Sujet könnte ein Künstler wohl kaum wählen! Das ist keine leichtsinnige Person, keine Kokette: sie wäre würdig, durch Ihren Pinsel verewigt zu werden. Sie ist das Ideal strengen, keuschen Stolzes; sie ist eine Göttin, wenn auch eine vom heidnischen Olymp; ganz Ihr Genre ist sie: nicht von dieser Welt . . .!«
»Dieses Gesicht verlangt einen andachtsvollen, tief in Gebet versunkenen Blick, nicht diesen Ausdruck sinnlicher Leidenschaft! . . . Ich will Ihnen etwas sagen, Boris Pawlowitsch: machen Sie aus diesem Porträt ein Gemälde! Kehren Sie Ihrer Welt den Rücken, machen Sie sich los von diesen Torheiten, dieser Scherwenzelei . . . Verhängen Sie die Fenster, schließen Sie sich auf drei, vier Monate ein . . .«
»Warum?«
»Machen Sie eine Betende daraus!« sagte Kirilow und zog sein Gesicht so zusammen, daß auch die Nase verschwand und es ganz einer Bürste glich. »Fort mit diesem Samt, dieser Seide! Lassen Sie sie knien, auf der bloßen Erde, auf den nackten Steinen, legen Sie ihr einen groben Mantel um die Schultern, falten Sie ihre Hände auf der Brust. . . Hier, hier!« – Er fuhr mit dem Finger, als wollte er zeichnen, über den Wangen des Porträts hin und her. »Weniger Licht! Fort mit diesem Fleisch! Machen Sie den Ausdruck der Augen weicher, lassen Sie die Lider sich etwas mehr schließen – und Sie werden selbst in die Knie sinken und beten . . .«
»Nein, Semjon Semjonytsch, ich will nicht ins Kloster gehen und ein Mönch werden; ich will Leben, Licht und Freude! Ich kann die Menschen nicht entbehren, ich verehre die Schönheit und liebe die Schönheit« – er warf einen zärtlichen Blick auf das Porträt – »mit Leib und Seele liebe ich sie, und ich gestehe es offen . . .« er seufzte lächelnd – »vielleicht mehr mit dem Leibe . . .«
Kirilow machte eine unwillige Handbewegung und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
»In Ihnen geht ein Talent zugrunde,« sagte er. »Sie werden sich nicht durchringen, werden Ihren großen Weg nicht finden. Sie haben nicht Widerstandskraft genug; wohl besitzen Sie Leidenschaften, aber keine Leidenschaft, keine Geduld! Auch hier sind die Hände wieder nur angedeutet, und sie sind obendrein nicht richtig; auch die Schultern haben kein Verhältnis; und Sie sind schon ganz weg vor lauter Stolz, Sie zeigen Ihr Bild, prahlen damit . . .«
»Nicht auf die Details der Ausführung kommt’s doch an, Semjon Semjonytsch!« entgegnete Raiski. »Sie sagten selbst, daß in den Augen, im Gesicht viel Wahrheit ist; und ich fühle, daß ich das Geheimnis erfaßt habe. Was hat das mit dem Haar, den Händen zu tun? . . .«
»Erlauben Sie, erlauben Sie, nur keine Winkelzüge!« unterbrach ihn Kirilow. »Sie verstehen einfach nicht, Hände zu malen, und haben nicht die Geduld, es zu lernen! Wenn dieser Arm hier ausgestreckt wird, ist er kürzer als der andere. Ihre Schönheit ist in Wirklichkeit ein Krüppel, Sie treiben Ihren Scherz mit ihr, man darf aber weder mit dem Leben noch mit der Kunst scherzen. Das eine ist so streng und ernst wie die andere: darum gibt’s auch so wenig echte Menschen im Leben, und so wenig wahre Könner in der Kunst . . .«
Er holte tief Atem, und sein Gesicht schien sich noch tiefer in dem Barte zu verstecken.
»Nach Ihrer Meinung soll man also fliehen vor dem Leben, und vor den Menschen soll man finster die Brauen runzeln und niemals lächeln . . .«
»Ja, wenn Sie nichts dagegen haben; ja, das soll man!« unterbrach ihn Kirilow. »Wenn Sie in der Kunst