Иван Гончаров

Die Schlucht


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dem Mädchen in ihr Schlafzimmer.

      Er hörte, wie sie Pascha dafür ausschalt, daß sie ihn nicht vorher angemeldet hätte.

      »Was ist das nur wieder?« dachte Raiski, während er das mitgebrachte Porträt betrachtete – »sie ist wieder ganz anders als hier auf dem Bilde, wieder ganz so wie früher! . . . Doch nein, ich lasse mich nicht täuschen, diese Ruhe und Kälte, mit der sie sich soeben gegen mich zu wappnen suchte, hat mit der früheren Kälte nichts zu tun – o nein, sie ist nur erzwungen, nur eine Maske! Unter dieser Eisdecke liegt ein Geheimnis verborgen – wir wollen es zu ergründen suchen!«

      Endlich kam sie herein— tadellos frisiert, in dem rauschenden Kleide. Ohne ihn anzusehen, trat sie vor den Spiegel und legte ihr Armband an.

      »Ich habe Ihr Porträt gebracht, Cousine,« begann Raiski.

      »Wo ist es? Zeigen Sie es mir,« sagte sie und folgte ihm in das Gastzimmer.

      »Sie haben sehr geschmeichelt, Cousin: so sehe ich nicht aus,« sagte sie, während sie das Porträt genau betrachtete.

      »Geschmeichelt? Im Gegenteil – ich bin weit hinter der Wahrheit zurückgeblieben!« sagte er mit ungeheuchelter Betrübnis, als er das Original jetzt vor sich sah, »Die Schönheit – o, welch eine Macht ist sie! Wenn ich die besäße! . . .«

      »Was würden Sie dann tun?«

      »Was ich dann tun würde?« sagte er, während er sie durchdringend, gleichsam lauernd ansah. »Ich würde jemanden sehr glücklich machen . . .«

      »Um dafür tausend andere unglücklich zu machen – nicht wahr? Probieren aber würden Sie Ihre Macht an allen, niemanden würden Sie schonen . . .«

      »Ah!« rief Raiski, als wenn er sie plötzlich auf etwas ertappt hätte – »aus lauter Mitleid also sind Sie so unzugänglich? . . . Sie fürchten sich, jemanden anzusehen, weil Sie wissen, daß Sie ihn damit unglücklich machen? Ein interessanter neuer Zug! Dieses Selbstvertrauen steht Ihnen wohl an! Dieser Stolz ist von edlerer Art als der Dünkel der vornehmen Geburt: die Schönheit ist eine Macht, der Stolz auf sie hat einen Sinn!«

      Er war erfreut darüber, daß er endlich, wie er glaubte, entdeckt hatte, warum sie sich so hartnäckig vor ihm verbarg, warum sie plötzlich ihre sentimentale Pose aufgegeben und sich wieder hinter ihre Verschanzung zurückgezogen hatte.

      »Treiben Sie Ihr Mitleid nicht zu weit: wer würde nicht gern alle Qualen auf sich nehmen, um sich Ihnen nur nähern, mit Ihnen nur reden zu können? Wer würde nicht auf den Knien hinter Ihnen herrutschen bis ans Ende der Welt – nicht etwa, um das Glück, den Sieg zu erringen, sondern um auch nur einen schwachen Strahl der Hoffnung auf einen zukünftigen Sieg zu erhaschen . . .«

      »Sie sind wieder bei Ihrem alten Thema, Cousin – lassen Sie es doch endlich genug sein davon!« sagte sie, und es gelang ihr doch nicht recht, die gewollte Gleichgültigkeit in ihre Worte zu legen. Sie schien daran zu zweifeln, daß ihre Macht wirklich so groß war, daß wirklich »alle hinter ihr herrutschen würden«, wie dieser leidenschaftliche Schwärmer, dieser närrische Künstler sich ausdrückte.

      Auch dieser leise Zweifel war Raiski nicht entgangen. Er drang gleichsam spähend in ihre Blicke, ihre Worte ein, suchte, zuweilen unbewußt, alle Lichter und Schatten, die durch ihre Seele huschten, zu erfassen und mit den feinsten Nervenfasern alles, was in ihr vorging oder logischerweise im nächsten Augenblick, vorgehen mußte, zu erraten.

      »Sie sehen doch selbst,« fuhr er fort, »daß für einen einzigen freundlichen Blick, der nichts weiter bedeutet, für ein Wort, das gar keinen Lohn verheißt, alle in geschäftiger Hast, voll dienstwilligen Eifers hin und her laufen, nm nur Ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken!«

      »Scheint es Ihnen wirklich so?«

      »Bemerken Sie es denn nicht selbst?«

      »Ich bemerke nichts.«

      »O doch, Sie haben es bemerkt – und Sie triumphieren im stillen darüber! Ja, Sie machen sich sogar noch lustig über solche arme Sterbliche wie ich, Sie lassen mich reden, weil Sie wissen, daß ich die Wahrheit sage, und Sie sehen in meinen Worten Ihr Bild wie in einem Spiegel und haben Ihr Wohlgefallen daran!«

      »Bisher habe ich mein Bild nur auf Ihrer Leinwand da gesehen, wo Sie stark übertreiben. Aus Ihren Worten klang mir immer nur Tadel und Schelte entgegen.«

      »Nein, das Porträt da ist nur eine blasse Kopie der Wirklichkeit; nur das strahlende Auge und das Lächeln um den Mund sind getreu wiedergegeben, wenn Sie auch nur selten so schauen und lächeln. Ich erfaßte einen dieser seltenen Momente, deutete nur ganz leise die Wahrheit an – und da, sehen Sie, was dabei herauskam! Ach, wie schön waren Sie damals!«

      »Wann war das?«

      »Es war, als ich das letzte Mal mit Ihnen sprach . . . damals, als Ihr Papa diesen Milari mitbrachte . . .«

      Sie schwieg.

      »Den Grafen Milari!« wiederholte er.

      »Ja, ich erinnere mich,« sagte sie trocken.

      »Ist er häufig Ihr Gast?« fragte Raiski, dem der trockene Ton ihrer Antwort aufgefallen war.

      »Ja . . . er kommt zuweilen her. Er singt sehr schön,« fügte sie hinzu und setzte sich auf den Diwan, mit dem Rücken gegen das Licht.

      »Lassen Sie es mich doch wissen, wenn er wieder einmal hier ist . . . ich wäre gern dabei . . .«

      »Es ist kühl hier im Zimmer,« bemerkte sie und machte eine Bewegung mit der Schulter – »man wird am Ende noch heizen müssen . . .«

      »Ich kam, um mich von Ihnen zu verabschieden; ich verreise . . .« sagte er plötzlich und sah sie aufmerksam an.

      Sie blieb vollkommen ruhig.

      »Wohin?« fragte sie nur.

      »Aufs Land, zu meiner Großtante . . . Tut’s Ihnen nicht leid? Werden Sie sich ohne mich nicht langweilen?«

      Sie schien nachzudenken und diese Frage im stillen zu entscheiden, sagte jedoch nichts.

      »Sie sagen weder ja noch nein,« fuhr er fort, »und sehen Sie, Cousine: schon dieses Schwanken erscheint mir als Glück. Ein rasches Ja wäre entweder eine liebenswürdige Floskel, eine Täuschung – oder ein solches Glück, wie ich es nie verdient habe; ein Nein aber würde mich schmerzen. Sie wissen selbst nicht, ob’s Ihnen leid tut oder nicht: das ist schon sehr viel von Ihnen, das ist der halbe Sieg . . .«

      »Und sie hoffen einen ganzen Sieg zu erringen?« fragte sie lächelnd.

      »Ein schlechter Soldat, der nicht General zu werden hofft, möchte ich sagen können, doch sage ich es nicht: das wäre zu viel . . . das wäre unmöglich.«

      Er sah sie an und hätte Gott weiß was darum gegeben, wenn sie jetzt ein »Warum?« ausgesprochen hätte. Er wünschte es sehnlichst und erwartete es sogar insgeheim – aber sie stellte diese Frage nicht, und er unterdrückte seinen Wunsch mit einem Seufzer.

      »Ganz unmöglich,« wiederholte er – »und um Ihnen zu beweisen, daß ich solche hochfliegenden Hoffnungen nicht hege, bin ich gekommen, von Ihnen Abschied zu nehmen – vielleicht für lange Zeit.«

      »Es tut mir leid, Cousin,« sagte sie plötzlich leise, in weichem Tone und fast mit Gefühl.

      Er wandte sich lebhaft nach ihr um – wie jemand, der Zahnschmerzen gehabt hat und sie plötzlich verliert.

      »Ist das wahr?« fragte er.

      »Vollkommen wahr. Sie wissen, daß ich nie die Unwahrheit sage.«

      Er ergriff ihre Hand und küßte sie voll Entzücken. Sie entzog ihm die Hand nicht.

      »Was würden alle jene, die sich um Sie scharen, wohl darum geben, wenn sie Ihre Hand so küssen dürften?«

      »Und Sie sind glücklich, es zu dürfen? . . .«

      »Ja – als Cousin! Aber was gäbe ich erst darum,« sagte er, sie mit trunkenem Blick betrachtend, »wenn ich diese Hand anders küssen dürfte . . . so! . . .«

      Er wollte von neuem ihre Hand küssen, doch sie