und Ihren Schmausereien, werden Sie nüchtern, arbeiten Sie, unermüdlich, bis Ihnen die Sinne vergehen! Man muß fallen und wieder aufstehen, muß sterben vor Verzweiflung und allmählich wieder zum Leben erwachen, muß mitten in der Nacht aufstehen . . .«
»Das tu’ ich . . . beinah . . .« sagte Raiski. »Ich springe vom Lager auf, weine zuweilen, bin dem Wahnsinn nahe . . .«
»Verrückt scheint ihr mir alle miteinander zu sein!« bemerkte Ajanow gleichmütig.
»Ja – Sie springen auf, um diese ›Wahrheit‹ hier hinzuschmieren« – er zeigte auf die nackte Schulter Sophies.
»Nein, Sie müssen vom Bett aufstehen, um diese Gestalt da fünfmal, zehnmal umzuzeichnen, bis sie richtig ist! Das wäre Ihre Aufgabe für die nächsten vierzehn Tage: ich komme dann wieder und sehe mir’s an. Und nun leben Sie wohl!«
»Bleiben Sie noch, Meister! Bleiben Sie!« bat Raiski.
»Nein, lassen Sie mich gehen! Sie haben noch nicht die rechte Hochachtung vor der Kunst, noch auch vor sich selbst! Die Künstlerschaft ist wie ein Orden von Brüdern, ähnlich wie der Freimaurerorden: sie sind zerstreut in der ganzen Welt und haben doch nur alle ein Ziel. Sie sind wie die Tempelbauer König Hirams, die ihr Geheimnis hüten. Ja, so ist’s! Es geht nicht an, daß man ein lustiges Leben führt, alle Gesellschaften, alle Torheiten mitmacht, in den Salons verkehrt, Bälle besucht und so nebenher dichtet, zeichnet, malt oder den Meißel führt. Nein!« schrie er fast leidenschaftlich, fast grob auf Raiski los – »lassen Sie all diesen Firlefanz, werden Sie ein Mönch, wie Sie selbst sich ganz richtig ausdrückten, opfern Sie alles der Kunst, beten und fasten Sie, seien Sie klug wie die Schlangen und unschuldig wie die Tauben, und was auch rings um Sie vorgehe, wohin auch das Leben Sie verschlage, in welche Abgründe Sie auch stürzen, tragen Sie immer das eine Bekenntnis auf den Lippen, wahren sie sich immer das eine Gefühl, hegen und hüten Sie immer das heilige Feuer der Leidenschaft für die Kunst! Mag man Sie verfluchen und verachten um ihretwillen – gehen Sie nur immer Ihren Weg! Nur dann werden Sie zu den Berufenen gehören, wird Ihnen reiche Vergeltung, das heißt die Unsterblichkeit, zuteil. Noch haben Sie nicht den Mut und die Kraft, die dazu gehört – noch sind Sie nicht arm genug, um diesen Weg zu gehen. Verteilen Sie alles, was Sie haben, unter die Armen, und folgen Sie dem erlösenden Lichte des Schaffensdranges! Doch wie sollten Sie das! Sie sind ja ein ›Herr‹, in Samt und Seide geboren, und nicht im Stall, in der Krippe. Die Kunst liebt sie nicht, die großen Herren . . . sie hält sich an die Niedriggeborenen . . . Verhängen Sie dieses unanständige Weib da, oder machen Sie aus ihr eine ›Buhlerin zu den Füßen Christi‹! Leben Sie wohl! In vierzehn Tagen komme ich her, um wieder nachzusehen.«
Er warf das Ende der Zigarette in den Spucknapf, nahm seinen Hut und eilte hinaus, ehe noch Raiski Zeit fand, ihn zurückzuhalten.
»Ein merkwürdiger Heiliger!« sagte Ajanow. »Es scheint beinahe, als wenn er wirklich die Absicht hätte, ein Mönch zu werden! Der zerknüllte Hut, und dieser Rock mit den Farbenflecken, der ganze verhungerte, zerlumpte Kerl . . . der richtige Märtyrer! Trinkt er vielleicht?«
»Er trinkt nur Wasser.«
»Nun, dann wird er verrückt, oder hängt sich auf.«
Raiski seufzte tief auf.
»Ja,« sagte er – »das ist einer der letzten Mohikaner: ein wahrer, ganzer Künstler, der seinen Wert kennt! Aber die Kunst ist herabgestiegen von ihrem hohen Piedestal, sie wandelt unter den Menschen, schreitet durchs lebendige Leben – und so muß es sein! Was er predigt, ist Fanatismus!«
Unwillkürlich jedoch führte er den Vergleich, den Kirilow gezogen hatte, in Gedanken fort: er sah in sich den reichen Jüngling, der gern ins Himmelreich gelangen wollte und es nicht vermochte. Nachdenklich ging er im Zimmer auf und ab.
Tiefe Mutlosigkeit bemächtigte sich seiner: er war den Tränen nahe. In diesem Augenblick war er allen Ernstes bereit, alles von sich zu werfen und in die Wüste zu gehen, den schlechtesten Rock zu tragen, nur einen Gang zu essen, wie Kirilow, sich abzusperren gegen die Außenwelt, wie Sophie, und zu malen, zu malen, bis er nicht mehr weiter könnte: bis aus Sophie die büßende Sünderin geworden wäre . . .
Er nahm eine neuaufgespannte Leinwand, stellte sie auf die Staffelei und begann, mit Kreide in großen Zügen die Figur eines betenden Weibes zu entwerfen. Er ließ sie den Arm vorstrecken und begann eifrig, fast wütend, an den Fingern zu arbeiten; er wischte aus, zeichnete wieder, wischte von neuem aus – es wollte nicht gelingen!
Eine nagende Ungeduld quälte ihn, die beim ersten Mißlingen in grimmigen Ärger überging. Er wischte alles fort und begann von neuem zu zeichnen, ganz langsam, mit starken Strichen, als wollte er die Leinwand durchdrücken. Schon begann jene Verzweiflung, von der Kirilow gesprochen, an Stelle seines Ärgers zu treten.
Er legte die Kreide hin, wischte die Finger an seinem Haar ab und trat vor das Porträt Sophies.
»Soll ich das Bild wirklich ganz und gar ändern?« dachte er. »Hat Kirilow wirklich recht? Mein letztes Ziel, meine Aufgabe, meine Idee ist doch die Schönheit! Ich bin ganz erfüllt von ihr und will dieses strahlende Bild, das mich beherrscht, um jeden Preis verkörpern: wenn ich die Schönheit in ihrem Wesen richtig erfaßt habe – was will ich dann noch mehr? Kirilow sucht die Schönheit im Himmel, er ist ein Asket: ich suche sie auf Erden . . . Ich will das Porträt Sophie zeigen: was sie wohl dazu sagen wird? Und dann will ich es ändern – doch keine büßende Sünderin daraus machen!«
Er lachte unwillkürlich bei dem Gedanken, was wohl Sophie sagen würde, wenn er ihr von diesem Einfall Kirilows erzählte. Er beruhigte sich nach und nach, freute sich der ›Wahrheit‹, die in dem Porträt lag, und überließ sich wieder ganz seiner alten, ungebundenen Träumerei, seinen Vorstellungen von freier Kunst und freier Arbeit. Er hüllte sein Bild sorgfältig ein und machte sich auf den Weg, um es Sophie zu zeigen.
Achtzehntes Kapitel
Raiski wußte nicht, ob er Sophie sehen, und was er ihr sagen würde.
»Wie heftig es da drinnen wogt!« dachte er, mit der Hand an seine Brust fassend. »Es wird einen Sturm geben – o, wenn es doch der Fall wäre! Heut muß die Entscheidung fallen, ihr Geheimnis muß heraus, und ich muß wissen, ob sie mich liebt oder nicht. Wenn es der Fall ist, dann wird mein . . . wird unser Leben eine andere Gestalt annehmen: ich reise dann nicht . . . Oder ich reise doch, das heißt: wir reisen, zur Großtante, in den stillen Winkel . . . Zusammen werden wir reisen . . .«
Er nahm das Porträt aus der Hülle, stellte es auf einen Sessel im Gastzimmer und ging leise durch die ganze Flucht der Wohnräume nach Sophies Zimmer. Man hatte ihm unten gesagt, daß sie allein sei: die Tanten seien zum Gottesdienst gefahren.
Er ging auf den Zehenspitzen und hielt seine Hand gegen das Herz, als wollte er sein heftiges Pochen mildern. In seiner Vorstellung sah er Blumen am Boden verstreut, und zurückgeschlagene Vorhänge, und einen kecken Sonnenstrahl, der sich in dem Kristall spiegelte. Ganz leise schlich er sich heran und erblickte Sophie.
Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, saß sie da, hatte das Gesicht auf die Hände gelegt und sann nach, träumte oder . . . weinte. Sie war im Negligé, nicht wie sonst im steifen, engen Kleide, ohne Kragen und Manschetten, ohne Armband, nicht einmal frisiert; das Haar lag als dichte, wogende Masse in einem Netz; der Morgenrock bedeckte die Schultern und fiel in weiten Falten auf ihre Füße. Auf dem Teppich lagen zwei Atlaspantoffel: die Füße ruhten, in bloßen Strümpfen, auf einem samtbezogenen Bänkchen.
Er hatte sie noch niemals so gesehen. Sie bemerkte ihn nicht, und er fürchtete sich, Atem zu schöpfen.
»Cousine Sophie!« rief er kaum hörbar.
Sie fuhr zusammen, rückte ein wenig vom Tisch ab und sah ihn voll Erstaunen an. In ihren Augen las er die Fragen. Wie kommen Sie hierher? Was wollen Sie? Wer hat Sie eingelassen?
»Sophie!« wiederholte er.
Sie erhob sich und richtete sich in voller Größe auf.
»Was ist Ihnen, Cousin?« fragte sie kurz.
»Verzeihung, Cousine,« sagte er, schon ohne alle Begeisterung – »ich habe Sie überrascht . . . in dieser poetischen