Иван Тургенев

Aufzeichnungen eines Jägers


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fuhr Owsjanikow mit ruhiger Stimme fort, vom Boden aufstehend, »ich habe es dir doch gesagt!«

      Auch eine Frau hatte er sich gewählt, die zu ihm paßte. Tatjana Iljinitschna Owsjanikowa war eine großgewachsene, ernste und schweigsame Frau und trug immer ein braunseidenes Kopftuch. Es ging von ihr eine Kälte aus, obwohl sich niemand über ihre Strenge beklagen durfte; im Gegenteil: Viele arme Leute nannten sie ihre Mutter und Wohltäterin. Die regelmäßigen Gesichtszüge, die großen dunklen Augen und die feinen Lippen zeugten auch jetzt noch von ihrer einst berühmten Schönheit. Kinder hatte Owsjanikow nicht.

      Ich lernte ihn, wie es der Leser schon weiß, bei Radilow kennen und fuhr schon zwei Tage später zu ihm. Ich traf ihn zu Hause. Er saß in einem großen Ledersessel und las in der Heiligenlegende. Eine graue Katze schnurrte auf seiner Schulter. Er empfing mich nach seiner Gewohnheit freundlich und mit Würde. Wir kamen ins Gespräch.

      »Luka Petrowitsch, sagen Sie mir doch die Wahrheit«, fragte ich unter anderem. »Früher, zu Ihrer Zeit, war es doch besser?«

      »Manches war wirklich besser, das muß ich Ihnen schon sagen«, entgegnete Owsjanikow, »das Leben war ruhiger, man war zufriedener, das stimmt . . . Jetzt ist es aber doch besser, und Ihre Kinder werden es noch besser haben, so Gott will.«

      »Ich hätte aber erwartet, Luka Petrowitsch, daß Sie mir die alte Zeit loben würden.«

      »Nein, ich habe keinen besonderen Grund, die alte Zeit zu loben. Sie sind z. B. ein Gutsbesitzer, der gleiche Gutsbesitzer wie Ihr seliger Großvater, aber Sie haben nicht mehr die Gewalt, die jener gehabt hat! Auch sind Sie ein ganz anderer Mensch. Allerdings werden wir jetzt auch von anderen Herren unterdrückt; anders geht es wohl nicht. Es wird aber schon einmal alles in Ordnung kommen. Nein, jetzt bekomme ich nicht mehr die Dinge zu sehen, an denen ich mich in meiner Jugend satt gesehen habe.«

      »Was denn zum Beispiel?«

      »Nehmen wir wiederum Ihren Großvater. Das war ein großmächtiger Herr, unsereins hatte von ihm viel zu leiden. Sie kennen vielleicht – wie sollten Sie Ihr Land nicht kennen? – den Keil, der von Tscheplygino nach Malinino geht . . .? Sie haben darauf Hafer angebaut . . . Dieses Stück gehört ja Ihnen, gehört ganz Ihnen. Ihr Großvater hat es aber uns weggenommen; er kam geritten, zeigte mit der Hand, sagte: ›Das ist mein Besitz!‹ und eignete sich das Stück an. Mein verstorbener Vater, Gott hab’ ihn selig, war ein gerechter und hitziger Mensch, der wollte es nicht dulden – wer hat auch Lust, sein Eigentum zu verlieren? – und reichte eine Klage bei Gericht ein. Nur er allein tat es, die anderen gingen nicht zu Gericht, sie fürchteten sich. So wurde Ihrem Großvater gemeldet, daß Pjotr Owsjanikow wegen des weggenommenen Stückes Land eine Klage gegen ihn eingereicht habe . . . Ihr Großvater schickte zu uns sofort seinen Oberjäger Bausch mit einem Kommando: Sie nahmen meinen Vater und führten ihn auf Ihr Erbgut. Ich war damals noch ein kleiner Junge und lief ihnen barfuß nach. Und was geschah . . .? Man führte ihn vor Ihr Haus und züchtigte ihn vor den Fenstern mit Ruten. Ihr Großvater stand auf dem Balkon und sah zu; die Großmutter saß am Fenster und sah ebenfalls zu. Mein Vater schrie: ›Mütterchen, Marja Wassiljewna, nehmen Sie sich meiner an, erbarmen Sie sich meiner!‹ Sie aber beugte sich zum Fenster hinaus und sah zu. So nahm er meinem Vater das Wort ab, daß er sich von seinem Besitz lossage, und er mußte sich bei Ihrem Großvater noch bedanken, daß er ihn lebendig laufen ließ. So blieb das Stück Land Ihnen. Gehen Sie mal hin und fragen Sie Ihre Bauern, wie das Stück Land heißt. Es heißt Prügelfeld, weil es mit Prügeln weggenommen wurde. Also dürfen wir kleinen Leute die alte Zeit nicht beweinen.«

      Ich wußte nicht, was ich Owsjanikow antworten sollte, und wagte ihm nicht ins Gesicht zu schauen.

      »Um die gleiche Zeit hatten wir auch noch einen anderen Nachbarn, Stepan Niktopolionytsch Komow. Der hatte meinen Vater fast zu Tode gequält, wenn auch auf eine andere Manier. Er war ein Trunkenbold und liebte Trinkgelage zu veranstalten. Wenn er mal getrunken hat, so sagt er auf französisch: ›C’est bon‹, leckt sich die Lippen und fängt zu fluchen an, daß man alle Heiligen hinaustragen könnte. Und er schickt Einladungen zu allen Nachbarn. Die Troikas stehen bei ihm schon fertig; und wenn man nicht hinfährt, so kommt er zu einem gleich selbst ins Haus . . . War ein so merkwürdiger Mensch! Im nüchternen Zustand log er niemals, wenn er aber betrunken war, so pflegte er zu erzählen, daß er in Petersburg auf der Fontanka drei Häuser habe: ein rotes mit einem Schornstein, ein gelbes mit zwei Schornsteinen und ein blaues ganz ohne Schornsteine; auch habe er drei Söhne (dabei war er niemals verheiratet gewesen): Der eine sei bei der Infanterie, der andere bei der Kavallerie und der dritte sei ganz für sich . . . Und er sagte, daß in jedem seiner Häuser ein Sohn von ihm wohne; den ältesten besuchten lauter Admirale, den zweiten lauter Generale und den dritten lauter Engländer! So erhebt er sich von seinem Platz und ruft: ›Auf das Wohl meines ältesten Sohnes, der ist der respektvollste!‹ und bricht in Tränen aus. Und wenn jemand sich weigert zu trinken, so gibt’s ein Unglück. ›Ich werde dich totschießen!‹ sagt er: ›Und werde nicht erlauben, dich zu beerdigen . . .!‹ Oder er springt auf und schreit: ›Tanz, du Volk Gottes, zu deinem Vergnügen und mir zum Trost!‹ Und dann muß man tanzen; wenn man daran auch stirbt, muß man tanzen. Seine leibeigenen Mädeln hatte er fast zu Tode gequält. Oft mußten sie die ganze Nacht bis zum Morgen im Chor singen, und die die höchsten Töne singen konnte, bekam eine Belohnung. Wenn sie aber müde wurden, legte er den Kopf in die Hände und fing zu jammern an: ›Ach, ich armes Waisenkind! Alle haben mich verlassen!‹ Die Stallburschen mußten die Mädchen sofort durch Schläge ermuntern. Mußte ihm gerade mein Vater gefallen: Was kann man da machen? Er hätte meinen Vater beinahe ins Grab gebracht, hätte es wirklich getan, aber der starb Gott Sei Dank von selbst: fiel einmal betrunken vom Taubenschlag herunter . . . Ja, solche Nachbarn haben wir damals gehabt!«

      »Wie sich die Zeiten doch verändert haben!« bemerkte ich.

      »Ja, ja«, bestätigte Owsjanikow. »Aber das muß man schon sagen: In alten Zeiten lebten die Edelleute viel prachtvoller. Von den Magnaten spreche ich schon gar nicht: In Moskau habe ich von ihnen genug gesehen. Man sagt, die seien jetzt auch dort ausgestorben.«

      »Sind Sie in Moskau gewesen?«

      »Ja, vor langer, sehr langer Zeit. Ich stehe jetzt im dreiundsiebzigsten Jahr, und nach Moskau kam ich, als ich im sechzehnten war.«

      Owsjanikow seufzte auf.

      »Wen haben Sie dort gesehen?«

      »Viele Magnaten habe ich gesehen, und jeder hat sie gesehen; sie führten ein offenes Haus und lebten in Pracht und zum Erstaunen aller. Nur die Pracht des verstorbenen Grafen Alexej Grigorjewitsch Orlow-TschesmenskijGraf Orlow (1734-83), Geliebter Katharinas, wahrscheinlich Mörder ihres Gatten, Peters III., wurde später von Potemkin verdrängt. (Anm. d. Ü.) erreichte niemand. Ich sah ihn aber oft: Mein Onkel diente bei ihm als Haushofmeister. Der Graf geruhte auf der Schabolowka am Kaluga-Tor zu wohnen. Das war ein Magnat! Diese Würde, diese freundliche Leutseligkeit kann man sich gar nicht vorstellen, kann sie auch nicht schildern. Schon sein Wuchs allein, seine Kraft, sein Blick! Solange du ihn nicht kennst und bei ihm noch nicht warst, fürchtest du dich und hast eine Scheu vor ihm; trittst du aber bei ihm ein, so ist es dir, als wärme dich die Sonne, und du wirst auf einmal lustig. Jeden Menschen ließ er vor und war von allem Liebhaber. Beim Pferderennen lenkte er selbst und fuhr mit jedem um die Wette; niemals überholte er einen gleich zu Anfang, kränkte niemand auf diese Weise; wenn er einen überholte, so tat er es erst dicht vor dem Ziel; dabei war er so freundlich, er tröstete seinen Gegner und lobte sein Pferd. Tauben hielt er sich von der ersten Sorte. Manchmal kommt er in den Hof hinunter, setzt sich in den Sessel und gibt den Befehl, die Tauben auffliegen zu lassen; auf den Dächern ringsum stehen aber Leute mit Gewehren gegen die Habichte. Zu Füßen des Grafen steht ein silbernes Becken mit Wasser, und er schaut auf die Spiegelung seiner Täubchen im Wasser. Die Armen und Bettler lebten zu Hunderten von seinem Brot . . . Und wieviel Geld hat er ausgeteilt! Wenn er aber zornig wird, so ist es, als dröhnte der Donner. Man zittert vor Angst, kann sich aber hinterher nicht beklagen: Eh man sich’s versieht, lächelt er schon wieder! Wenn er ein Gastmahl gibt, so ist ganz Moskau betrunken . . .! Und dabei war er so klug! Er war es ja, der den Türken schlug. Er liebte auch zu ringen; man brachte zu ihm starke Männer aus Tula, aus Charkow, aus Tambow, von überallher. Wenn er