ihr nicht zu verzagen.‹ Und ich setzte ihnen ein Papier auf . . . Es ist noch unbekannt, zu wessen Gunsten die Sache sich entscheiden wird . . . Und daß man mich bei dieser Gelegenheit bei Ihnen verklagt hat, ist doch sehr verständlich: Jedem ist das Hemd näher als der Rock.«
»Jedem, dir aber wohl nicht«, sagte der Alte halblaut, »und was hast du für Geschichten mit den Schutolomowschen Bauern?«
»Woher wissen Sie denn das?«
»Ich weiß es eben.«
»Auch hier bin ich im Recht, urteilen Sie doch selbst. Den Schutolomowschen Bauern hat der Nachbar Bespandin vier Desjatinen Land weggepflügt. Er sagt: ›Es ist mein Land.‹ Die Schutolomowschen sind auf Erbzins gesetzt, ihr Gutsbesitzer ist im Ausland, wer kann für sie eintreten – urteilen Sie doch selbst? Das Land gehört aber ihnen unstreitig seit ewigen Zeiten. So kamen sie zu mir und baten: ›Schreib uns ein Gesuch.‹ Ich schrieb es ihnen. Als Bespandin es erfuhr, fing er mir zu drohen an: ›Ich werde diesem Mitja die Hinterbeine aus den Gelenken herausreißen oder auch den Kopf von den Schultern abtrennen . . .‹ Nun, wir wollen mal sehen, wie er ihn mir abtrennen wird; mein Kopf ist noch immer ganz.«
»Nun, prahle nur nicht: Dein Kopf wird kein gutes Ende nehmen«, versetzte der Alte. »Du bist ein ganz verrückter Mensch!«
»Wie ist es nun, Onkelchen, haben Sie mir denn nicht selbst gesagt . . .«
»Ich weiß, ich weiß, was du mir sagen willst«, unterbrach ihn Owsjanikow. »Es stimmt: Der Mensch soll in Gerechtigkeit leben und seinem Nächsten helfen. Es kommt vor, daß er auch nicht an sich selbst denken darf. . . . Handelst du denn so? Führt man dich denn nicht in die Schenke? Gibt man dir nicht zu trinken, verbeugt man sich nicht vor dir und sagt: ›Dimitrij Alexejitsch, Väterchen, hilf uns, wir werden dir schon unseren Dank wissen!‹ und steckt dir einen Silberrubel oder einen blauen Schein in die Hand? Kommt denn das nie vor? Sag, kommt das nie vor?«
»Diese Schuld muß ich wirklich bekennen«, antwortete Mitja und senkte die Augen. »Aber von den Armen nehm’ ich nichts und handele nie gegen mein Gewissen.«
»Jetzt nimmst du nichts, wenn es dir aber selbst schlecht gehen wird, so wirst du auch von den Armen nehmen. Du handelst nie gegen dein Gewissen . . . ach, du! Du trittst wohl für lauter Heilige ein . . .! Und den Borjka Perechodow hast du wohl vergessen . . .? Wer hat sich für ihn verwandt, wer hat ihn in Schutz genommen? Wie?«
»Perechodow hat sein Unglück verdient, das stimmt . . .«
»Er hat Staatsgelder veruntreut . . . Das ist ein Spaß!«
»Bedenken Sie doch nur, Onkelchen: seine Armut, die Familie . . .«
»Armut, Armut . . . Er ist ein Trinker, ein Spieler, das ist es!«
»Er fing doch nur aus Not zu trinken an«, bemerkte Mitja, die Stimme senkend.
»Aus Not! Nun, dann hättest du ihm helfen sollen, wenn du schon so ein hitziges Herz hast, aber nicht mit dem betrunkenen Menschen in Schenken herumsitzen. Daß er schön zu sprechen versteht, ist noch kein Wunder!«
»Er ist aber ein herzensguter Mensch . . .«
»Alle sind bei dir herzensgut . . . Sag mal«, fuhr Owsjanikow, an seine Frau gewandt, fort, »hat man ihm geschickt . . . du weißt schon, was . . .?«
Tatjana Iljinitschna nickte mit dem Kopf.
»Wo hast du diese Tage gesteckt?« begann der Alte wieder.
»Ich war in der Stadt.«
»Hast wohl immer Billard gespielt, Tee getrunken, auf der Gitarre geklimpert, dich in den Amtsstuben herumgetrieben, in den Hinterkämmerchen Gesuche aufgesetzt, mit den Kaufmannssöhnchen promeniert! Es ist doch so . . .? Antworte!«
»Sie haben vielleicht recht«, sagte Mitja mit einem Lächeln. »Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen: Anton Parfenytsch Funtikow läßt Sie für Sonntag zum Essen bitten.«
»Ich will nicht zu diesem Dickwanst fahren. Er wird einen Fisch zu hundert Rubel vorsetzen und dazu ranzige Butter geben. Ich will von ihm nichts wissen!«
»Ich habe auch Fedosja Michailowna getroffen.«
»Was für eine Fedosja?«
»Die vom Gutsbesitzer Garpentschenko, desselben, der Mikulino bei der Auktion gekauft hat. Diese Fedosja ist aus Mikulino. Sie hat in Moskau gegen Zins als Näherin gelebt und pünktlich einhundertzweiundachtzig und einen halben Rubel im Jahr Zins bezahlt . . . Sie versteht ihre Sache und hat in Moskau gute Aufträge gehabt. Jetzt hat Garpentschenko sie kommen lassen und hält sie bei sich, ohne ihr eine Beschäftigung zuzuweisen. Sie wäre bereit, sich freizukaufen, und hat es auch dem Herrn gesagt, er hat aber noch keine Entscheidung getroffen. Onkelchen, Sie sind doch mit dem Garpentschenko bekannt, können Sie nicht ein Wort für sie einlegen . . .? Die Fedosja will aber ein anständiges Lösegeld zahlen.«
»Vielleicht mit deinem Geld? Wie? Nun gut, ich will es ihm sagen. Ich weiß aber nicht«, fuhr der Alte mit unzufriedener Miene fort. »Dieser Garpentschenko ist, Gott verzeih’ es mir, ein Schacherjude: Er kauft Wechsel zusammen, gibt Geld auf Wucherzinsen, erwirbt Güter unter dem Hammer . . . Wer hat ihn nur in unsere Gegend gebracht? Oh, diese Zugereisten! Man wird von ihm nicht so leicht etwas erreichen, aber ich will es dennoch versuchen.«
»Bemühen Sie sich doch, Onkelchen.«
»Gut, ich will mich bemühen. Aber paß auf, paß auf! Verteidige dich nur nicht . . . Gott sei mit dir . . .! Sieh dich in Zukunft vor, sonst wirst du ein schlimmes Ende nehmen, Mitja, bei Gott . . . Ich kann dich doch nicht immer auf meinen Schultern tragen . . . Ich habe auch keinen solchen Einfluß. Jetzt geh mit Gott.«
Mitja ging hinaus. Tatjana Iljinitschna folgte ihm.
»Gib ihm Tee, du Schelmin!« rief ihr Owsjanikow nach. »Ist gar kein dummer Bursche«, fuhr er fort, »hat auch ein gutes Herz, aber ich fürchte für ihn . . . Entschuldigen Sie übrigens, daß ich Sie solange mit diesen Dummheiten unterhalten habe.«
Die Vorzimmertür ging auf. Ins Zimmer trat ein kleiner grauhaariger Mann in einem Samtröckchen.
»Ah, Franz Iwanytsch!« rief Owsjanikow. »Guten Tag, wie geht es Ihnen?«
Gestatten Sie mir, lieber Leser, Sie auch mit diesem Menschen bekannt zu machen.
Franz Iwanytsch Lejeune, mein Nachbar und Orjolscher Gutsbesitzer, hatte den Ehrentitel eines russischen Edelmanns auf eine nicht ganz gewöhnliche Weise erlangt. Er war zu Orleans von französischen Eltern geboren und als Tambour mit Napoleon zur Eroberung Rußlands ausgezogen. Anfangs ging alles wie geschmiert, und unser Franzose zog mit stolz erhobenem Haupt in Moskau ein. Aber auf dem Rückzug fiel der arme Monsieur Lejeune halb erfroren und ohne seine Trommel Smolensker Bauern in die Hände. Die Smolensker Bauern sperrten ihn für die Nacht in eine leere Walkmühle ein, führten ihn am nächsten Morgen zum Loch im Eise neben dem Mühlendamm und baten den Tambour ›de la grrrande armée‹ ihnen das Vergnügen zu machen und unter das Eis zu tauchen. Monsieur Lejeune konnte auf ihren Vorschlag nicht eingehen und begann seinerseits die Smolensker Bauern in französischem Dialekt zu bitten, ihn nach Orleans ziehen zu lassen. »Dort, Messieurs«, sagte er, »habe ich eine Mutter wohnen, une tendre mère.« Aber die Bauern, die wohl die geographische Lage der Stadt Orleans nicht kannten, fuhren fort, ihm die Fahrt unter dem Wasser, den windungsreichen Fluß Gnilotjorka hinunter, zu empfehlen; sie ermunterten ihn dazu schon durch leichte Rippen- und Nackenstöße, als plötzlich zur unbeschreiblichen Freude Lejeunes Schellengeläute erklang und ein ungeheurer Schlitten mit buntem Teppich auf dem übertrieben erhöhten Rücksitz, mit drei hellbraunen Wjatkaschen Pferden bespannt, auf dem Damm erschien. Im Schlitten saß ein dicker, rotbäckiger Gutsbesitzer in einem Wolfspelz.
»Was macht ihr da?« fragte er die Bauern.
»Wir ertränken den Franzosen, Väterchen.«
»Ah!« bemerkte gleichgültig der Gutsbesitzer und wandte sich weg.
»Monsieur! Monsieur!« schrie der Ärmste.
»Ah, ah!« begann