neue Ordnung erlebt zu haben . . .? Wie ist das zu erklären: Das Alte ist ausgestorben, und das Neue will nicht kommen.«
Ich wußte nicht, was ich Owsjanikow antworten sollte. Er sah sich um rückte näher zu mir und fuhr leise fort: »Haben Sie schon von Wassilij Nikolajewitsch Ljuboswonow gehört?«
»Nein, nichts.«
»Erklären Sie mir bitte dieses Wunder. Ich kann es gar nicht begreifen. Seine eigenen Bauern haben es mir erzählt, aber ich kann daraus nicht klug werden. Sie wissen doch, er ist ein junger Mann und hat vor kurzem erst seine Mutter beerbt. Er kommt also auf sein Erbgut gefahren. Die Bauern versammeln sich, um ihren neuen Herrn zu sehen. Wassilij Nikolajewitsch kommt zu ihnen heraus. Die Bauern sehen – welch ein Wunder! – der Herr geht wie ein Kutscher in einer Plüschhose herum und trägt Stiefel mit einer Borte; hat sich ein rotes Hemd angezogen und einen Kutscherrock; den Bart hat er sich stehenlassen, trägt auf dem Kopf ein merkwürdiges Mützchen, und auch das Gesicht ist so merkwürdig; betrunken ist er wohl nicht, scheint aber nicht ganz bei Verstand zu sein. ›Grüß Gott, Kinder!‹ sagt er ihnen. ›Grüß Gott!‹ Die Bauern verbeugen sich vor ihm bis zur Erde, sagen aber kein Wort: So eingeschüchtert sind sie, wissen Sie. Und auch er selbst scheint schüchtern zu sein. Und er hält eine Rede: ›Ich bin Russe‹, sagt er, ›und auch ihr seid Russen; ich liebe alles Russische . . . Ich habe eine russische Seele und auch russisches Blut . . .‹ Und plötzlich kommandiert er: ›Nun, Kinder! Jetzt singt mir mal ein russisches, völkisches Lied!‹ Den Bauern zittern die Knie; sie sind ganz närrisch geworden. Einer, der etwas kühner war, fing wohl zu singen an, hockte sich aber gleich hin und versteckte sich hinter den anderen. Am meisten muß man sich darüber wundern: Wir haben wohl früher auch solche Gutsbesitzer gehabt, Tollköpfe und lustige Brüder; sie kleideten sich fast wie Kutscher, spielten die Gitarre, sangen und tranken mit ihrem Hofgesinde, mit ihren Leibeigenen; dieser Wassilij Nikolajewitsch ist aber wie ein junges Mädchen: Immer liest er in seinen Büchern oder schreibt oder sagt laut Gedichte auf – spricht mit keinem Menschen, geht allen aus dem Wege, spaziert immer im Garten und scheint sich zu langweilen oder zu grämen. Der frühere Verwalter hatte anfangs große Angst: Vor der Ankunft Wassilij Nikolajewitschs hatte er alle Bauernhäuser besucht und sich vor allen gebückt: Die Katze wußte wohl, wessen Fleisch sie gefressen hatte. Auch die Bauern hofften und dachten sich: ›Jetzt ist es aus mit dir, Bruder! Man wird dich schon zur Verantwortung ziehen; nun wirst du tanzen, du Halsabschneider . . .!‹ Und was kam statt dessen heraus? Wie soll ich es Ihnen sagen. Der liebe Gott wird selbst nicht klug daraus, was da herauskam! Wassilij Nikolajewitsch ließ den Verwalter zu sich kommen und sagte ihm, ganz rot im Gesicht und vor Aufregung schnell atmend: ›Sei du mir gerecht, bedrücke niemand, hörst du es?‹ Und seit diesem Tag hat er ihn nicht mehr zu sich berufen! Auf seinem eigenen Erbgut lebt er wie ein Fremder. Der Verwalter hat sich also wieder beruhigt; die Bauern wagen sich aber gar nicht an Wassilij Nikolajewitsch heran, solche Angst haben sie. Und das ist auch erstaunlich: Der Herr grüßt sie und blickt sie freundlich an, und doch haben sie vor Furcht Magenkrämpfe. Was sind das für Wunder, Väterchen, erklären Sie es mir . . .? Ich bin entweder so dumm geworden oder zu alt, aber ich verstehe es nicht.«
Ich antwortete Owsjanikow, Herr Ljuboswonow sei wahrscheinlich krank.
»Ach was, krank! Er ist so breit wie lang und hat auch ein volles Gesicht. Gott sei mit ihm, obwohl er noch jung ist . . . Übrigens, Gott weiß!« Owsjanikow seufzte tief auf.
»Nun, lassen wir die Edelleute«, begann ich. »Was können Sie mir von den Einhöfern erzählen, Luka Petrowitsch?«
»Das müssen Sie mir erlassen«, versetzte er schnell. »Wirklich . . . ich würde Ihnen schon manches erzählen . . . aber wozu!« Owsjanikow machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wollen wir lieber Tee trinken . . . Sie sind Bauern, die reinen Bauern; aber, um die Wahrheit zu sagen, was sollen wir anderes sein?«
Er verstummte. Man brachte uns Tee. Tatjana Iljinitschna stand von ihrem Platz auf und setzte sich näher zu uns heran. Im Laufe des Abends war sie einige Male geräuschlos aus dem Zimmer gegangen und ebenso geräuschlos zurückgekehrt. Im Zimmer trat Schweigen ein. Owsjanikow trank ernst und langsam eine Tasse nach der anderen.
»Mitja war heute bei uns«, bemerkte Tatjana Iljinitschna mit leiser Stimme.
Owsjanikow runzelte die Stirn.
»Was will er denn?«
»Er kam um Verzeihung bitten.«
Owsjanikow schüttelte den Kopf.
»Ich bitte Sie«, fuhr er an mich gewandt fort. »Was soll man mit seinen Verwandten anfangen? Sich von ihnen lossagen kann man doch auch nicht . . . Da hat auch mich der liebe Gott mit einem Neffen gesegnet. Der Junge hat einen guten Kopf, ist aufgeweckt, das muß man ihm lassen; hat auch gut gelernt, aber ich werde doch nichts Gescheites von ihm erleben. Er war früher im Staatsdienst, hat aber den Dienst aufgesteckt; er sagt, er hätte da nicht vorwärtskommen können . . . Ist er denn ein Edelmann? Auch einen Edelmann befördert man doch nicht gleich zum General. So lebt er jetzt ohne Beschäftigung . . . Damit könnte man sich noch abfinden, aber er ist ein Denunziant geworden! Er verfaßt für die Bauern Bittschriften, schreibt Anzeigen, belehrt die Dorfvorsteher, bezichtigt die Feldmesser, schleppt sich in den Kneipen umher, verkehrt mit Kleinbürgern und Gastwirten. Wie leicht kann da ein Unglück geschehen! Die Land- und Kreispolizisten haben ihm schon mehr als einmal gedroht. Aber er versteht zu seinem Glück, Witze zu machen; er bringt sie zum Lachen und brockt ihnen dann eine Suppe ein . . . Hör mal, sitzt er nicht jetzt bei dir in der Kammer?« fügte er, an seine Frau gewandt, hinzu: »Ich kenne dich ja – du bist so weichherzig und hast ihn sicher in Schutz genommen.«
Tatjana Iljinitschna schlug die Augen nieder, lächelte und errötete.
»Also richtig!« fuhr Owsjanikow fort. »Ach, du Schelmin! Nun, sag ihm, er soll hereinkommen, unserem teuren Gaste zu Ehren will ich dem Dummkopf verzeihen . . . Nun, sag es ihm, sag es ihm . . .«
Tatjana Iljinitschna ging zur Tür und rief: »Mitja!«
Mitja, ein Bursche von etwa achtundzwanzig Jahren, groß, schlank und lockig, trat ins Zimmer und blieb, als er mich sah, vor der Schwelle stehen. Er trug deutsche Kleidung, aber die unnatürlich großen Puffen an den Schultern waren ein klarer Beweis dafür, daß der Rock nicht nur von einem russischen, sondern von einem allrussischen Schneider zugeschnitten worden war.
»Nun, komm näher, komm näher«, begann der Alte. »Was schämst du dich? Danke deiner Tante: Es ist dir vergeben . . . Hier, Väterchen, ich stelle ihn Ihnen vor«, fuhr er fort, auf Mitja weisend; »ist zwar nicht mein leiblicher Neffe, aber ich kann mit ihm gar nicht fertig werden. Es sind die letzten Zeiten angebrochen!«
Wir begrüßten einander.
»Nun sag, was hast du wieder angestellt? Warum beklagt man sich über dich, erzähle!«
Mitja hatte offenbar keine Lust, in meiner Gegenwart Erklärungen abzugeben und sich zu entschuldigen.
»Später, Onkelchen«, murmelte er.
»Nein, nicht später, sondern jetzt gleich«, fuhr der Alte fort. »Ich weiß, du schämst dich vor dem Herrn Gutsbesitzer – um so besser, dies sei deine Strafe. Also erzähl nur, erzähl . . . Wir wollen es hören.«
»Ich brauche mich nicht zu schämen«, begann Mitja lebhaft und schüttelte den Kopf. »Urteilen Sie doch selbst, Onkelchen. Da kommen zu mir die Reschetilowschen Einhöfer und sagen: ›Bruder, nimm dich unser an.‹ – ›Was gibt’s denn?‹ – ›Unsere Kornmagazine sind in bester Ordnung, wie man es sich gar nicht besser wünschen kann; plötzlich kommt zu uns ein Beamter und sagt, er hätte den Befehl, die Magazine zu besichtigen. Er besichtigt sie und sagt, unsere Magazine seien nicht in Ordnung, er hätte wichtige Vernachlässigungen festgestellt und sei verpflichtet, es der Obrigkeit zu melden. – Worin bestehen denn die Vernachlässigungen? – Das weiß ich schon, sagt er . . . Wir versammelten uns und beschlossen, dem Beamten, wie es sich gehört, ein Geschenk zu machen; aber der alte Prochorytsch hinderte uns daran und sagte, so mache man den Beamten nur Appetit . . . Und in der Tat: Ist man denn gegen so einen Beamten ganz wehrlos . . .? Wir hörten auf den Alten, der Beamte wurde aber böse und