beinahe wie einen Vorwarf, den er nicht verdient habe. »Glaubst Du ich könnte je vergessen,« rief er warm aus, »daß Du mir das Leben gerettet hast?«
Jetzt wagte es Geoffrey, seinem Ziel um einen Schritt näher zu treten. »Eine Freundschaft ist der andern werth, sagte er, nicht wahr?«
Arnold ergriff seine Hand. »Sag mir nur,« fuhr er eifrig fort, was ich für Dich thun kann.«
»Du reisest heute nach Deinem neuen Gut, nicht wahr?«
»Ja.«
»Kannst Du das bis morgen aufschieben?«
»Wenn ich Dir damit einen wichtigen Dienst leisten kann, gewiß!«
Geoffrey sah sich nach der Schwelle des Garten-Pavillons um, um sich zu vergewissern daß sie allein seien.
»Du kennst doch die Gouvernante hier, nicht wahr?" flüsterte er Arnold zu.
»Miß Silvester? – Ja.«
»Ich habe da eine kleine unangenehme Geschichte mit Miß Silvester und es giebt keinen andern Menschen, der mir in diesem Augenblick helfen könnte, als Du!«
»Du weißt, daß Du auf mich rechnen kannst; um was handelt es sich?«
»Das ist nicht so leicht zu sagen! Nun, Du bist ja auch kein Heiliger, nicht wahr und wirst doch natürlich die Sache für Dich behalten! Also höre: ich habe gehandelt, wie ein verdammter Narr, ich habe das Mädchen herumgebracht!«
Arnold, der ihn plötzlich verstanden, trat einen Schritt zurück. »Um Gottes Willen Geoffrey, Du willst doch nicht sagen?«
»Jawohl, höre nur, das ist noch gar nicht das Schlimmste, sie hat das Haus verlassen!«
»Das Haus verlassen?«
Jawohl, für immer verlassen! Sie kann nicht wieder zurückkommen.«
»Warum nicht?««
»Weil sie der Alten hier geschrieben hat! Die verwünschten Weiber thun so etwas nie halb. Sie hat geschrieben, sie wäre heimlich verheirathet und zu ihrem Mann gegangen und dieser Mann – bin ich, noch nicht verheirathet, verstehst Du wohl? aber ich habe ihr versprochen, sie zu heirathen und mich zunächst heimlich nach einem vier Meilen von hier gelegenen Wirthshause zu begeben. Wir haben abgemacht, daß ich ihr noch heute dahin folgen und mich mit ihr verheirathen solle. Das geht jetzt nicht an! Während sie da oben in dem Wirthshause auf mich wartet, muß ich nach London jagen. Nun muß ihr durchaus Jemand mittheilen was vorgefallen ist, oder sie wird des Teufels und die ganze Geschichte kommt heraus. Ich kann Niemandem hier im Hause vertrauen und bin verloren, wenn Du, mein alter Junge, mir nicht hilfst!«
Arnold machte eine Bewegung des Entsetzens.
»Geoffrey, um’s Himmels willen, das ist ja die verzweifelste Geschichte, die mir je in meinem Leben vorgekommen ist.«
Geoffrey war darin ganz mit ihm einverstanden. »Schlimm genug, um Einen den Kopf verlieren zu machen, nicht wahr? Wenn ich nur ein Glas Bier hätte!«
Er zog aus reiner Gewohnheit die Pfeife aus der Tasche; »Hast Du ein Zündholz?« fragte er.
Arnold war mit sich zu beschäftigt, um diese Frage zu hören.
»Denke nicht, daß ich Deines Vaters Krankheit leicht nehme,« sagte er in ernstem Ton, »aber ich kann nicht leugnen, daß das arme Mädchen mir in diesem Falle doch vorzugehen scheint.«
Geoffrey sah ihn ganz erstaunt an: »Vorzugehen?« – — – Du denkst doch nicht, daß ich so unvernünftig sein werde mich der Gefahr auszusetzen von meinem Vater enterbt zu werden? Nicht für die beste Frau auf der Welt.«
Arnold hatte seit Jahren eine große Bewunderung für seinen Freund, für einen Mann, der im Rudern, im Boxen, im Ringen und Springen und vor Allem im Schwimmen excellirte, wie wenig andere Menschen in England, aber die Antwort machte doch einen sehr unangenehmen Eindruck auf ihn, zum Unglück für Arnold nur auf einen Augenblick.
»Du mußt das am besten wissen,« antwortete er etwas kühl, »was kann ich für Dich thun?«
Geoffrey ergriff seinen Arm, plump, wie er Alles anfaßte, aber in freundschaftlicher und zutraulicher Weise.
»Komm, sei ein guter Kerl, gehe hin und sage ihr, was vorgefallen ist. Wir fahren hier weg, als wenn wir Beide nach der Eisenbahn wollten. Ich setze Dich bei dem Fußweg ab und Du kannst mit dem Abendzuge nach Deinem Gute reisen, das macht Dir ja weiter keine Ungelegenheiten und Du erweist einem alten Freund einen wahren Dienst. Du läufst keine Gefahr entdeckt zu werden; ich kutschire, wir haben keinen Diener bei uns, der die Sache verrathen könnte.«
Selbst in Arnold dämmerte jetzt eine Ahnung davon auf, daß er wahrscheinlich seine Dankschuld schon jetzt mit Zinsen abzutragen im Begriff stehe, wie Sir Patrick es vorausgesagt hatte. »Was soll ich ihr sagen?« fragte er, »ich fühle mich verpflichtet Alles zu thun, was in meinen Kräften steht, um Dir zu helfen, aber was soll ich ihr sagen?«
Die Frage war unstreitig sehr berechtigt und nicht leicht zu beantworten.
Welchen Gebrauch ein Mensch unter irgend welchen Umständen von seinen Muskeln zu machen habe, das wußte Niemand besser als Geoffrey Delamayn, was aber ein Mensch unter irgend welchen Umständen zu sagen habe, um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, das wußte Niemand weniger als er.
»Sagen?« wiederholte er, »nun, ich wäre ganz außer mir und so weiter, Du weißt wohl. O, warte mal, sag’ ihr, sie solle bleiben, wo sie ist, bis ich ihr schreibe.«
Arnold zauderte. Obgleich dessen, was man Weltklugheit nennt, vollkommen unkundig, so ließ ihn doch sein angeborenes Zartgefühl die große Schwierigkeit der Stellung, die ihm sein Freund aufzubürden im Begriff stand, klar erkennen.
»Denke einen Augenblick nach und Du wirst finden, daß Du mir da ein sehr unbequemes Geheimniß anvertraut hast. Vielleicht habe ich Unrecht, ich habe nie mit einer ähnlichen Angelegenheit zu thun gehabt, aber mir scheint, daß wenn ich mich dieser Dame als Deinen Boten vorstelle, ich sie einer furchtbaren Demüthigung aussetze. Soll ich hingeben und ihr in’s Gesicht sagen: »ich weiß, was Sie vor den Augen der ganzen Welt verbergen möchten,« und soll sie sich das von mir sagen lassen?«
»Ach was,« rief Geoffrey, »sie kann mehr vertragen als Du glaubst, ich wollte, Du hättest mit angehört, wie sie mich gequält hat! Nein, guter Junge, Du verstehst nichts von Frauen, das große Geheimniß der Behandlung der Frauen besteht darin, sie wie eine Katze am Nacken zu packen.«
»Ich, kann ihr nicht eher vor die Augen treten, bevor Du sie nicht schriftlich von der Sache unterrichtet hast. Ich schrecke vor keinem Opfer für Dich zurück, aber hol’s der Kuckuck, Du mußt doch begreifen, in welche Lage Du mich bringst, Geoffrey. Ich bin Miß Silvester fast ganz fremd, ich kann ja gar nicht wissen, wie sie mich aufnehmen wird, ob sie mich meine Bestellung nur wird ausrichten lassen.«
Diese letzten Worte machten Geoffrey für Amold’s Bedenken zugänglicher; die Schwierigkeit, daß Arnold vielleicht nicht zu Worte kommen würde, leuchtete Geoffrey ein. »Vielleicht thue ich doch besser, zu schreiben, haben wir noch Zeit in’s Haus zu gehen?«
Das Haus»ist voll von Leuten und wir haben keine Minute Zeit. Schreibe gleich hier mit einem Bleistift.
»Worauf soll ich schreiben?
»Einerlei, auf die Karte Deines Bruders.«
Geoffrey nahm den Bleistift, den Arnold ihm reichte und betrachtete sich die Karte. Die von seinem Bruder geschriebenen Zeilen bedeckten die Karte völlig, es war kein Fleckchen frei darauf; er durchsuchte seine Tasche und zog einen Brief heraus, jenen Brief, auf welchen Anne in ihrer Unterhaltung Bezug genommen, in welchem sie darauf bestanden hatte, daß er bei dem Gartenfest in Windygates erscheine. Das wird gehen, es ist Anne’s eigener Brief an mich; auf der vierten Seite ist noch Platz. Wenn ich ihr schreibe, fragte er plötzlich gegen Arnold gewendet, versprichst Du es ihr zu bringen? Gieb mir die Hand darauf. Er streckte Arnold die Hand entgegen, die ihm einst das Leben gerettet hatte, und Arnold schlug, jener Rettung eingedenk, ein und gab ihm das Versprechen.
»Schön, mein Junge! wie Du hinkommst, sage ich Dir unterwegs im Wagen. Beiläufig eins darf ich nicht vergessen,