fest, dass sie ihm nicht nur ein Kind gebären solle, sondern dieses Kind ein Sohn sein müsse, und diesem solle alsbald ein zweiter folgen.
Als ob es in ihrer Macht läge, das Geschlecht zu beeinflussen! Dieser Wunsch offenbarte ein Denken wie im tiefsten Mittelalter!
Mariella hatte sich mit Mühe den Einwand verkniffen, Federico solle sich mal mit dem biologischen Ablauf einer Zeugung beschäftigen. Dann wüsste er nämlich, dass allein er mit seinem Samen für das Geschlecht des Kindes verantwortlich sei. Sofern er in der Lage wäre, seine Spermien soweit zu kontrollieren. Aber dann unterließ sie die Bemerkung angesichts seiner strengen Miene. Über dieses Thema konnte man offensichtlich nicht mit ihm diskutieren.
Seit sich die beiden von der Patrona und dem Patrone verabschiedet hatten und in Federicos Racing-grünen Austin Healey gestiegen waren, war das Gesicht ihres Ehemannes wie versteinert. Mariella wüsste zu gerne, was in dem Kopf mit dem markanten Profil vor sich ging, das sie an Statuen römischer Adliger erinnerte. Genauso stolz und arrogant und undurchschaubar.
Ein Riss im Glück
Beim Essen wirkte Lorenzo ungewöhnlich ernst und geistesabwesend. Dies kam so selten vor, dass es Giulia sofort auffiel. Obwohl sie noch nicht solange zusammenlebten, kannte sie jeden seiner speziellen Gesichtsausdrücke, und dieser verhieß nichts Gutes. Selbst nach einem arbeitsintensiven Tag oder Geschäften mit komplizierten Kunden gelang es ihm normalerweise abzuschalten, sobald er nach Hause kam. Dann fragte er sie, wie ihr Tag gewesen war, und ob sie mit Töchterchen Viola seine Eltern besuchte hatte, die eine Stadtvilla bewohnten, oder ob seine Mutter überraschend vorbei gekommen sei. Oder was sie sonst unternommen hatte.
Nichts. Lorenzo erzählte nichts von seinem Tag. Lorenzo fragte nichts zu ihrem Tag. Wie ferngesteuert wanderte seine Gabel zwischen Teller und Mund hin und her, während er vor sich auf den Tisch starrte und gar nicht wahrzunehmen schien, was er gerade aß. Als sich seine verschlossene Miene auch beim abschließenden Espresso nicht änderte und ein Teilchen des köstlichen sizilianischen Gebäcks, das er so gerne aß, ohne Regung in seinem Mund verschwand, versuchte Giulia seine Aufmerksamkeit durch ein Räuspern auf sich zu lenken.
»Äähm, Schatz? Was ist los? Du erzählst heute gar nichts. Wie sind deine Geschäfte verlaufen? Gab es ein Problem?«
Als erfolgreicher Immobilienmakler hatte Lorenzo ein beträchtliches Vermögen gemacht, das ihnen ein sorgenfreies Leben garantierte. Dabei war es mittlerweile alles andere als einfach, landschaftlich schön gelegene, weitläufige Landsitze mit gut erhaltenen Gebäuden oder gar repräsentative Stadtvillen mit vielen Zimmern, dezent auf den modernsten Stand renoviert, für die anspruchsvolle Kundschaft ausfindig zu machen. Landflucht betraf nur die einfache Bevölkerung. Großgrundbesitz oder Villen wurden höchst selten veräußert. Das Geschäft mit hochwertigen Immobilien wurde also schwieriger. Bereitete ihm dies Sorgen, wie er vor einiger Zeit angedeutet hatte, oder war ein potentieller Kunde kurz vor Vertragsabschluss abgesprungen?
Sein Ruf eilte Lorenzo bis weit über die Grenzen Luccas hinaus und hatte ihm etliche sehr ergiebige Aufträge eingebracht. Längst hätte er sich eine luxuriöse Villa in Mailand oder Florenz leisten können. Aber Lorenzo war bodenständig geblieben. Ihm gefiel es in Lucca, wo er aufgewachsen war und die Wurzeln seiner Ahnen lagen. Und er war diszipliniert und fleißig, wie er es vom Patrone, seinem Vater gelernt hatte. Nur weil sein Reichtum gesichert war, würde er nicht die Hände in den Schoß legen.
»Lorenzo? Wie war dein Tag?«, versuchte Giulia erneut seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
Sein leicht gesenkter Kopf schreckte hoch, die weltentrückten, matten Augen gewannen wieder an Glanz und seine Schultern strafften sich. Mit einem Seufzer nahm er die Espressotasse und trank aus. »Entschuldige, Liebes. Lass uns rüber ins Wohnzimmer gehen. Ich muss etwas mit dir besprechen.«
Sein Verhalten war wirklich ungewöhnlich. Normalerweise scherzte er ein wenig mit ihr, wenn er heimkam, bezog Giulia in seine Geschäfte ein, indem er ihr von den Immobilien und seinen Erlebnissen mit Kunden erzählte und war ganz versessen darauf, nach dem Essen seine Tochter in die Arme zu nehmen. Vor allem aber war er nie so ernst, egal wie stressig sein Tag gewesen war. Irgendwie passte sein Verhalten heute nicht zu ihm.
Giulia ignorierte das schmutzige Geschirr. Die Küche aufräumen und den Geschirrspüler füllen konnte sie auch später. Etwas Brisantes lag in der Luft.
Lorenzo hatte bereits die Bremse des Stubenwagens gelöst und diesen vor sich her ins Wohnzimmer geschoben, und sie folgte ihm gespannt darauf, was ihn so sehr beschäftigte.
Das Wohnzimmer war großzügig angelegt, mit einer gelungenen Zusammenstellung aus erlesenen antiquarischen Vitrinenschränken und modernem Sofa bestückt. Eine doppelflügelige Tür führte hinaus auf die Terrasse, die ebenfalls ausreichend Platz bot. Die Wohnzimmerwände waren in dezenten Ockerabstufungen marmoriert, und schlossen zur weiß gestrichenen Decke mit einer Stuckleiste ab. Alles passte sehr gut zusammen. Lorenzo hatte einen ausgefeilten Geschmack und Giulia zu jedem einzelnen Möbelstück erklärt, warum ihm dies gefiel. In der Art und Weise wie er dies tat, hatte sie nie das Gefühl, dass er lehrmeisterlich war und sie wie ein Dummchen behandelte, obwohl sie sich aufgrund ihres einfachen Schulabschlusses und der abgebrochenen Lehre als Floristin manchmal minderwertig fühlte. Aber sie lernte von ihm, und das war gut so.
»Komm, setz dich zu mir«, sagte Lorenzo und klopfte überflüssigerweise mit der Hand auf die Sitzfläche des Sofas. Giulia saß immer neben ihm, einfach weil sie es liebte, sich eng an ihn zu kuscheln. Im Augenblick allerdings war ihr nicht danach. Seine ernste Miene schürte ihr Unwohlsein. Fast fühlte sie sich wieder wie das Hausmädchen, das sie noch vor rund einem Jahr gewesen war, und ihr Herz klopfte hart in ihrer Brust. Hatte sie vergessen etwas zu erledigen, was er ihr aufgetragen hatte? Eigentlich war sie sich keiner Schuld bewusst, und selbst wenn dies mal geschah, machte er deswegen kein Aufhebens.
Lorenzo nahm ihre Rechte in seine Hand und zog sie auf seinen Oberschenkel. Die Wärme seines Körpers strahlte durch die leichte Sommerhose und sie hätte liebend gerne ihre Finger in seinen muskulösen Oberschenkel gegraben. Aber dies war nicht der geeignete Augenblick.
»Ich muss dir etwas sagen, Giulia, was für dich vielleicht ein wenig unangenehm ist.« Er schaute sie an und sie erwiderte seinen Blick aus den dunklen Augen. Für einen Moment verharrte er, als suchte er noch nach den passenden Worten. »Der Patrone hat mich angerufen. Heute Nachmittag.« Wiederum hielt er inne, als hätte er die rechten Worte noch nicht gefunden, ihr eine unangenehme Botschaft zu übermitteln. »Also, um es kurz zu machen: Federico ist wieder da.«
Giulia erstarrte. Binnen Sekunden jagten Bilder an ihrem inneren Auge vorbei. Die Morenos im Doppelpack, äußerlich einander so ähnlich, dass sie kaum auseinander zu halten waren. Elegant gekleidet, muskulös, maskulin, sicher im Auftreten. Aber bei intimer Begegnung von so unterschiedlichem Charakter, dass Giulia bei dem Gedanken an ihren Schwager ein kalter Schauer überflutete.
Lorenzo drückte ihre Hand ein wenig fester. »Federico stand heute plötzlich bei meinen Eltern vor der Tür. Und er war nicht allein. Er hat ihnen seine … Also, er hat ihnen seine Frau vorgestellt.«
Für Sekunden wurde Giulia schwarz vor Augen und sie blinzelte mehrmals, bis Lorenzos Gesicht wieder Konturen annahm. »Dein Bruder hat geheiratet?«, stieß sie mühsam hervor. »Wen?«
So, wie sie Federico kennengelernt hatte, unsensibel und dominant, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sich eine Frau in ihn verliebte. Nach seiner überraschenden Abreise hatte er von Zeit zu Zeit eine Postkarte an seine Eltern geschickt, mit dem Hinweis, sie sollten sich keine Sorgen machen. Er nähme sich lediglich eine Auszeit, um über seine Zukunft nachzudenken. Das war alles. Nicht einmal telefonisch war er zu erreichen, wie die Patrona beklagt hatte. Offensichtlich hatte er seine Handynummer geändert und wollte nicht erreichbar sein.
Das lag nun alles ein Jahr zurück. Ein erlebnisreiches Jahr voller Höhen und Tiefen. Ein Jahr, in dem Lorenzo und Giulia sich auf einer romantischen Hochzeitszeremonie das Ja-Wort gegeben hatten und für zwei Wochen in die Toscana abgetaucht waren. Und es war das Jahr, in dem Giulia ihre gemeinsame Tochter zur Welt