Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman


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haben eine verheerende Wirkung auf dem verfallenen Gesicht angerichtet.

      »Bitte!« Stefanie möchte die Hand, die ihr das Wasserglas reicht, am liebsten von sich stoßen. Aber sie greift danach, nimmt einen winzigen Schluck, und als sie das Schließen der Tür vernimmt, geht sie rasch auf Rudolf Hermann zu.

      »Diese Stunde vergesse ich dir nie, nie«, zischt sie voll maßlosem Zorn. »Dafür werde ich dich ewig hassen.«

      Er verneigt sich spöttisch. »Vielleicht wirst du mir noch einmal dankbar dafür sein.«

      Sie lacht grell auf, nestelt mit bebenden Fingern an ihrer Tasche, zaubert Spiegel und Puderdose hervor und beginnt mit fahrigen spürt seine spöttischen Augen auf sich ruhen, und das raubt ihr den letzten Rest von Fassung.

      »Ich hasse dich – ich habe dich immer gehaßt«, würgt sie hervor, und dann fegt sie aus dem Zimmer, hinterläßt eine Wolke starken Parfüms, und ihr grelles, unnatürliches, boshaftes Lachen scheint noch im Raum zu tönen.

      Schwerfällig nimmt Rudolf seinen Platz vor dem Schreibtisch wieder ein. Jetzt ist er nicht mehr der Mann, der eine äußere Gelassenheit zur Schau trägt. Er sieht ehrlich bekümmert aus. Er sieht Christian vor sich, das junge und schon so verlebte Gesicht mit den samtdunklen, lebenshungrigen Augen, und die Vorwürfe fallen über ihn her und peinigen ihn.

      Gerade um diesen Jungen hätte er mit Stefanie kämpfen müssen. Er war es leid. Er war zu bequem. Und nun…

      Er stöhnt tief auf und fährt schreckhaft zusammen, als eine sanfte Hand seine Schulter leicht berührt. Aus verstörten Augen sieht er auf Magda, die sich mit einem ernsten, wissenden Lächeln zu ihm neigt.

      »Es tut mir leid, Rudolf«, beginnt sie stockend. Ihr kommt es wie ein Einbruch in seine Gefühle vor, und doch treibt sie die Sorge zum Sprechen. »Im Nebenzimmer habe ich alles mit angehört. Warum hast du nicht geholfen?«

      »Das fragst du mich?« verwundert er sich. »Glaubst du auch, ich wollte Rache nehmen für das, was sie mir einst angetan hat?«

      Sie schüttelt den Kopf. Ihre Augen glänzen feucht. »Bestimmt nicht. Ich dachte an Christiane und an den Jungen.«

      Er faßt nach ihrer Hand und preßt sie fest. »Sie muß den Weg bis zum Ende gehen, Magda. Vielleicht wird es ein bitteres Ende für sie – vielleicht auch nicht. Ich glaube trotz allem an meine Kinder und an das Gute in ihnen.«

      Magda lehnt sich an seine Seite. Ihre Hand streicht behutsam über sein Haar. Sie möchte ihm jetzt soviel sagen, aber sie spürt, daß er im Augenblick für nichts zugängig ist.

      Tief in Gedanken versunken läßt sie ihn zurück. Eine Viertelstunde später sitzt sie vor Cornelia und erzählt ihr alles, was sie gehört hat und daß sie ihren Vater in einem großen Zwiespalt weiß.

      Sehr aufmerksam hat Cornelia ihr gelauscht, und als sie den ersten Schock überwunden, beginnen ihre Gedanken zu arbeiten. Unaufhörlich kreisen sie um einen Punkt. Schließlich hält sie es auf ihrem Platz nicht aus. Sie läuft ziellos im Zimmer umher, von Magdas verwunderten Blicken verfolgt.

      »Ich hab’ es«, sagt sie mit lachendem Gesicht, und sie kehrt an den Tisch zurück und, die Hände auf die Platte gestützt, sieht sie Magda mit ihren leuchtenden Augen an.

      »Ich werde helfen.«

      »Du?« fragt Magda erstaunt. »Aber, Kind, wie wolltest du denn helfen?«

      »Laß mich nur machen, Magda.« Sie drückt Magda mit einer Heftigkeit die Hände, daß diese den Mund verzieht. »Später werde ich es dir und Vater sagen. Jetzt habe ich keine Zeit. Entschuldige mich, Magda, und vielen Dank für deine Offenheit.«

      Letzteres sagt sie schon von der Tür her, und kopfschüttelnd bleibt Magda Hermann zurück.

      *

      Wie lange Christiane in ihrem Zimmer gehockt hat, weiß sie nicht. Sie hört plötzlich Schritte, schleppende Schritte, die sich nach dem Zimmer der Mutter hin verlieren.

      Im Augenblick ist sie hellwach. Sie lauscht in die Stille des Hauses. Leise wird eine Tür geöffnet und geschlossen. Ein Schlüssel dreht sich im Schloß.

      Das ist Mama – durchschießt es Christiane – sie hat sich eingeschlossen. Verzweifelt irren ihre Blicke umher. Sie darf Mama jetzt nicht allein lassen. Sie muß zu ihr. Sie springt auf und schleicht sich zum Badezimmer. Aufatmend stellt sie fest, daß die Tür sich öffnen läßt.

      Auf Zehenspitzen durchquert sie das Bad und drückt leise die Klinke nieder. Einen Spalt nur öffnet sie die Tür zum Schlafzimmer Stefanies.

      Quer über das Bett hingestreckt sieht sie die Gestalt der Mutter, die von einem qualvollen Schluchzen geschüttelt wird. Im Nu kniet sie neben ihr.

      »Mama! Mama!« Das ist wie ein Aufschrei. Noch nie hat sie ihre Mutter weinen sehen. Sie ist bis ins Herz hinein erschüttert.

      »Mama, liebe Mama!« Sie kauert sich neben Stefanie und streicht unablässig über deren zuckenden Rücken. »Weine doch nicht so furchtbar. Ich kann das nicht hören. Du bist doch nicht allein, Mama, ich bin doch auch noch da…«

      Stefanies Kopf ruckt in die Höhe. Aus ihren Augen stürzen die Tränen, diesmal sind sie echt und entspringen einem Gefühl grenzenloser Mutlosigkeit, gepaart mit Verlassenheit. Sie sieht die weit aufgerissenen Augen Christianes, und Angst schüttelt sie. Auch Christianes Zukunft ist vernichtet, und Angst vor neuen Vorwürfen springt sie wie ein wildes Tier an.

      »Willst du mich auch zur Rechenschaft ziehen, wie dein Bruder Christian?« schluchzt sie völlig erschöpft und ausgepumpt. »Habe ich alles verkehrt gemacht? Wirst du auch über mich herfallen, wie es Christian getan hat? So geh doch auch, geh doch, ich halte dich nicht, geh zu deinem Vater. Jetzt bin ich arm, jetzt kann ich dir nichts mehr bieten.«

      Mit beiden Armen umschlingt Christiane den bebenden Körper Stefanies.

      »Nichts davon, Mama. Keine Vorwürfe. Du hast alles getan, ich weiß es doch. Du warst zu Christian zu nachsichtig, das ist alles, und Christian ist grundschlecht. Du hast doch noch mich, Mama. Ich bleibe bei dir. Ich lasse mich nicht fortschicken.«

      Maßlos erstaunt betrachtet Stefanie ihre Tochter, als sähe sie sie zum erstenmal. Eine Saite hat Christiane in ihr zum Schwingen gebracht. Eine fremde Melodie, die langsam ihr ganzes Herz auszufüllen scheint.

      »Du – du willst nicht fort von – mir…?« stammelt sie. Christiane wirft ihre Arme um den Hals Stefanies und schmiegt sich fest, ganz fest in ihre Arme.

      »Niemals, Mama, niemals lasse ich dich allein. Ich verspreche es dir.«

      So innig hat Stefanie noch nie ihr Kind umfaßt, als in dieser Stunde der Verzweiflung, das Herz von Vorwürfen fast zerrissen. Nie war sie ihrem Kinde vertrauter als jetzt, da ihre Tränen zusammenfließen. Wie an einen Rettungsanker, so klammert sie sich an die junge und doch so starke Christiane.

      »Nicht wahr«, so fleht Christiane verstört. »Du schickst mich nicht fort.«

      Stefanie löst sich aus Christianes Umarmung und streicht ihr das wirre Haar aus der Strin.

      »Nein, Kind, ich schicke dich nicht fort.« Ihr Mund zuckt schmerzlich. »Du wirst mich von selbst verlassen, denn wir sind arm…«

      »Wir können arbeiten, Mama.« Christiane richtet sich entschlossen auf. Ihre Augen blitzen unternehmungslustig.

      »Ach, Kind –«, seufzt Stefanie und trocknet zuerst Christiane, dann sich die Wangen.

      »Ich bin kein Kind mehr, Mama«, erwidert Christiane leidenschaftlich. »Du hast mich immer wie ein dummes Kind behandelt. Wenn du mir doch einmal vertrauen wolltest. Soll ich dir einmal etwas zeigen?«

      Stefanie nickt mit einem kleinen, flüchtigen und nachsichtigen Lächeln. Christiane stürzt davon und kehrt nach wenigen Minuten schon wieder zurück. Sie breitet einige Bogen vor den Augen Stefanies aus.

      »Sieh dir das an, Mama, bitte, sieh dir das einmal an«, fleht Christiane abermals