Interesse daran scheint erschöpft zu sein. Kraftlos, mit geschlossenen Augen, lehnt sie sich zurück. Mitten hinein in Cornelias Erzählen fragt sie:
»Wann ziehen wir um?«
»Morgen schon, Mama. Das Haus ist hergerichtet worden und wartet auf dich.«
Ein kleines, aber glückliches Lächeln huscht über das blasse Gesicht Stefanies. »Das ist gut«, murmelt sie und ist bald eingeschlafen.
Christiane rückt noch ein wenig an den Kissen, dann folgt sie der vorangehenden Schwester.
Inge, das Hausmädchen und die einzige Hilfe, die sie behalten haben, hat bereits gepackt. Alle persönlichen Dinge, die sie für sich auserwählt haben, sind bereits in das kleine Haus gebracht worden.
Es ist ein kleines, aber sehr behagliches Heim geworden. Über allem hat Magdas geschickte Hand gewaltet. In Christianes Zimmer sagt Cornelia: »Magda ist doch eine wunderbare Frau. Es wird Zeit, daß du sie kennenlernst. Sie hat uns ein großes Stück Arbeit abgenommen, und wenn man überlegt, das alles für die erste Frau des Mannes, den sie liebt.«
»Eben weil sie Papa über alles liebt, konnte sie das alles für Mama tun, und weil sie genau weiß, daß sie sich auf Papas Liebe verlassen kann«, setzt Christiane hinzu.
Entschlossen geht Cornelia auf das Bett zu. »Zieh dich aus, Kleines«, sagt sie energisch und schlägt die Decke zurück. »Jetzt wirst du verarztet. Schnell, schnell, sonst überlegst du es dir noch einmal. Ich kenne deine Sprunghaftigkeit.«
Aber Christiane denkt nicht daran, sich zu wehren. Sie entkleidet sich, huscht ins Bett, läßt sich von der Schwester sorgsam zudecken und schluckt folgsam das leichte Schlafmittel, das Cornelia ihr mit einem Glas Wasser reicht.
Cornelia wartet noch ein paar Minuten neben Christianes Bett, und als sie tiefe, gleichmäßige Atemzüge aus den Kissen vernimmt, verläßt sie den Raum.
Mit Hilfe Inges bringt sie die Mutter in ihr Zimmer, überwacht deren leichtes Abendessen und zusammen mit Inge bettet sie auch die Mutter.
»Gute Nacht, Mama, schlaf schön.«
Sie haucht einen Kuß auf Stefanies Stirn, und plötzlich fühlt sie sich heftig umfaßt. »Cornelia«, keucht Stefanie vor innerer Erregung und ihre Augen schimmern voller Tränen. »Ich muß es dir einmal sagen, wie sehr stolz ich auf dich und auf Christiane bin. Ich habe eure Liebe und eure große Geduld bestimmt nicht verdient.«
»Still, Mama.« Cornelia legt ihre Finger auf den zuckenden Mund. »Nicht in der Vergangenheit suchen. Es ist ja alles gut, so wie es jetzt ist. Wir wissen alle, daß es niemals zu spät ist.«
»Gute Nacht, Kind!«
So zufrieden wie an diesem Abend hat Cornelia noch nie das Haus verlassen. Sie sucht seit langer Zeit wieder einmal den Vater und Magda auf. Sie hat das Bedürfnis, sich mit den beiden Menschen auszusprechen und noch eine Bitte auf dem Herzen.
Mit großer Freude wird sie aufgenommen. Magda umhegt die abgespannt und müde aussehende Cornelia mit aller Rührigkeit.
»Papa«, sagt sie, nachdem sie sich ihre gegenseitigen kleinen Erlebnisse berichtet haben und sie richtet sich aus ihrer bequemen Lage auf. »Du mußt mir einen Gefallen tun, du und Stefan. Ich werde kaum Gelegenheit haben, mit Stefan darüber zu sprechen, da er ja vor dem 8. August nicht zurückkommt von seiner Reise.«
Aufmerksam hört Rudolf Hermann ihr zu. Zunächst ist er betroffen und zeigt eine abweisende Miene, doch als auch Magda sich einsetzt, stimmt er Cornelias Vorschlag zu.
Spät in der Nacht trennt Cornelia sich von den beiden glücklichen Menschen, deren Heim ihr wie eine Insel des Friedens und des Glückes vorkommt.
Sie ist mit sich zufrieden, mit sich und beinahe der ganzen Welt.
*
Modenschau!
Der elegante weite Saal des »Waldorf« ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Eine elegante, erwartungsvolle Menge. Schöne, reiche Frauen, meist in Begleitung ihrer Männer, die gern den Wünschen ihrer verwöhnten Frauen nachkommen.
Diesmal macht Cornelia die Honneurs. Sie sieht wie ein Engel aus mit ihrem leuchtenden Haar und den hellen, strahlenden Augen, dem eng die Taille umspannenden kostbaren Abendkleid aus weißem Satin mit Hunderten von glitzernden Steinchen bestickt.
Jeder neigt sich über ihre schlanke Hand, jeder der Herren im Abendanzug, der früher Gast im Hause Hermann war.
In den Garderoben geht es turbulent zu. Christiane, ausgeschlafen und munter wie ein Fisch im Wasser, steht inmitten der brodelnden, aufgeregten und nervösen Mädchenschar wie ein Fels im Meer.
Mit jeder Frage kann man zu ihr kommen. Geduldig steht sie jedem zur Verfügung. Aber sie hat auch den Blick eines Feldherrn, mit dem sie alles bemerkt, was nicht richtig ist.
Die Mädchen, diesmal nicht sinnlos hin und her kommandiert, gehorchen ihr nur zu willig. Es herrscht trotz aller Nervosität eine ausgelassene, fröhliche Stimmung.
Als der Gong ertönt, da wissen sie, die Modenschau hat begonnen. Der Ansager heißt die Gäste willkommen und neben ihm sagt auch Cornelia ein paar passende Worte. Das Orchester setzt ein, und der Vorhang gleitet zur Seite. Von rechts und links der Bühne nach dem Laufsteg zu kommen die Mannequins. Schöne, schlanke gepflegte Mädchen in Vormittagskleidern, in Nachmittagskleidern und in großen Abendroben.
Beifall rauscht auf. Er dringt bis in die Garderobe, wo Christiane, fix und fertig angekleidet, die Hände vor Erregung zusammengepreßt, auf ihren Auftritt wartet.
Und dann ertönt das Klingelzeichen. Sie erhebt sich, macht ein paar Schritte, spürt, wie die Kraft wieder in die Beine kommt, und eilt auf die Bühne.
Wie ein lebendig gewordenes Märchen steht sie im immer wechselnden Licht der Scheinwerfer. Ihr dunkelglänzendes Haar ist zu einer reichen Lockenfrisur aufgesteckt, läßt den schön geformten Kopf voll zur Geltung kommen. Die samtenen Augen scheinen noch einmal so groß. Leuchtend, geheimnisvoll funkelnd schweifen sie über die Zuschauer.
Langsam, graziös, trägt sie das große Abendkleid über den Laufsteg. Eine Komposition in weiß und leuchtendem Rot.
Ein einziges »Ah« und »Oh« geht durch den Saal. Christiane spürt die Welle der Begeisterung, die ihr entgegenschlägt, und sie möchte vor Glück weinen.
»Traum in rot und weiß«, stellt der Ansager die Robe vor. »Getragen von Christiane Hermann.«
Anmutig neigt Christiane sich nach allen Seiten. Sie geht auf und ab, und das Händeklatschen will nicht aufhören. Sie muß die Stufen hinabsteigen und sich durch den breiten Gang bewegen.
Sie tut es mit so viel natürlichem Charme, daß ihr die Herzen der Anwesenden wie im Sturm zufliegen.
Plötzlich stockt ihr Fuß. Ganz nahe ist sie an einen Tisch herangekommen. Ihr Lächeln, das soeben noch ihre Lippen umschwebte und das Cornelia galt, die sie neben einem Mann mit Charakterkopf entdeckte, verschwindet. Ihr Antlitz überzieht sich mit tiefer Blässe.
»Papa!« murmelt sie. Rudolf Hermann hat sich erhoben. Er ist selbst bis ins Herz hinein erregt. Seine Jüngste, dieses schöne, anmutige Geschöpf, die ihm wohl von allen Kindern die meiste Bewunderung abgerungen hat, steht vor ihm.
»Papa!« Und dann hängt sie an seinem Halse, unbekümmert der aufhorchenden Menschen. Aus ihrem glücklichen Lächeln ist ein glückseliges Schluchzen geworden und als sie den festen Arm des Vaters spürt, scheint sie alle Kraft zu verlassen. Langsam gleitet sie in eine grundlose Tiefe.
Erregte Rufe. Zuschauer springen von ihren Plätzen, das Orchester spielt die einschmeichelnde Melodie weiter.
Rudolf Hermann trägt seine jüngste Tochter den Weg über den breiten Gang, über den Laufsteg und über die Bühne. In der Garderobe legt er sie auf die Couch.
Die Mädchen stehen verängstigt und verstummt an die Wand gedrückt.
Was ist mit Christiane?