um Doktor Freitag, vielleicht war Oberschwester Magda selbst bei ihm, da sie keinen Ausweg mehr wußte und mit einer neuen Erpressung Freytags rechnen mußte.«
Sie wartet keine Einwilligung ab. Sie halten sie auch nicht zurück. Ein weiches Lächeln umspielt Rombergs Mund, und Müller brummt:
»Wir hätten nicht eine Frau vorschicken sollen. Offengestanden – es – paßt mir nicht.«
Romberg tritt an den Kollegen heran. »Derselben Meinung bin ich auch. Aber – in diesem Falle glaube ich Sybilla Sanders. Sie wird mehr erreichen als wir beide zusammen. Wir würden doch nur anklagen. Sie ist eine Frau, sie wird auch eine treffende Entschuldigung finden.«
Müller schweigt dazu. An seinem verschlossenen Gesicht ist schwer abzulesen, ob er überzeugt ist.
*
Professor Becker empfindet sofort, als er seine Abteilung betritt, daß sich etwas Außerordentliches ereignet haben muß.
Im eleganten hellgrauen Einreiher, ohne Kopfbedeckung, von dem Personal ehrfürchtig gegrüßt, geht er durch die Gänge.
Er kommt auch am Zimmer der Oberschwester vorbei, das für gewöhnlich offensteht. Wildes Schluchzen läßt seinen Fuß stocken.
Schwester Anita liegt mit dem Oberkörper auf dem Tisch und wird von heftigem Weinen geschüttelt.
Becker ist schon ein paarmal auf die immer fröhliche Schwester aufmerksam geworden. Um so mehr ist er über diesen Schmerzensausbruch erstaunt. Ja, anders kann er dieses verzweifelte Schluchzen nicht bezeichnen. Leise tritt er ein, legt mit einer ihm eigenen leichten Bewegung die Hand auf ihre Schulter, so daß sie erschrocken auffährt.
»Na, na, Schwester Anita«, versucht er begütigend auf sie einzureden. »Gibt es einen so großen Schmerz, der solche Tränen verdient? Alles geht einmal vorüber, alle Freude, aber auch alles Leid. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Stimmt mit Ihrer Familie etwas nicht?«
»Herr Professor!« stammelt sie, von seiner offensichtlichen Teilnahme noch mehr zu Tränen gerührt. »Es handelt sich nicht um mich. Es ist – Doktor Freytag – sehen Sie – dort?« – Sie weist mit der Hand auf die zerschlagene Scheibe des Giftschrankes, auf die immer noch am Boden liegenden Scherben. »Er hat es getan – und sich dabei die Pulsader zerschnitten. Ach –« Tränen ersticken jedes weitere Wort.
»Er muß wahnsinnig sein«, entfährt es Becker, und er sucht vergebens eine Gedankenverbindung von dem Unglück zu dieser kleinen, bildhübschen Schwester. Warum zittert sie an allen Gliedern?
»Es ist viel – schlimmer, Herr Professor«, weint sie auf. »Er – er ist Morphinist!«
Als habe Becker einen Schlag empfangen, weicht er etwas von ihr zurück, blickt sie mit ungläubigem Staunen an.
»Martin – ist –?« Nein, er mag das Wort nicht aussprechen. Wie eine Vision sieht er das lachende, fröhliche Gesicht Martins vor sich, das strahlend blonde Haar…
»Kommen Sie!« befiehlt er streng, und eingeschüchtert geht sie neben ihm her. In seinem Zimmer geht er rasch zu seinem Schreibtisch. Mit einem Telefongespräch hat er sich die nötige Erklärung verschafft. Und wieder fordert er Anita auf, mitzukommen. Diesmal klingt seine Stimme wie zerbrochen.
Noch weiß man im Hause nicht, was hinter Martins Unglück eigentlich steckt. Bis jetzt ist nur ein kleiner Kreis eingeweiht, zu dem auch Schwester Anita gehört.
Er hat sich orientiert, in welches Zimmer man Martin gebettet hat. Bei seinem Eintritt erhebt sich Schwester Gisela und macht ihm höflich Platz.
»Vertreten Sie für kurze Zeit die Oberschwester«, sagt er kurz angebunden.
Diese nickt und verschwindet, nicht ohne einen neugierigen Blick auf Anitas verweintes Gesicht geworfen zu haben.
»Sie werden an Doktor Freytags Bett wachen«, befiehlt er und betrachtet nicht ohne Erschütterung das wächserne Gesicht des jungen Arztes, in den er so unendlich viel Vertrauen gesetzt hat.
Doktor Romberg hat ihn gerettet. Ausgerechnet der Mann, von dem Martin nie ohne Gehässigkeit sprach. Martin wird leben. Das sagt ihm sein geschultes Auge. Aber um seine Existenz sieht es schlecht aus. Um seine Zukunft noch hoffnungsloser.
Unwillkürlich sieht er Martins Mutter vor sich, die kleine zierliche Frau, die alle Liebe in ihren Sohn gesät hat und die doch in ihrer Mutterliebe zu schwach war, ihn richtig zu lenken und zu führen.
»Sprechen Sie zu keinem über das, was Sie wissen«, sagt er aus seinen bedrückenden Gedanken heraus, und Anita nickt eifrig.
Sie hört den raschen Schritt des Professors, das Öffnen und Schließen der Tür und verharrt still am Bett Martin Freytags.
Wie lange sie so, ganz in sich versunken, zum Fenster hinausgestarrt hat, weiß sie nicht.
Ein Räuspern bringt sie in die Wirklichkeit zurück.
Aus einem verfallenen Gesicht blikken sie glanzlose, fiebrige Augen an, groß und fragend.
»Anita!« hört sie ihren Namen flüstern, ganz leise, aber sie hat ihn doch vernommen. Ihr ist die Kehle wie zugeschnürt. »In meinem Zimmer, in meinem Schreibtisch…Das Röntgenbild… Anita… geh in die Villa… Bitte hole das Bild… Nimm es an dich oder vernichte es. Bitte!«
Also hat er es damals doch vertauscht? Das letzte Rätsel ist da-
mit gelöst. Und ausgerechnet sie hat
er dazu ausersehen, den Beweis für Doktor Rombergs Unschuld zu vernichten?
Nein! Niemals! Sie wird versuchen, sich für eine Stunde freizumachen. Sie wird das Bild holen und es in die richtigen Hände legen.
Ihre schmale Gestalt sinkt beinahe in sich zusammen. So sehr drückt Martins Schuld, die er ihr auferlegt hat, sie zu Boden.
Sie liebt ihn noch immer und ist doch dazu ausersehen, ihn zu vernichten. Sie schlägt die Hände vor das Gesicht und jammert zwischen den Fingern: »Oh, mein Gott!«
*
Durch den Lautsprecher hat der Professor Doktor Romberg und Doktor Müller zur Berichterstattung zu sich gerufen. Nun wartet er, nach außen beherrscht, innerlich aufgewühlt. Was wird er alles zu hören bekommen?
Schritte nähern sich der Tür. Es klopft, und auf sein »Herein« steht Doktor Sybilla Sanders in der Tür.
»Es tut mir leid, Doktor Sanders, ich habe im Augenblick keine Zeit für Sie«, spricht er gefaßt zu ihr. »Ich erwarte Doktor Romberg und Doktor Müller. Vielleicht später«, winkt er ab, doch Sybilla reagiert nicht darauf.
Sie zieht die Tür hinter sich ins Schloß und kommt auf seinen Schreibtisch zu. Ihre klaren Augen heften sich an seine Züge. Eine Welle des Mißtrauens schlägt ihr entgegen. Tapfer weist sie alles von sich.
»Ich komme anstelle der beiden Ärzte«, sagt sie, von ihrer Mission ganz und gar erfüllt. Sie sieht, wie ärgerliche Röte in des Professors Gesicht steigt, und fährt rasch fort: »Es geht nicht nur um Doktor Freytag, denn ich nehme an, daß Sie die beiden Arzte wegen dieser unangenehmen Sache zu sich gebeten haben. Es geht um einen wertvollen Menschen – um Oberschwester Magda.«
Überrascht beugt der Professor sich vor. Jetzt ist seine Haltung mühsam beherrscht. »Um Oberschwester Magda?« wiederholt er verwundert. Dann macht er eine einladende Gest. »Nehmen Sie Platz, Doktor Sanders. Ich bin neugierig, alles zu wissen.«
Gehorsam setzt sich Sybilla. Mit ihrer dunklen Stimme beginnt sie zu erzählen. Das ganze grausame Spiel Doktor Freytags deckt sie auf, auch von Magdas Selbstmordversuch spricht sie. Becker unterbricht sie mit keinem Wort, so erfährt er in Kürze alles, was sich hinter seinem Rücken abgespielt hat. Er ist erschüttert und neigt dazu, sich selbst anzuklagen.
Starr sieht er vor sich hin, und als er die Augen zu Sybilla hebt, erschrickt sie über die Leere seines Blickes.
»Ich danke Ihnen, Doktor Sanders«, erfaßt er endlich nach langer Pause den