Achim Mehnert

Tibor 8: Expedition in die Urzeit


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Hudson.

      »Aber sicher doch«, fiel Dobbs ihr ins Wort. »Der See hat keine Strömung. Uns kann nichts passieren. Helfen Sie mir, Miss Hudson. Wir schieben den Stamm ins Wasser und setzen uns drauf. Vom Wasser aus gelingen uns bestimmt hervorragende Schnappschüsse.«

      Seine Assistentin legte mit Hand an. Gemeinsam gelang es ihnen, den abgebrochenen Baumstamm ins flache Wasser zu schieben und darauf Platz zu nehmen. Der Stamm war glitschig, doch ein paar verbliebene Äste boten Halt. Gemächlich trieb er aufs offene Wasser hinaus.

      »Wunderbar, ganz wunderbar«, jubelte Dobbs. »Das ist genau die richtige Perspektive! Von hier bekomme ich die Tiere vollständig aufs Bild. Meine Aufnahmen werden Geschichte machen.«

      Ein Stück weiter kräuselte sich die Wasseroberfläche. Ein grüner Kopf stieß aus dem See, gefolgt von einem langen Hals. Miss Hudson zuckte zusammen, als sich der Kopf in alle Richtungen drehte.

      »Ein Saurier! Er sieht zu uns herüber. Das ist mir nicht geheuer, Professor. Ich habe Angst.«

      »Kein Grund zur Beunruhigung.« Die Begeisterung ging mit Dobbs durch. »Das ist ein Plesiosaurus. Plesiosaurier ernähren sich von Fischen.«

      »Das nehmen Sie an. Aber ob er das auch weiß? Sehen Sie nur, wie bösartig er uns anglotzt.«

      »Nein, nein«, tat der Forscher die Befürchtung seiner Assistentin ab. »Ihn interessieren nur die Fische im See. Auf uns achtet er überhaupt nicht. Großartig, dass wir Gelegenheit erhalten, ihn bei der Nahrungssuche zu beobachten.«

      Die junge Frau runzelte die Stirn. »Er nähert sich. Hoffentlich hält er uns nicht für zu groß geratene, absonderliche Fische.«

      »Ach was! Wir brauchen keine Angst vor ihm zu haben.« Glückselig rückte Dobbs das neue Motiv in den Aufnahmefokus seiner Kamera.

      *

      Kerak war weniger naiv als die Zweibeiner. Durch das Verhalten des Sauriers spürte er instinktiv, dass die große Echse zum Angriff überging. Was sollte er bloß tun? Die Zweibeiner schwebten in Lebensgefahr und schienen es nicht einmal zu begreifen. Der Gorilla stapfte mit den Beinen auf. Er brüllte und winkte, um die Zweibeiner zu warnen, aber sie hörten ihn nicht.

      Kerak beschloss, ihnen zu Hilfe zu eilen, bevor sie als Beute des Sauriers endeten. Er schwang sich über den Rand der Felsen und kletterte hinunter.

      Wasser, dachte er. Nasses, kaltes Wasser. Ganz abscheulich.

      Doch ihm blieb nichts anderes übrig. Ohne ihn waren die Zweibeiner verloren, denn Tibor war nicht in der Nähe. Kerak musste seine Scheu vor dem Wasser überwinden.

      *

      Der Kopf des Plesiosaurus schnellte vor, sein Maul war weit geöffnet. Miss Hudsons entsetzter Aufschrei ging im krachenden Bersten von Holz unter. Die kräftigen Kiefer der Echse packten den Baumstamm und schüttelten ihn, bis er splitternd entzweibrach. Die beiden Hälften flogen davon und klatschten in den See.

      Die Forscher konnten von Glück reden, dass der Saurier sie nicht erwischte, weil sie von dem glitschigen Stamm rutschten und ins Wasser fielen. Dobbs streckte seinen Arm in die Höhe.

      »Meine Kamera!«, schrie er. »Sie darf nicht nass werden, sonst war alles vergeblich.«

      »Denken Sie an Ihr Leben und nicht an die alberne Kamera, Professor«, gab Miss Hudson prustend zurück. »Werfen Sie das Ding weg. Wir müssen schwimmen, und zwar schnell.«

      Dobbs dachte nicht daran, sich von dem wertvollen Bildmaterial zu trennen. Er hielt seine Kamera fest und paddelte mit einer Hand hinter seiner Assistentin her. Miss Hudson versuchte mit kräftigen Schwimmzügen ans Ufer zu gelangen.

      »Wir sind verloren. Das Untier folgt uns.«

      »Ganz unmöglich. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen fressen Plesiosaurier nur Fische.«

      Miss Hudson antwortete nicht. Offensichtlich handelte es sich bei den Erkenntnissen um einen Irrtum. Hastig schaute sie sich um. Die Echse war Menschenfleisch keineswegs abgeneigt. Meter für Meter holte sie auf. Der Vorsprung der beiden Forscher schmolz dahin. Sie waren zu weit aufs offene Wasser hinausgetrieben worden, um dem hungrigen Verfolger schwimmend entkommen zu können.

      Der Saurier pflügte wie ein Geschoss durch den See. Sein Schwanz peitschte das Wasser und dem zahnbewehrten Maul entrang sich ein wütendes Fauchen.

      Ein hungriges Fauchen.

      Der lange grüne Hals streckte sich, der Kopf zuckte der Wasseroberfläche entgegen. Das Maul des Sauriers verfehlte Dobbs um eine Mannslänge. Der nächste Angriff würde nicht mehr fehlgehen. Miss Hudson drohte in Panik zu geraten und allmählich dämmerte auch Dobbs, was die Stunde geschlagen hatte. Dennoch trennte er sich nicht von seiner Kamera.

      Tierisches Grunzen drang vom Ufer herüber. Kerak stand am Fuß des Felshügels, ein grauer Schatten, der einen Steinbrocken packte, ausholte und ihn dem Plesiosaurus mit aller Kraft entgegenschleuderte. Dem Treffer an dem grün gepanzerten Kopf folgte gequältes Fauchen. Der Saurier schwankte und kippte hintenüber, richtete sich aber gleich wieder auf.

      »Kerak hat ihn abgelenkt.« Miss Hudson spuckte Wasser aus. »Schneller, Professor, wir haben es fast geschafft.«

      Das rettende Ufer war nur noch wenige Meter entfernt. Der Gorilla tobte und brüllte. Er raffte weitere Steine an sich und deckte den Saurier mit einem Geschosshagel ein. Schließlich hatte das Urzeittier genug. Es ließ von seiner vermeintlichen Beute ab, warf sich herum und zog sich in tieferes Gewässer zurück. Die blonde Frau erreichte das Seeufer und ergriff die Pranke des großen Affen. Der Gorilla zog sie an Land.

      »Danke, Kerak«, japste sie. »Ohne deine Hilfe hätten wir es nicht geschafft.«

      Hinter ihr entstieg Dobbs den aufgewühlten Fluten. Auch ihn zog der Gorilla an Land.

      »Vorsicht, du plumper Affe. Ich habe meine Kamera gerettet, aber du schaffst es noch, sie zu ruinieren«, protestierte der Professor. Weiter kam er nicht.

      Plötzlich begann der Boden zu schwanken und zu dröhnen. Bäume knickten um wie Grashalme, als sich eine donnernde Walze in Bewegung setzte.

      »Ein … ein Erdbeben«, krächzte Dobbs.

      Er und seine Assistentin erhielten einen heftigen Stoß von Kerak. Bevor sie begriffen, was geschah, fanden sie sich unter der Uferböschung im Wasser wieder. Geschickt wich der Gorilla der heranstürmenden Gefahr aus. Statt ebenfalls ins Wasser zu springen, turnte er zwischen den Felsen herum. Aus aufgerissenen Augen verfolgten die Forscher das Schauspiel. Wo sie gerade noch gestanden hatten, trampelten Saurier in wilder Flucht vorbei.

      »Kein Erdbeben.« Dobbs hielt sich an den Wurzeln der Böschung fest. »Etwas hat die Saurier in Panik versetzt.«

      »Ja, das ist der reinste Weltuntergang. Kerak hat uns schon wieder gerettet.« Der jungen Frau war der Schreck in alle Glieder gefahren. »Wo wollen Sie hin, Professor?«

      Kaum dass die unmittelbare Gefahr vorbei war, sprang Dobbs an Land. »Ich muss nachsehen, was die Tiere so erschreckt hat. Vielleicht ein Raubsaurier?«

      »Das ist viel zu gefährlich.«

      Dobbs ließ sich nicht aufhalten. Ohnehin waren die Befürchtungen seiner Assistentin unbegründet. Es hielt sich kein Raubsaurier in der Nähe auf. Die Echsen waren geflohen, weil das Getümmel im Wasser sie erschreckt hatte. Es hatte eine kurze Weile gedauert, bis ihre mickrigen Gehirne das Geschehen verarbeitet hatten, doch dann waren sie umso heftiger in Panik verfallen.

      »Fünf Minuten hat es gedauert«, überlegte der Wissenschaftler laut. »In diesem Punkt stimmen unsere Forschungen also. Das Gehirn der Pflanzenfresser arbeitet so langsam, dass sie erst Minuten später reagieren. Notieren Sie diese Beobachtung in allen Einzelheiten, Miss Hudson.«

      Inzwischen war auch die blonde Frau aus dem Wasser gestiegen. »Gern, aber erst wenn wir wieder oben auf den Felsen in Sicherheit sind.«

      »Na schön.« Dobbs nickte bedächtig. »Aber solche kleinen