Selim Ozdogan

Wieso Heimat, ich wohne zur Miete


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Miete

Roman

      Gibt es bei euch zu Hause keine Esel?

Aziz Nesin

      Sklavenmarkt ist, und es geht bunt zu.

Elsa Sophia von Kamphoevener

      In zwei unbekannten Ländern.

      Vor gar nicht allzu langer Zeit.

      Prolog, in dem Krishna Mustafas Eltern sich im Pudding Shop kennenlernen, ihn zeugen, sieben Jahre zusammenleben und sich trennen

      Maria war anders als die übrigen Ausländerinnen, die mit Recep geschlafen hatten. Aber wie die anderen hatte er auch sie im Pudding Shop kennengelernt.

      Der 1957 von den Gebrüdern Çolpan eröffnete Pudding Shop lebte damals schon von seinem Ruf aus den 60er Jahren, als das Restaurant sich zum zentralen Austauschpunkt von Informationen über Reisen in den Osten entwickelt hatte. Man erfuhr, welche Straßen zugeschneit und nicht passierbar waren, wo Gefahren lauerten, an welchen Grenzübergängen man für ein kleines Bakschisch die Augen zudrückte. Der Pudding Shop war Treffpunkt der Hippies und Freaks, der Aussteiger und Abenteurer, die auf dem Landweg nach Indien, Nepal oder Thailand wollten, um dort etwas zu suchen, das sie zu Hause nicht finden konnten.

      Der Pudding Shop, durch den heute Busladungen von Touristen durchgeschleust werden und in dem eine kleine Pinnwand an die Vergangenheit erinnert, heißt eigentlich Lale Restaurant, aber das steht nur noch ganz klein außen dran. Lale bedeutet auf Deutsch Tulpe. Die Tulpen fanden es lustig, dass die Menschen, die Blumenkinder genannt wurden, sich diese vier Buchstaben nicht merken konnten und deswegen das Restaurant immer nur den Pudding Shop nannten.

      Dort, mit dem fröhlichen Gelächter der Tulpen, hat unsere kleine Geschichte ihren Anfang genommen. Als sich Maria und Recep im November 1989 kennenlernten, roch die Freiheit in der Welt, wie wir sie kennen, nicht nach Haschisch, freier Liebe, Yoga und Erleuchtung, sondern nach Reisefreiheit, Jeans, Vinyl und Südfrüchten. Recep, der Sohn eines wohlhabenden Viehhändlers aus Kars, war damals 22 und studierte an der Universität in Istanbul Deutsch. Er hatte Wirtschaft studieren wollen oder Jura, aber dafür hatte er bei den Aufnahmeprüfungen zur Universität zu schlecht abgeschnitten. Doch immerhin war er in Istanbul, nicht im Wohnheim, sondern in einer eigenen Wohnung im Stadtteil Balat. Sein Vater schickte ihm jeden Monat Geld und Recep verdiente sich etwas hinzu, indem er Haschisch an Touristen verkaufte, weil man die am besten übervorteilen konnte. Selbst diejenigen unter ihnen, die glaubten, das Handeln in Pakistan, Indien und dem Iran gelernt zu haben.

      Recep studierte diszipliniert, doch genauso diszipliniert verbrachte er jeden Tag einige Zeit in der näheren Umgebung des Pudding Shops, um nach Kiffern Ausschau zu halten. Die Touristen, die Haschisch kauften, fühlten sich immer noch wie magisch angezogen vom Pudding Shop, und es gab dort immer noch eine Pinnwand, auf der Leute Reisegefährten und – informationen suchten und fanden. Recep mochte die Fremden, sie erzählten von einer Welt, die er nicht kannte. Und er mochte die Frauen, die ihn bereitwillig mitnahmen in ihre kleinen, verwanzten Hotelzimmer.

      Maria war damals 23, sie hatte sich nach ihrem Abitur an der Universität in Köln für Regionalwissenschaften Lateinamerika eingeschrieben, doch war selten dort gewesen, weil sie gleich in der ersten Woche in einer Kneipe auf der Zülpicher Straße ihren ersten festen Freund kennengelernt hatte. Ruben war ein schlaksiger Typ mit langen, roten, leicht verfilzten Haaren, der ständig kiffte und plante, aus der Leistungsgesellschaft auszubrechen und im Einklang mit sich selbst zu leben. Er konnte Gitarre spielen, singen und war ein guter Liebhaber.

      Als Marias Großmutter starb und ihr 8.000 Mark vererbte, kaufte Maria einen VW-Bus. Sie wollte zusammen mit Ruben nach Indien fahren, auch wenn man weit von der ursprünglichen Route des Hippie Trail abweichen musste, denn der Iran war im Krieg mit dem Irak und Afghanistan von den Sowjets besetzt. Fliegen empfanden die beiden als eine unnatürliche Form der Fortbewegung, bei der die Seele zurückblieb, es führte nur zu Jetlag, Kulturschock und Umweltverschmutzung.

      Die Beziehung hielt mit Mühe bis Pakistan, weil Marias bürgerliche Erziehung voll durchschlug, wie Ruben meinte. Maria hatte die Schnauze voll davon, dass sie fahren sollte, während Ruben hinten die Britin vögelte, die sie über die Pinnwand im Pudding Shop kennengelernt hatten. Zunächst hatte er es offen getan, aber nach mehreren lautstarken Streits versuchte er den Sex zu verheimlichen, indem er sich währenddessen mit Maria unterhielt oder sich die beiden aufs Fummeln beschränkten. Maria ging es nicht so sehr um die Tatsache, sondern um die Gefahr, in einem islamischen Land beim Sex auf der Landstraße erwischt zu werden. Ruben beharrte darauf, dass das nur ein Vorwand sei, der tarnen sollte, wie eifersüchtig und verklemmt Maria war. Irgendwann hatte Maria genug, sie schmiss sowohl Ruben als auch Jane raus, es war schließlich ihr Bus. Der es mit Ach und Krach bis an die indische Grenze schaffte, bevor er den Geist aufgab.

      Die nächsten 16 Monate verbrachte Maria in Indien, die meiste Zeit davon in Benares und Rishikesh, bis ihr ein dreadlockiger, magerer Mann mit eigentümlichem Glanz in den Augen eines Morgens am Ganges ungefragt erklärte, es sei an der Zeit für sie, nach Hause zu gehen, und zwar auf dem Weg, auf dem sie gekommen war. Zwei Seelen würden sie erwarten. Maria, die Durchfall, Fieber, neun Kilo Gewichtsverlust, mehrere Diebstähle, schlechtes Haschisch, den Anblick von Bettlern mit verstümmelten Gliedmaßen, sexuelle Belästigungen und Grapschereien in unübersichtlichen Menschenmassen einfach hingenommen hatte, hielt diese Worte für ein Zeichen und suchte sich eine Mitfahrgelegenheit.

      Maria war anders, fand Recep. Klar, sie hatte einen Knall wie fast alle, die er vor dem Pudding Shop kennenlernte, sie meditierte, kiffte, chantete Mantren, sie erzählte stundenlang von den Sadhus und Gurus, der Entsagung, der Weisheit, dem Lächeln, der Bescheidenheit, der Wiedergeburt, der Seelenwanderung, sie rasierte ihre Beine nicht, duschte zu selten und aß zu wenig, doch sie interessierte sich für ihn. Für sein Land, für seine Sprache, für seine Familie, für seine Sicht der Dinge. Im Gegensatz zu den anderen glaubte sie nicht verstanden zu haben, wie Indien funktionierte, wie Pakistan und wie die Türkei. Sie schien zu ahnen, dass sie wenig wusste, deshalb wollte sie lernen. In Maria fand Recep eine Frau, die es nicht nur behauptete, sondern tatsächlich offen war und die nicht solche Ansprüche stellte, wie eine türkische Frau es getan hätte. Maria war nicht auf einen Versorger aus, sie zog einen gebildeten Mann vor. Recep hatte viel gelesen, viel mit Touristen gesprochen, seine Intelligenz beschränkte sich nicht nur auf einen guten Blick für den eigenen Vorteil. Beide hielten es für Liebe. Vielleicht war es das auch.

      Im Oktober 1990 wurde Krishna Mustafa geboren, Krishna nach dem hinduistischen Gott, Mustafa nicht nach Mustafa Kemal Atatürk, dem Staatsgründer der Türkei, auch nicht nach Mohammed, dessen Beiname Mustafa war, sondern weil es der Auserwählte bedeutete und Recep glaubte, sein Sohn sei für Großes geschaffen.

      Sechs Jahre lebten die drei in der Türkei, Recep schloss sein Studium ab, arbeitete als Deutschlehrer und verdiente nebenbei mit kleinen Geschäften etwas dazu. Maria lernte Türkisch, machte eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete, während ihre Schwägerin Sezen auf ihren gleichaltrigen Sohn Emre und auf Krishna Mustafa aufpasste. Die kleine Familie lebte ohne große Sorgen in einer Mietwohnung in Tophane.

      Recep Tayyip Erdoğan war bereits zwei Jahre Bürgermeister von Istanbul, als Krishna Mustafas Einschulung nahte und der Haussegen deswegen schief hing. Maria wollte, dass er in Deutschland zur Schule ging, denn die deutsche Schule in Istanbul konnten sich die beiden beim besten Willen nicht leisten und in eine türkische Schule wollte sie das Kind nicht stecken. Recep verstand nicht, warum das Bildungssystem, das er selbst durchlaufen hatte, auf einmal so schlecht sein sollte, doch Maria setzte sich durch.

      So zogen sie nach Freiburg. Dort hing der Segen aber mit jedem Tag noch schiefer, es fehlte an Geld, Recep fehlte es an Beschäftigung und Marias Eltern, die in Offenburg wohnten, hatten den Schwiegersohn noch nie gemocht. Irgendwann hing der Segen so schief, dass er vom Dach herunterstürzte, auf die Erde fiel und ein letztes Mal nach Luft schnappte. Man sah nur noch das Weiße in seinen Augen und dann starb er, ganz unchristlich, ohne Aussicht auf Wiederauferstehung. Als Recep zurück in die Türkei zog, hatte Krishna Mustafa in der Waldorfschule neue Freunde gefunden, die alle keine Cola trinken durften.

      Erstes Kapitel, in dem Krishna Mustafa in Istanbul keine Moschee findet, seine erste Tafel dunkle türkische Schokolade kostet und sich verläuft

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