nickt, verschränkt die Finger und reibt die Daumenballen aneinander.
Du willst etwas über die Türkei lernen, über deine Wurzeln, deine Herkunft, deine Ethnie. Und wo willst du suchen? Willst du den Topkapı-Palast besichtigen, den Galata-Turm besteigen und all das machen, was Touristen so machen?
Nö.
Was denn?
Ich weiß noch nicht genau.
Ich kann dir einen Tipp geben, sagt Isa: Wenn du etwas über den Wald lernen möchtest, fragst du dann einen Baum oder fragst du die Vögel?
Ich mag es nicht, wenn Menschen so reden. Ich bin nicht doof. Ich weiß, dass weder Bäume noch Vögel reden können.
Natürlich können die nicht reden, sagt Isa, kneift die Brauen zusammen, dass seine Augen zu schmalen Schlitzen werden, und sieht mich prüfend an. Dann lacht er wieder.
Such bloß nicht an der falschen Stelle, sagt er. Wir sind ein abgefeimtes Volk, lass dir das gesagt sein.
Ich nicke. Ich mag nicht, wenn Menschen etwas von Adlern und Vögeln und Ameisen erzählen, aber ich mag Isa, weil er es gut meint, das kann ich sehen. Weil er es gut meint und viel lacht.
Was machst du denn so? frage ich.
Ich studiere, sagt er und lacht wieder.
Was ist daran so komisch? frage ich.
Ich studiere etwas, das es nicht gibt.
Das es nicht gibt?
Ja. So wie katholische Theologie in Saudi-Arabien.
Aber du studierst doch hier?
Ja. Ich sage doch: so wie. So wie Meeresbiologie in der Mongolei.
Aber was studierst du denn nun?
Er lacht. Er lacht, dass ihm die Tränen kommen. Städteplanung, sagt er.
Ich verstehe den Witz nicht.
Du bist ja noch ein paar Tage hier, du wirst schon dahintersteigen.
Zwei Stunden später klopft Isa an meine Zimmertür und schaut rein, ich baue gerade Aya Triada, die große Kirche, die man von Taksim aus sieht.
Hör mal, Krishna, sagt er, du willst dieses Land doch kennenlernen. Ich habe gerade einen Anruf bekommen, ich muss dringend nach İzmir, es sieht mal wieder so aus, als würde meine Oma ihre letzte Reise antreten. Ich weiß nicht, wie lange ich weg sein werde, aber ich habe eine Karte für Erdoğan für heute Abend, die kann ich dir geben.
Letzte Reise?
Isa lacht und fragt: Möchtest du diese Karte?
Ja, gerne.
Der Islam, haben sie gesagt, die Islamisierung des Landes, die Kopftücher, haben sie gesagt, die verschleierten Frauen, die Männer mit Bärten. Aber die Männer sind alle rasiert und die Frauen total aufgetakelt, kein einziges Kopftuch im ganzen Saal, dafür riecht es penetrant nach Parfüm, Haarspray und Rasierwasser. Kurz bevor es losgeht, werde ich ein wenig aufgeregt, weil mir einfällt, dass sie zu Beginn vielleicht die Nationalhymne spielen, doch dann kommt nur so eine komische basslose Musik und danach die Geräusche einer mechanischen Schreibmaschine. Das ist vielleicht eine Antwort auf die digitale Überwachung.
Dann kommt unter großem Applaus Erdoğan auf die Bühne. Ein kleiner, dunkelhaariger Mann mit schütteren Haaren und Schnurrbart. Er beginnt damit, Witze über die zu spät kommenden Besucher zu machen. Ich kann nicht alles verstehen, was er sagt, manchmal nuschelt er ein bisschen und manchmal reicht mein Türkisch auch nicht.
Dann erklärt er, warum er diesen Job macht und nicht einfach einer normalen Arbeit nachgeht. Er sagt, er finde seine Arbeit nicht lustig, sie sei ihm ernst, aber die Leute würden immer lachen. Dabei würde er auch gerne einer geregelten Tätigkeit nachgehen, aber das Leben habe ihn zu dem gemacht, was er ist. In seiner Kindheit habe er die Sommer in Hakkâri und die Winter in Ankara verbracht. Das habe ihn zu einem Schauspieler werden lassen, weil er ausgelacht wurde, wenn er in Hakkâri akzentfreies Türkisch sprach und in Ankara in Dialekt verfiel. Er habe in Ankara Cola getrunken, während es das in Hakkâri nicht gab.
Ich habe etwas anderes erwartet, aber nun fühle ich mich diesem Mann verbunden. Als Kind habe ich in der Türkei viel Cola getrunken, eigentlich jeden Tag, aber als ich dann nach Deutschland kam, war in der Cola auf einmal zu viel Zucker drinnen und zu viel Koffein und zu viel Amerika und zu viel Konsum und ich durfte nur noch ungesüßte Säfte trinken. Erdoğan weiß, wie es ist, ohne Cola zu sein.
Ronald Reagan war ja auch Schauspieler und meine Mutter erzählt heute noch, wie sie damals extra nach Berlin gefahren ist, um gegen ihn zu protestieren. Ich glaube, ich finde es gut, wenn Politiker Schauspieler sind. Dann sehen sie besser aus und man langweilt sich nicht so, wenn sie reden. In Deutschland dürfen Politiker ja nicht gut aussehen und mitreißend dürfen sie auch nicht sein. Das ist, weil wir schlechte Erfahrungen mit dem letzten gemacht haben, der mitreißend war, sagt Hase immer. Hase ist mein Freund und sagt viele Sachen, die klug klingen.
In diesem Land sind wir zu Geologen geworden, nachdem uns ein Erdbeben erschüttert hat, wir sind zu Ökonomen geworden, nachdem uns die Finanzkrise gebeutelt hat, wir lernen unsere Lektionen erst, wenn es schon zu spät ist, sagt Erdoğan, und ich bin erstaunt, weil ja Politiker sonst nie Dinge sagen, die ehrlich klingen. Doch als er anfängt, darüber zu reden, dass die Türken sich selbst nicht mögen und dass sie deswegen kein Recht haben, Respekt oder Achtung von Europa einzufordern, dass sie nicht besonders klug sind und dass sie den Untergang verdient haben, kommen mir Zweifel. Ist das der Präsident dieses Landes?
Mein Sitznachbar dreht den Kopf und sieht mich an. Ich ergreife die Gelegenheit und frage ihn: Ist das der türkische Präsident?
Ich mag es nicht, wenn Leute einfach nur komisch gucken oder anfangen zu lachen, wenn man eine Frage stellt. Gegenfragen finde ich nicht so schlimm.
Willst du mich verschaukeln? fragt mein Nachbar, schaut wieder nach vorne und lacht, obwohl Erdoğan keinen Witz gemacht hat.
Nein, denke ich, Isa wollte mich verschaukeln. Das ist gar nicht Erdoğan.
Ich drehe mich zur anderen Seiten und frage: Wie heißt dieser Mann da vorne?
Yılmaz Erdoğan.
Yılmaz. Yılmaz … Ich komme gerade nicht auf den Namen, aber der Präsident hat einen anderen Vornamen, das hier ist der falsche Erdoğan. Ich bin auf der falschen Veranstaltung. Die nächsten zehn Minuten lache ich auch an den Stellen, an denen Erdoğan keine Witze macht.
Drittes Kapitel, in dem wir Emre kennenlernen, Krishna Mustafa eine Moschee findet und in einem Waffenladen Zuflucht sucht
Du bist ja lustig, sagt Emre und lacht. Du hast echt geglaubt, Isa hätte dir eine Karte zu einem Auftritt des Präsidenten gegeben?
Du bist ja lustig, das hat Laura am Anfang auch immer gesagt. Wir haben viel zusammen gelacht, nicht nur am Anfang, wir haben 16 Monate viel gelacht und dann hat sie auf einmal erkannt, dass ich meine Identität noch nicht gefunden habe, und sich getrennt. Ich sehe Emre auf dem Bildschirm, im Hintergrund kann ich mein Bett erkennen. Das Bett, in dem ich so viel Zeit mit Laura verbracht habe. Mit Laura konnte jeder Wochentag und jede Tageszeit ein Sonntagmorgen werden. Ich frage mich, ob Emre und sie sich über den Weg laufen werden. Bestimmt.
Emre studiert Deutsch und Englisch in Istanbul und macht gerade ein Auslandssemester in Freiburg. Als Kinder waren wir Nachbarn und haben immer zusammen gespielt, während meine Mutter bei der Arbeit war. Seit wir 15 sind, haben wir wieder Kontakt, über das Internet.
Emre wollte sein Auslandssemester zuerst in Berlin machen, aber wir haben gedacht, wenn er nach Freiburg kommt, können wir mehr Zeit miteinander verbringen. Dann hat Laura mit mir Schluss gemacht und ich wollte unbedingt in die Türkei, um dort meine Identität zu suchen. So haben wir die Zimmer getauscht und nun ist er in Freiburg, lange bevor das Semester anfängt.
Wie geht es dir denn da? frage ich.
Nach Istanbul und nach London ist das ein Dorf, sagt er, man kann überall zu Fuß hin, aber es gibt alles, was es in einer Großstadt geben muss. Alkohol ist