Selim Ozdogan

Wieso Heimat, ich wohne zur Miete


Скачать книгу

guckt einen niemand komisch an. Ich war schon in ein paar Kneipen, die mir gefallen haben. Die scheinen ganz in zu sein, aber niemand dort ist aufgetakelt und protzt. Es ist fast so, als gäbe es kein Nachtleben für die Reichen in dieser Stadt. Oder man sieht den Reichen ihren Reichtum nicht an. Und alle sagen immer achso. Weißt du das eigentlich? Achso, wenn man etwas versteht, achso, wenn man etwas nicht versteht, achso, wenn etwas anders ist als erwartet, achso, wenn man jemanden verarschen möchte, achso, wenn man überrascht ist, achso, wenn man etwas vergessen hat, achso, wenn einem etwas einfällt, achso, wenn man etwas nicht glaubt, achso, wenn man etwas glaubt, achso, wenn man ironisch sein möchte.

      Ach so.

      Ja. Das sagt ihr ständig. Wie ein Zauberwort oder so.

      Kann sein.

      Ist so.

      Ach so, ist so. Hast du schon festgestellt.

      Ja, glaub mir.

      Ich werde mal darauf achten.

      Nachdem ich mit Emre gesprochen habe, baue ich Aya Triada zu Ende und beschließe anschließend, in die Moschee zu gehen. Um nicht noch einmal so eine Pleite zu erleben wie bei der Suche nach Starbucks, entscheide ich mich für Sultan Ahmet, die Blaue Moschee. Das ist die, in die alle Touristen gehen, die werde ich sicherlich finden.

      Es ist heiß. Der heißeste Sommer in Istanbul seit Jahren, hat Emre gesagt, bevor ich gefahren bin. Heiß wie die Türangeln der Hölle. Meine Dreads fühlen sich an wie Brennstäbe, die von meinem Kopf baumeln, also gehe ich zum Friseur und lasse sie mir schneiden. Das wird dir schwerfallen, dich irgendwann von ihnen zu trennen, hat Hase immer gesagt, aber es ist ganz einfach. Nur den Bart möchte ich behalten und lasse ihn nicht rasieren.

      Als ich rauskomme, kommt es mir schon weniger heiß vor, dafür brennt jetzt die Sonne auf meiner Kopfhaut, deshalb kaufe ich in einem Laden eines dieser kleinen weißen Käppis, wie sie die Gläubigen häufig tragen.

      Am Touristeneingang von Sultan Ahmet ist eine lange Schlange. Ohne Dreadlocks und mit Käppi nehme ich einfach den Eingang für das Gebet, dort steht niemand an.

      Ich kann nicht beten, das hat mir nie jemand beigebracht. Ich weiß nur, dass man auf die Knie fällt, sich auf die Fersen hockt, die Stirn auf diesen Teppich legt, den Kopf nach links und rechts dreht und irgendwann die Handflächen nach oben nimmt. Ich will es einfach mal versuchen. Ich beginne im Stehen und bewege ein wenig die Lippen. Das fühlt sich gut an. Es kommt mir vor, als würde Gott anerkennend nicken. Er versteht ja jede Sprache, nicht nur die richtige. Dann sinke ich auf die Knie und lege die Stirn auf den Boden. Schon vorher im Stehen hat es nach Fußschweiß gerochen, aber jetzt ist es so, als hätte jemand Fußgeruch aus mehreren Jahrhunderten gesammelt und daraus eine Essenz hergestellt. Ein winziger Tropfen würde genügen, um eine Tonne Kaffee ungenießbar zu machen.

      Ich bleibe da unten, atme entspannt weiter. So schlimm, wie die Leute immer tun, ist Fußgeruch gar nicht. Ich liege mit der Stirn auf dem Boden und denke über Gott nach. Er hat sicherlich nichts gegen Fußgeruch. Er hat ihn schließlich erfunden. Aber vielleicht findet er diese Art zu beten komisch. Er sieht ja alles, nichts bleibt ihm verborgen. Auch wenn ich jetzt Richtung Mekka bete, sieht er mich gleichzeitig von hinten, wie ich ihm den Arsch entgegenstrecke. Ich weiß nicht, ob er es gut findet, immer nur Nacken und Ärsche zu sehen.

      Ich stehe auf, murmle wieder irgendetwas vor mich hin, falle auf die Knie, Stirn auf den Boden, wieder aufstehen. Ich mache das noch einige Male. Es ist heiß und ich habe ohnehin schon geschwitzt, noch bevor ich mich bewegt habe. Jetzt ist auch noch mein Kreislauf in Schwung gekommen und das bringt mich auf eine Idee.

      Ich lege mich mit dem Rücken auf den Boden, stelle die Füße an meinem Hintern auf, setzte die Hände neben die Ohren und drücke mich hoch in die Brücke. Das haben wir als Kinder oft gemacht (Tausende Male), und Laura macht es immer beim Yoga, das kann Gott nicht schlecht finden. Ich biete ihm mein Herz dar statt meinen Rücken und meinen Arsch. Ich schlage eine Brücke zwischen dieser Welt und jener unsichtbaren Welt.

      So eine Brücke ist anstrengend, als ich runterkomme, bin ich außer Puste. Ich richte mich auf, setze mich auf die Fersen und warte so, bis mein Atem sich beruhigt hat.

      Hase sagt, im Westen werde immer behauptet, Islam würde auf Arabisch Unterwerfung bedeuten, aber die Leute, die das sagten, könnten in der Regel kein Arabisch. Er hat mir erklärt, dass Islam Hingabe heißt. Hase hat mal Arabisch studiert.

      Ich habe versucht, Gott alles zu geben, was ich zu bieten habe, aber als ich aus der Moschee rauskomme, hat sich der Himmel verdunkelt und es weht ein Wind, der sich anfühlt, als würde man sich am ganzen Körper föhnen. Ich habe eine Stadtplan-App auf mein Handy geladen, damit ich mich nicht mehr verlaufe und die Leute mich nicht in die falsche Richtung schicken können. Ich gehe runter Richtung Eminönü, von dort will ich mit dem Bus nach Hause fahren. Unterwegs fängt es an zu regnen, zunächst ganz leicht, aber dann wird es schnell stärker und ich gehe in den nächstbesten Laden, um nicht nass zu werden.

      Es ist ein Waffenladen, in dem es Gewehre, Pistolen und Messer gibt. Ich gucke mir die Gewehre an, es interessiert mich, was hier so frei verkauft wird. Nicht, dass ich etwas davon verstehen würde, außer dass das hier keine Luftdruckgewehre sind. Ich nehme eins von der Halterung und lege an, weil ich wissen möchte, wie sich das anfühlt. Als Kind durfte ich kein Spielzeuggewehr haben, auch keines aus Holz. Ich durfte nicht mal eines im Laden ganz kurz in die Hand nehmen. Und jetzt nehme ich mir gleich das nächste und lege noch mal an. Dieses scheint sich besser an meine Schulter zu schmiegen. Das dritte, das ich ausprobiere, ist ein wenig zu schwer. Das vierte liegt am besten in der Hand, ich schaue in den Spiegel, ob es mir so gut steht, wie es sich anfühlt. Ich finde, ich sehe damit gefährlich aus, und fange an zu lachen.

      Der Regen wird noch stärker. Ich schaue zur Tür hinaus. Wassermassen fließen die Straße hinunter. Es sieht nicht so aus, als würde es regnen, es sieht aus, als würden Lufttropfen in ein Meer fallen.

      Viertes Kapitel, in dem Krishna Mustafa zum Pudding Shop geht, zum ersten Mal Nesrin begegnet und erneut seinen Vater verpasst

      Hase hat viel erzählt vom Pudding Shop und wie er dort mal Jörg Fauser getroffen hat, der damals opiatabhängig war. Aber nicht das Opiat, sondern der Alkohol zerstört die Menschen, sagt Hase immer und redet dann von Jim Morrison, Janis Joplin, Jimi Hendrix, aber auch von Amy Winehouse und von Jeffrey Lee Pierce. Hase ist damals nicht bis nach Indien gefahren, sondern irgendwann aus Afghanistan wieder zurück nach Deutschland, aber das ist eine andere Geschichte.

      Meine Mutter hat nicht so viel erzählt vom Pudding Shop, außer dass mein Vater und sie sich dort kennengelernt haben. Und dass es dort diesen Pudding gibt, in dem auch Hühnchenbrust ist, auch wenn man das nicht schmeckt.

      Jetzt stehe ich vor dem Pudding Shop und ein Reiseführer lotst eine ganze Busladung amerikanischer Touristen rein. Die Touristen sind alt und dick und laut und ich frage mich, ob der Pudding Shop es schöner gefunden hat, als noch mehr junge Menschen ein und aus gingen. Ich warte draußen, dass es leerer wird, doch die letzten Amerikaner stehen mit ihren Tabletts noch an der Kasse, da kommt schon die nächste Reisegruppe und drängelt sich rein.

      Der Pudding Shop war selbst wohl auch noch jünger und hübscher, als Hase hier gewesen ist. Er hieß ja auch gar nicht Pudding Shop, sondern Tulpe. Damals hatten noch nicht so viele an ihr gerochen, sie hatte ihren eigenen Duft und vielleicht hatte sie Träume, was sie mal werden wollte. Sie hatte einen eigenen Duft und sie war ein kluges Mädchen, sie wusste viel, deswegen kamen alle zu ihr und so lernte sie noch mehr. Sie lernte etwas von der Welt, von den Menschen, von den Straßen, von den Autos und Kleinbussen, sie sah zukünftige Schriftsteller, sie sah Menschen auf Drogen, sie sah wenigstens einige Tage lang dieselben Gesichter und konnte sie wiedererkennen, sie roch den Duft der freien Liebe.

      Doch dann änderte sie ihren Namen, sie vergaß, was sie einmal gewusst hatte, und nahm auf einmal jeden. Jeder, der genug Geld hatte, konnte rein und raus, und die meisten kamen nur einmal und machten sich nicht die Mühe, sie richtig anzuschauen. Also gab sie sich auch keine Mühe, sie lehnte sich zurück und ließ es über sich ergehen. Sie hatte ihren ursprünglichen Duft verloren, doch das scherte die Besitzer wenig.

      Solange sie genug Geld einbringt, wird sie weiter