Selim Ozdogan

Wieso Heimat, ich wohne zur Miete


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jemanden, der ihn kannte, aber er kreuzt überall auf.

      In diesem Dorf sah der Amerikaner auf einem alten Esel eine gewebte Satteltasche, die sein Kennerauge sofort als äußerst wertvoll einstufte. Der alte Esel gehörte einem alten Mann, und da hier nicht Istanbul war und der alte Mann kein einziges Wort Englisch konnte, bat der Amerikaner den Einäugigen, zu übersetzen. Nicht bevor er ihm gesagt hatte: Achtung, jetzt zeige ich dir einen meiner Tricks.

      Er wollte von dem alten Mann wissen, wie sich seit den Ausgrabungen denn das Dorfleben verändert habe.

      Ach, sagte der Mann, frag nicht. Seit ein paar Touristen hierherkommen, ist es vorbei mit dem einfachen Leben, alles geht den Bach herunter.

      Ja, ja, wie überall, sagte der Amerikaner.

      Keiner interessiert sich mehr für den anderen, alle sind nur noch hinter dem Geld her, dem schnellen Gewinn, alle wollen Touristen irgendwelches billiges Zeug andrehen. Diesen Tonkrug habe ich beim Pflügen meines Feldes gefunden, er ist bestimmt 4.000 Jahre alt, sagen sie. Dabei haben sie nur einen nagelneuen Krug vier Tage in ihrem Garten eingegraben. Sie verkaufen Fleisch, das schlecht geworden ist, indem sie es stark würzen, und preisen es als lokale Spezialität an. Sie verkaufen Wasser aus dem Brunnen in Plastikflaschen, sie verkaufen alles, was sie zum vierzigfachen Preis verkaufen können, und tun so, als wären sie ehrliche, gastfreundliche Dorfbewohner. Das Geld hat sie alle verdorben.

      Ja, das kenne ich, sagte der Amerikaner. So ist es überall auf der Welt. Sobald die Leute ein paar Scheine sehen, ist alles hinüber.

      Sie merken gar nicht, dass sie ihre eigene Zukunft verkaufen, sagte der alte Mann, sie machen sich alles kaputt, obwohl sie klug genug sein müssten, um zu wissen, dass ihre Rechnung nicht aufgehen wird.

      Das ist der Gang der Welt, sagte der Amerikaner, so ist es überall. Ohne Ausnahme. Das Geld zerstört die alten Werte. Wovon lebst du denn, wenn ich fragen darf, bist du auch im Touristengeschäft tätig?

      Nein, nein, sagte der Mann, ich kaufe und verkaufe Esel. Das ist mein Beruf.

      Ah, sagte der Amerikaner freudig überrascht. Das trifft sich ja gut. Ich würde nämlich gerne deinen Esel kaufen.

      Meinen Esel. Ach, der ist alt, der lahmt, der ist störrisch, der bricht fast zusammen, wenn er nur einen Sack Mehl tragen soll, ich glaube nicht, dass du den haben möchtest, sagte der Mann.

      Doch, doch, sagte der Amerikaner. Der Esel gefällt mir.

      Ach, das ist doch nur ein alter Esel, der kaum noch ein halbes Jahr zu leben hat.

      Er gefällt mir, sagte der Amerikaner.

      Was willst du denn mit ihm?

      Mit nach Amerika nehmen.

      Wieso, habt ihr bei euch zu Hause keine Esel?

      Doch, doch, aber dieser hier, ich weiß auch nicht, er gefällt mir. Was willst du dafür haben?

      Er ist nicht zu verkaufen, Herr.

      Wie viel?

      Nicht zu verkaufen.

      Alles hat einen Preis. Wie viel?

      Er ist nicht zu verkaufen, Herr. Wirklich nicht.

      Hab dich nicht so. Nenn einen Preis. Dann können wir verhandeln.

      1.400 Dollar.

      Wie viel? fragte der Einäugige, der die ganze Zeit übersetzte.

      1.400 Dollar, sagte der Mann.

      Aber …

      Ich habe gesagt, er lahmt, er ist alt, er ist störrisch, er hat nicht mehr lange zu leben. Aber er will ihn trotzdem haben, dann muss ja irgendetwas Wertvolles an diesem Esel dran sein, das mir entgeht.

      Aber ich kann ihm jetzt doch nicht wirklich sagen, dass du 1.400 Dollar für einen Esel möchtest. Was ist das Tier denn wert?

      Vielleicht 5 Dollar.

      Aber …

      1.400.

      Das gehört sich doch nicht, das kann ich nicht übersetzen. Was soll der Gast denn von uns denken?

      1.400. Da lasse ich mit mir nicht verhandeln.

      Ich kann doch nicht …

      1.400.

      Der Einäugige übersetzte. Der Amerikaner war einige Sekunden sprachlos, fing dann aber an zu handeln. Nach einer Dreiviertelstunde hatte er den alten Mann auf 1.250 Dollar heruntergehandelt und gab zähneknirschend auf. Sie schlugen ein. Bevor der alte Mann dem Amerikaner die Zügel des Esels gab, nahm er ihm die Satteltasche ab. Der Amerikaner konnte sich gerade noch so beherrschen.

      Nichts anmerken lassen, zischte er dem Einäugigen zu, nahm die Zügel und sie gingen einige Schritte.

      Moment, Moment, rief der alte Mann, ihr habt etwas vergessen.

      Die beiden blieben stehen und drehten sich um. Der Amerikaner lächelte dem Einäugigen zu. Siehst du, flüsterte er, die Satteltasche ist bestimmt 2.000 wert, immerhin 750 Gewinn.

      Ihr habt den Pflock vergessen, um den Esel anzubinden, sagte der Mann und gab ihnen einen Eisenpflock. Der Esel ist alt und läuft nicht weg, aber man weiß ja nie.

      Vorhin hatte der Amerikaner sich noch im Griff gehabt, aber nun konnte er sein Gesicht mehr halten. Er bedankte sich dennoch und ging wieder einige Schritte, bevor er stehenblieb, als sei ihm etwas eingefallen. Langsam drehte er sich zu dem Eselhändler um.

      Der Esel ist wirklich alt und ihm scheint kalt zu sein, möchtest du ihm nicht diese Satteltaschen umlegen, damit er nicht friert?

      Nein, nein, sagte der Mann, der stirbt ja ohnehin bald.

      Mir tut der Esel leid, ich möchte nicht, dass er in seinen letzten Tagen friert. Die Nächte sind kalt hier, wie du weißt. Und sieh, diese Satteltasche, sie ist alt, sie ist dreckig, was ist die schon wert? Ich gebe dir 10 Dollar dafür. Ach, komm, lass es 20 sein. Dafür muss der arme Esel dann nicht frieren. Hab doch Erbarmen mit ihm.

      Nein, nein. Ich bin doch nicht verrückt und verkaufe diese Satteltasche. Die bringt mir Glück. Seit fünf Jahren verkaufe ich nun schon alte, lahmende Esel, wenn sie diese Satteltasche tragen. Manche sterben mir weg, bevor ich sie loswerde, andere verkaufe ich mit viel Gewinn. Das Eselgeschäft ist das einzig ehrliche Geschäft in diesem Dorf, das mache ich mir doch nicht kaputt, indem ich diese segensreiche Satteltasche verkaufe.

      So kennt der Chor der Einäugigen diese Geschichte, und wenn er sie erzählt hat, singt er am Ende immer:

      Der Ami und der Esel

      die hatten großen Streit

      wer wohl am klügsten wäre

      zur schönen Ferienzeit

      Der Ami sprach: Das bin ich

      und fing an die Zählerei

      ich aber zähle besser

      fiel gleich der Esel ein

      Das klang so schön und lieblich

      so schön von fern und nah

      sie zählten alle beide

      Dollar, Dollar i-a, i-a

      Dollar, Dollar, i-a

      Siebtes Kapitel, in dem Isa das Problem der arabischen Welt erklärt, Yunus einen Film schneidet und Krishna Mustafa Nesrin zum zweiten Mal sieht

      Isa ist zurück aus İzmir, seine Großmutter hat sich wieder erholt.

      Jetzt ist die gute Frau schon gut über neunzig, aber sie flucht wie ein Mann und ist stur wie ein Esel, manchmal glaube ich, sie wird einfach gar nicht gehen, sagt er. Und du, will er wissen, was hast du getrieben, bist du vorwärtsgekommen, hast du ein wenig gegraben nach den Wurzeln?

      Ja, sage ich und erzähle von dem Gemeindefest. Dabei fällt mir auf, dass keiner der Deutschen etwas über die Türken gesagt hat, alle haben nur von sich geredet.

      Ich weiß nicht, wie ich von den Deutschen auf die Araber komme, aber ich erzähle auch von den vielen Arabern, die ich auf den Straßen sehe. Die Männer tragen Shorts,