Selim Ozdogan

Wieso Heimat, ich wohne zur Miete


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mit auf den Biomarkt gehen möchte. Yunus bleibt zu Hause, weil er irgendetwas termingerecht für einen Kunden programmieren muss, und ich habe ja ohnehin nichts zu tun. Der Markt ist unter einem Parkdeck, oben stehen die Autos, darunter sind die Stände. Es gibt nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch Kosmetika und Waschmittel, Marken, die ich aus Deutschland kenne.

      Diese Zahnpasta benutze ich auch, sage ich und freue mich, als würde ich einen alten Bekannten treffen.

      Was kostet die Zahnpasta denn in Deutschland? fragt Esra.

      Ich rechne. Dann rechne ich noch mal. Dann rechne ich noch mal. Dann glaube ich, dass ich mal wieder mit den Zahlen nicht klarkomme, und nenne Esra den Preis in Euro. Sie sieht mich an.

      Das ist die Hälfte von dem, was es hier kostet, sagt sie.

      Kann sein, sage ich.

      Hier kann sich ein Student nicht einfach mit Biozahnpasta die Zähne putzen, sagt sie, nicht mal ein Lehrer kann das. Sieh dir die Leute hier an. Die haben alle Geld.

      Du bist doch auch Studentin.

      Ja, aber meine Eltern sind gut situiert, ohne deren Geld wären wir nicht hier. Wie viele Menschen in unserem Alter siehst du hier?

      Ich blicke mich um. Die Jüngsten hier sehen wie Anfang dreißig aus. Das ist in Freiburg natürlich anders, die Kundschaft im Bioladen reicht von Studenten bis hin zu Leuten in Hases Alter. Hier sind keine ganz jungen Menschen, aber auch keine, die so alt sind wie Hase.

      Als Erstes sehe ich die Dreadlocks, sie steht zwar mit dem Rücken zu mir, aber ich bin mir sicher, dass sie es ist.

      Nesrin, rufe ich, während ich auf sie zugehe.

      Sie dreht sich um.

      Erinnerst du dich an mich?

      Sie nickt.

      Das dritte Mal, sagt sie.

      Heute sieht sie ganz freundlich aus.

      Ja, sage ich. Jetzt sind wir uns in acht Wochen schon dreimal über den Weg gelaufen. Das ist doch ein unglaublicher Zufall in einer Stadt, in der so viele Millionen leben.

      Nein, sagt sie. Wenn du Bio isst, triffst du die Leute, die auch Bio essen. Wenn du gerne ausgehst, triffst du die Leute, die auch gerne ausgehen. Das hat mit Zufall nichts zu tun. Das Istanbul derer, die versuchen, wie Menschen zu leben, ist klein. Der einzige Zufall ist, dass wir uns vor dem Pudding Shop getroffen haben.

      Was hast du da eigentlich gemacht?

      Ich war mit einem Iren verabredet, der sein Handy im Yıldız-Park verloren hatte. Ich habe es gefunden und er hat den Pudding Shop als Treffpunkt vorgeschlagen.

      Esra kommt hinzu.

      Das ist Esra, die Freundin meines Mitbewohners, sie studiert BWL und macht gerade einen Film über die Gezi-Proteste, sage ich. Und du, was machst du eigentlich? Das weiß ich gar nicht.

      Das habe ich dir schon gesagt. Ich versuche, wie ein Mensch zu leben.

      Wenn es kein Zufall ist, dann ist es doch ein Zeichen, dass wir uns so oft treffen, sage ich. Möchtest du mir deine Nummer geben, damit ich dich mal anrufen kann?

      Wir sehen uns, sagt sie, bis bald, und wendet sich ab.

      Woher kennst du sie? fragt Esra und ich erzähle von unseren Begegnungen.

      Erzähl nicht jedem, dass ich einen Film über die Gezi-Proteste mache, sagt sie.

      Warum nicht?

      Weil wir Angst haben, sagt sie. Wir haben alle Angst. Du hast gesehen, auf der İstiklal ist jeden Tag mindestens ein Wasserwerfer, auch wenn dort nichts los ist. Überall ist Polizei. Anwälte kommen in Untersuchungshaft, Ärzte, die bei den Protesten den Verletzten geholfen haben, werden angeklagt, unliebsame Justizbeamte werden versetzt. Wir haben keine Rechte mehr in diesem Land. Wir haben kein Recht, einen Film zu machen.

      Aber warum machst du ihn dann?

      Damit die Leute sehen können, dass wir keine Rechte haben. Wir werden ihn im Internet veröffentlichen, aber anonym. Yunus kennt sich damit aus.

      Und du glaubst, Nesrin könnte dich an die Polizei verraten?

      Möglich.

      Aber schau mal, wie sie aussieht.

      Eben. Eine Tochter aus einem wohlhabenden Elternhaus. Wieso sollte sie sonst das Geld haben, auf dem Biomarkt einzukaufen?

      Sie hat Dreadlocks.

      Ihre Frisur ist einfach eine Mode, der sie nachgeht, weil sie sich das erlauben kann. Hast du schon mal die Zivilpolizisten hier gesehen? Alles junge Kerle mit Vollbart, ich würde die gar nicht erkennen, wenn sie nicht so komische schwarze Rucksäcke hätten, aus denen immer noch das Ende des Schlagstocks herausguckt. Die kontrollieren eher so jemanden wie mich als so jemanden wie Nesrin, weil sie aussieht, als wäre sie eine verwöhnte Schnepfe und die Eltern mächtig genug, um einen Beamten von seinem Chef zusammenscheißen zu lassen. Nesrin sieht nach Geld aus, nach viel Geld.

      In Deutschland wirst du mit Dreadlocks regelmäßig kontrolliert. Eine Zeitlang bin ich häufig nach Basel gefahren, das ist in der Schweiz, Laura hatte Freunde da. Im Zug wurde ich immer kontrolliert. Auf dem Hinweg und auf dem Rückweg. Der deutsche Ausweis hat keinen Unterschied gemacht, die haben mich jedes Mal gründlich durchsucht. Die Polizisten haben auch immer nachgesehen, ob ich nicht etwas in meinen Haaren versteckt habe. Nach dem dritten oder vierten Mal habe ich schon keinen Rucksack mehr mitgenommen, damit sie schneller fertig sind.

      Was suchen Sie denn? habe ich immer gefragt und die haben gesagt: Betäubungsmittel. Da hätten sie nur zu Hase müssen, da hätten sie jede Menge gefunden, aber das habe ich denen natürlich nicht verraten. Die haben mir nicht geglaubt, wenn ich gesagt habe, dass ich keine Drogen nehme, nicht rauche und nicht trinke. Ich musste immer mit denen aussteigen und mich auf der Polizeistation in Basel oder in Freiburg komplett ausziehen. Das fand ich nicht so schlimm, weil ich ja sowieso dort aussteigen wollte. Nur Laura war genervt davon. Sie hat sich mit den Beamten angelegt und gesagt, dass das eine Unverschämtheit sei und rassistisch und dass sie das nur wegen der Dreadlocks machen würden und weil ich so dunkel aussehe. Die hat sich richtig aufgeregt und sich die Dienstnummern geben lassen. Dann hat sie Briefe geschrieben, aber es kamen immer Antworten, in denen etwas von stichprobenartigen Kontrollen stand und einschlägigen grenzpolizeilichen Erfahrungen.

      Ich bin da ja entspannter als Laura. Nachdem ich verstanden hatte, dass sie mich auf jeden Fall kontrollieren würden, habe ich mich schon im Zug ausgezogen, als sie in den Wagen kamen. Schiebetür geht auf, Polizei kommt rein und ich ziehe mir den Pulli und das T-Shirt aus, die Schuhe, die Socken, die Hose, die Unterhose, das geht ja schnell, und dann saß ich nackt auf dem Sitz und habe denen meinen Personalausweis hingehalten. Dann mussten sie nur noch in den Haaren suchen.

      Du hast nackt im Zug gesessen?

      Ja. Aber die haben mir gedroht, dass ich eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses bekomme, und Laura hat sie angeschrien, dass sie das Ärgernis sind und nicht ich. Danach bin ich in Badehose gefahren, das ist ja nicht verboten. Noch bevor wir eingestiegen sind, hat Laura meine Sachen in ihren Rucksack getan und ich habe mir den Personalausweis in das Gummi meiner Badehose geklemmt. Da musste ich mich nicht mehr ganz ausziehen. Und weil ich wusste, dass sie in meinen Haaren suchen würden, habe ich dann immer kleine Aufmerksamkeiten darin versteckt, damit die sich freuen. Figuren aus Überraschungseiern, Schokobons, Spielzeugsoldaten, Centmünzen. Manchmal haben sie so schlecht gesucht, dass sie nichts gefunden haben. Aber wenn sie was gefunden haben, haben sie sich nie gefreut. Und wollten es auch nie nehmen. Nicht mal ein Schokobon. Das habe ich extra für Sie versteckt, Sie dürfen es gerne behalten, habe ich gesagt, aber die mochten wahrscheinlich keine Vollmilchschokolade und haben gesagt, dass sie das als Bestechungsversuch werten, wenn ich weiter insistiere.

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