dass sie mal schön gewesen sein muss.
Natürlich weiß ich, dass ein Restaurant keine Tulpe ist; und selbst wenn sie eine wäre, hätte sie keine Augen und keine Ohren und könnte nichts sehen und nichts hören. Aber manchmal arbeitet mein Kopf für sich allein. Hase behauptet, ich sei naturstoned.
Ich stehe vor dem Pudding Shop und frage mich, ob er ein Teil meiner Identität ist, weil meine Eltern sich dort kennengelernt haben. Dann frage ich mich, ob Laura einen neuen Freund finden wird und ob ich dann traurig sein werde. Und ob sie ihn wieder verlassen wird, wenn sie sieht, dass ich meine Identität gefunden habe. Aber wie soll sie mir später ansehen, dass ich vor dem Pudding Shop gestanden habe?
Ich gehe rein, als die Schlange nicht mehr bis vor die Tür geht, und nehme ein Tavuk göğsü, den Pudding mit zarten Fäden von Hühnchenbrust. Und Döner. Ich glaube, der Döner ist Teil der türkischen Identität, deshalb hieß es Dönermorde, als diese ganzen Türken ermordet wurden. Sie essen Döner und sie sterben, das reichte für ihre Identität. In meiner Identität ist vielleicht irgendwie weniger Fleisch drin, weil ich ja auch weniger Türke bin.
Als ich wieder rauskomme, ist da eine Frau vor dem Laden, die etwa so alt ist wie ich und auch Dreadlocks hat. Ich lächle sie an, dann fällt mir wieder ein, dass ich ja keine Dreadlocks mehr habe und wieder diese Kappe trage und sie bestimmt nicht weiß, warum ich sie einfach so anlächle.
Ich hatte auch Dreadlocks, sage ich auf Englisch zu ihr, bis gestern, da habe ich sie mir schneiden lassen.
Sie nickt.
Ich heiße Krishna Mustafa.
Ich heiße Nesrin.
Oh, du bist Türkin, sage ich auf Türkisch.
Sie nickt.
Wartest du hier auf jemanden?
Ja, auf einen Krishna Mustafa, der kommt und ein wenig Hirschplauderei mit mir betreibt.
Was ist Hirschplauderei?
Sie sieht mich an.
Verzieh dich, mein Sohn, yallah.
Und wenn du das freundlich sagen würdest, wie würde das klingen?
Bist du bekloppt, oder was? Verpiss dich.
Ich hatte wirklich Dreadlocks, sage ich, aber sie guckt so böse, dass ich tatsächlich gehe. Ich bin ohnehin mit meinem Vater verabredet und muss noch zur İstiklal, ich möchte nicht schon wieder zu spät sein.
Ich weiß nicht, was mein Vater mit diesem Starbucks hat, aber nachdem ich eine Viertelstunde davor auf ihn gewartet habe, ruft er an und fragt, wo ich bin.
Vor dem Starbucks.
Ich auch.
Ich sehe dich nicht.
Ich dich auch nicht, sage ich, heb doch mal die Hand.
Ich sehe mich um, doch niemand hebt die Hand.
Was für ein Laden ist neben dem Starbucks? fragt mein Vater.
Wieso, frage ich, wollen wir uns lieber dort treffen?
Was für ein Laden?
Topshop Topman steht hier.
Du stehst vor einem anderen Starbucks als ich, sagt er.
Oh. Okay. Warte. Ich finde dich.
Ich frage im Laden und gehe zum nächsten Starbucks, doch dort sehe ich meinen Vater auch nicht. Ich rufe an.
Dann gibt es wohl drei, sagt er, jetzt warte du.
Zehn Minuten später ruft er an und möchte wissen, wo ich bin.
Immer noch vor dem Starbucks.
Vier, Scheiße, es sind vier. Vier Buttfuck. Vier verdammte, muttergefickte Buttfuck. Als hätten nicht wir den Kaffee extra bis nach Wien gebracht, damit er sich von dort aus verbreiten kann, als würde das nicht alles auf uns zurückgehen. Da kommen die und machen gleich vier Buttfuck in einer Straße auf, damit der Osmane nicht hochmütig werde, damit er traurig und verwirrt sei. Latte mich am Arsch.
Dann bekommt er einen Anruf rein und muss dringend weg. Wir verschieben unser Treffen.
Fünftes Kapitel, in dem Krishna Mustafa Yunus und Esra kennenlernt, die Geschichte ihres Pudding Shops hört und sich fragt, warum Liebeskummer und Laura mit L anfangen
Mein Vater ist heute Morgen an die Ägäis geflogen, um mal ein paar Wochen auszuspannen, wie er sagt. Wir werden uns erst sehen können, wenn er wieder zurück ist. Yunus und Esra kommen gerade von der Ägäis zurück, wo sie ein paar Tage mit Esras Eltern Urlaub gemacht haben.
Esra ist braungebrannt, aber man kann erkennen, dass sie von Natur aus dunkel ist, dunkler noch als ich. Ihre Augenbrauen sind gezupft, doch da sind so kleine Punkte, an denen man sieht, dass sie ziemlich dick sein müssen. Die Haare an ihren Armen sind lang und ihre Nase wirkt ein wenig zu groß für ihr Gesicht. Sie kommt aus Hatay, sagt aber, dass ihre Familie ursprünglich aus dem Iran stammt.
Yunus ist ein hellerer Typ mit lockigen Haaren und einem Flaum im Gesicht, der vielleicht ein Bart werden wollte, nun aber feststellen muss, dass sich seine Hoffnungen nie erfüllen werden. Er kommt aus Zonguldak an der Schwarzmeerküste.
Man fragt hier immer, woher jemand stammt, aus welcher Provinz die Familie kommt. Mein Vater lebt nun schon seit über 27 Jahren in Istanbul, mehr als die Hälfte seines Lebens, aber wenn er nach seiner Heimat gefragt wird, sagt er Kars. Und wenn man mich fragt, sage ich auch Kars, obwohl ich noch nie da war.
Yunus ist der andere Mitbewohner hier, Esra ist seine Freundin, und während der Ventilator die Luft dreht und dreht, ohne dass sie kühler wird, sitzen wir im Wohnzimmer und reden. Es ist etwas an den beiden, das schön ist und weh tut. Ich verstehe nicht warum, aber manchmal bekomme ich trotz der Hitze eine Gänsehaut, wenn ich die zwei ansehe, manchmal verknotet sich mein Magen, als wäre er ein Taschentuch, das mich an etwas erinnern möchte.
Als ich den beiden erzähle, wie ich bei Erdoğan war, fällt Esra fast von der Couch vor Lachen.
Aber so ist es ja, sagt sie, so viel Unterschied ist da nicht. Der Mann ist lustig. Warum sollten wir Bäume fällen wollen, wir haben genau drei Quadrillionen Bäume in diesem Land gepflanzt.
Das hat er wirklich gesagt, ergänzt Yunus.
Wer?
Recep Tayyip Erdoğan, der Präsident, der, der uns Çapulcu genannt hat, nicht Yılmaz Erdoğan, der auf der Zugfahrt von Ankara nach Hakkâri die Bäume entlang der Schienen gezählt hat.
Der, der uns zusammengebracht hat.
Yılmaz Erdoğan hat euch zusammengebracht?
Nein, RTE.
RTL? Ihr habt euch bei einer Fernsehsendung kennengelernt?
RTE. Recep Tayyip Erdoğan.
Der hat euch zusammengebracht?
Ja, sagt Yunus, wir sind diesem Mann Dank schuldig.
Ja, sagt Esra, wie sollte denn die Tochter eines Sufi-Derwisches, die in Tarabya wohnt, den Sohn eines Fischers kennenlernen, der in Mecidiyeköy ein Zimmer hat? Einen, der für die Arbeit am Rechner sitzt und in seiner Freizeit Candy Crush und GTA spielt? Wie sollte eine BWL-Studentin einen freien Programmierer kennenlernen, der eigentlich nur für Kundenbesuche und Beşiktaş-Spiele das Haus verlässt und sonst in seinem Rechner wohnt?
Wie? Weil ihr beide beim Präsidenten wart?
Gezi, sagt Yunus, das ging nur bei Gezi, da kamen alle zusammen. Junge, Alte, Kurden, Aleviten, Marxisten, Moslems, Schwule, Lesben, Hip-Hopper, Metaller, Rocker, Playstation-Zocker, Fußballfans, Studenten, Schüler, Gezi hat alle Grenzen aufgehoben, wir haben einfach alle zusammen geweint, weil die Polizei so rührend war, wir habe alle zusammen gelacht, wir sind zusammen weggelaufen, wir haben zusammen Rennie und Talcid genommen.
Rennie und Talcid?
Ja, gegen die Schmerzen vom Tränengas.
So werden wir unser Kind nennen, sagt Esra, wenn es ein Mädchen wird, Rennie, wenn es ein Junge wird, Talcid.
Du