an ihr vorbeigerollt war, verschwieg er wohlweislich. Grinsend klopfte Vinzenz, der hinzugetreten war, der Magd den gut gepolsterten Rücken. »Die Anna hat genug Speck am Leib«, behauptete er augenzwinkernd, »der lindert jeden Sturz.«
»Aus dir spricht der Neid, weil deine Liesl zaundürr ist«, gab sie ihm halb belustigt, halb ärgerlich zur Antwort.
Da fielen die ersten Tropfen. Die drei jungen Leute eilten zum Wagen und sprangen auf den Bock. Völlig durchnässt langten sie am Mangoldhof an. Es hatte keinen Sinn, das aufgeweichte Heu in die Scheune zu bringen, darum ließ Severin den vollbeladenen Wagen im Freien stehen, spannte zusammen mit dem Knecht die Braunen aus und führte sie in den Stall. Dort wurden die Tiere trockengerieben und gefüttert.
Der Vater musterte ihn im Haus mit vorwursfsvollen Augen. »Du machst ein so zufriedenes Gesicht, Bub, als wär dir vollkommen gleichgültig, ob ein Fuder Heu verdirbt oder net.«
»Vater«, sagte Severin und legte dem Hofherrn eine Hand auf die Schulter, »es gibt Wichtigeres auf der Welt als ein Fuder Heu. Unsere Anna war heut dem Tod näher als dem Leben Dass sie kreuzfidel mit uns hat heimfahren können, das ist bedeutungsvoll. Net der Wagen mit dem Heu da draußen.« Er erzählte, und als er endete, war der Vorwurf aus den Augen des Vaters verschwunden.
»Ich muss dir recht geben, Bub«, sagte der alte Mangold. »Freuen wir uns, dass die Anna so glimpflich davongekommen ist.«
Beim Abendessen in der Wohnstube bekam die Magd das schönste und größte Stück Fleisch zum Petersiliengemüse vorgesetzt. Dazu einen Schoppen Rotwein. Die Magd nahm die Bevorzugung gerne hin und hieb mit Heißhunger in die Speisen. Auch ihr Weinglas war bald geleert. Als die Bäuerin für sie allein noch als Nachtisch Rohrnudeln und Kaffee auftrug, da konnte sie ihre Wissbegier nicht mehr länger zügeln.
»Bäuerin, warum die Extraspeis für mich? Bloß weil ich vom Heuwagen gerutscht bin?« Kichernd fuhr sie fort: »Wenn das so ist, dann lass ich mich bald wieder vom Wagen herunterfallen.«
»Untersteh dich«, tadelte sie die Mangoldmutter.
Der Regen hatte aufgehört, und die Wolken waren weitergewandert. Severin griff nach der Zeitung und setzte sich hinter dem Haus auf die Bank des Gemüsegartens. Von dort aus konnte er das letzte Leuchten des untertauchenden Sonnenballs beobachten. Ein feuriges Abendrot überzog den Himmel im Westen. Der Jungbauer konnte den Blick nicht davon lösen und ließ die Zeitung achtlos zu Boden fallen. Er hörte Stimmen im Haus, die sich der Hintertür näherten. Gleich darauf stand die Mutter vor ihm, und an ihrer Seite die Posthalterin.
»Lieben Besuch hast gekriegt, Bub«, sagte die Mutter und entfernte sich rasch.
Severin sprang auf. »Gundi?«, rief er ein wenig überrascht, denn die Mollige war noch nie auf dem Hof gewesen. Er lachte sie an. »Das ist wirklich eine nette Idee, mich hier aufzusuchen. Setz dich, bitt schön.«
»Weil du den Weg zu mir so selten findest, bleibt mir gar nix anderes übrig, als selber einmal nach dir zu schauen, Severin.«
Der volle Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln, doch die Braunaugen blickten ihr Gegenüber ernst an. Sie nahm an seiner Seite Platz.
Der hochgewachsene Blonde räusperte sich. Er senkte den Kopf, um die stumme Traurigkeit nicht sehen zu müssen, die in diesen Braunaugen stand. Er nahm ihre Hand und wunderte sich, dass sie ihm überlassen wurde.
»Viel hab ich in der letzten Zeit über uns nachgedacht, Gundi«, sagte er mit belegter Stimme. »Grad deswegen, weil du ein so herziges Weiberl bist, bei dem man sich keine Leichtfertigkeit erlauben darf. Wer dich erringt, der kann sich glücklich preisen.«
Heftig entzog sie ihm ihre Hand. »Du musst dir net so schöne Wörtl aussuchen, um mir zu sagen, dass meine Lieb zu dir keine Zukunft hat«, kam es scharf von den hübschen Lippen. »Drei Wörtl genügen: Es ist aus.«
Verzweifelt hob er die Arme. »So durcheinander war ich in meinem ganzen Leben noch net«, brach es aus ihm heraus. »Es zieht mich zu dir hin. Wo du bist, da bin auch ich gern. Alles an dir gefällt mir. Wie du aussiehst, wie du dich bewegst, wie du redest. Aber ich hab einen Traum, Gundi. Den Traum von der großen, himmelstürmenden Lieb. Vielleicht gibt es sie gar net. Vielleicht wart ich bis an mein letztes Stünderl vergebens auf sie.«
»Die große, himmelstürmende Lieb«, wiederholte Gundi leise. »Ich glaub, es gibt net gar zu viel Leutl, die sie erleben dürfen. Die andern müssen sich halt mit weniger zufriedengeben und sind trotzdem glücklich.«
Das Violett am Himmelsbogen wich einem dämmrigen Grau, das sich immer mehr verdunkelte. Bleich und käsig hing die Mondsichel hoch oben. Eine braungefleckte Katze strich um Gundis Beine. Als Gundi sie streicheln wollte, huschte sie davon.
»Du hast wohl recht, Madl«, sagte er nachdenklich. »Es kann ja auch sein, dass aus einer net gar so übermächtigen Lieb durch längere Gemeinsamkeit eine große Lieb wird.« Sanft zog er die Posthalterin an sich und küsste sie auf den vollen Mund. »Du hast mir die Augen geöffnet, Schatz«, flüsterte er. »Um ein Haar hätt ich verspielt, was mir vielleicht später noch einmal sehr kostbar sein wird.«
Ein seliger Seufzer löste sich von ihren Lippen. »Niemand kann voraussagen, dass es mit uns gut gehen wird. Aber die Hoffnung ist jetzt wieder da. Und sie macht mir das Herz leicht.«
Ein zweiter Kuss folgte. Erschrocken machte sich Gundi von ihm frei und schaute verlegen nach allen Seiten. Der blonde Bauernsohn lachte. »Hast Angst, wir könnten beobachtet werden, Schatz? Wenn schon. Dass junge Leut, die sich mögen, auch ab und zu Busserl tauschen, ist schließlich nix Besonderes. Das darf jeder sehen.«
Trotzdem drängte die Mollige zum Aufbruch. Das junge Paar spazierte im Mondlicht auf verschwiegenen Pfaden außerhalb der Ortschaft dahin und versicherte sich mit vielen, kleinen Zärtlichkeiten die gegenseitige Zuneigung. Gundi strahlte mit den Sternen um die Wette und sah immer wieder verliebt zu dem hochgewachsenen Burschen auf, der sie um mehr als Haupteslänge überragte. Die hellblauen Augen in dem bartlosen Jungmännergesicht hatten es ihr angetan. Und sie bewunderte die markanten Züge in diesem Gesicht, die doch nie hart wirkten.
Früher als die Posthalterin es wünschte, langten sie bei ihrer Wohnung an. Ein bittender Blick traf ihn. »Für ein Schlückerl Wein wirst dir doch noch Zeit nehmen, Liebster?«
»Heut nimmer, Schatz«, bedauerte er. »Weißt, ich muss morgen bei Tagesanbruch hinaus und Gras schneiden. Heut hat es uns schon ein Fuder Heu verregnet. Kann sein, dass es faulig geworden ist. Morgen ist kein nasser Segen zu erwarten, schreibt die Zeitung. Der Tag muss ausgenützt werden. Aber am Abend komm ich. Kannst dich darauf verlassen.«
Sie nickte, konnte aber eine leichte Enttäuschung nicht verbergen. Nach einem letzten Busserl trennten sie sich. Severin war wirklich müde und sehnte sich nach Schlaf. Mit weit ausgreifenden Schritten strebte er müde dem elterlichen Hof zu. Gähnend schloss er die Haustür hinter sich und wollte die Stiege zum Obergeschoss hinaufeilen, da kam ihm die Mutter entgegen.
»In der Wohnstube sitzt einer, der dich heut noch sprechen möcht, Bub«, berichtete sie.
»So spät?«, fragte der Sohn verdutzt. »Wer ist’s denn?«
»Der Jäger Ebenhecht. Was hast du mit dem Försterischen zu schaffen?«
Die Stirn des Jungbauern rötete sich leicht. Er spürte, dass sein Herz heftig gegen die Rippen pochte. »Ich bin kein Hellseher, Mutter«, sagte er heiser. »Seiner Tochter hab ich neulich aus einem Schlamassel geholfen. Vielleicht hängt’s damit zusammen. Geh du nur zu Bett. Ich erzähl dir morgen, was sein Begehr ist.« Mit gemischten Gefühlen schritt er auf die Tür der Wohnstube zu. Als er den Raum betrat, erhob sich der hagere Waidmann von der Ofenbank. Seine Größe erreichte die des Bauernsohnes. Eine Strähne des grau melierten Haares hing ihm in die tief gebräunte Stirn. Nicht unfreundlich war der Blick aus den grauen Augen, der den Eintretenden traf.
»Wirst dich wohl wundern, Mangold, dass ich dir um diese Zeit noch meine Aufwartung mach«, vermutete er. »Aber ich meine halt, die Angelegenheit soll so schnell wie möglich beredet werden. Also sei net bös.«
»Setz