sein und sie ihn nimmer lebend wiedersehen.
»Du kannst gewiß mit dem Jäger heimkehren, Madl«, sagte die Schwester und zog sie schon mit sich auf eine Glastür zu.
»Mit dem Jäger!« stieß Anita entsetzt hervor. Sie riß sich los und starrte die Schwester an.
»Ja, ihm hast viel zu verdanken, denn er hat deinen Vater blutend und bewußtlos gefunden.«
»Einem Jager – einem Jager sollt ich danken müssen!« rief Anita verzweifelt.
»Das ist kein Muß, mein Kind«, erwiderte die Krankenschwester und ergriff aufs neue ihre Hand.
Diesmal ließ Anita sich führen, durch einen langen Gang, in einen Aufzug und weiter durch Gänge mit unendlich vielen Türen.
Plötzlich stockte ihr Fuß. Sie sah einen Burschen, der sichtlich müde dasaß und vor sich hin starrte. Seine Ähnlichkeit mit Lukas war so groß, daß Anita spontan aufschrie: »Lukas!«
Er schnellte hoch, als wäre auch auf ihn geschossen worden. Erst blickte er entgeistert, dann schrie er ebenfalls einen Namen – nämlich: »Anita!«
Die freundliche Krankenschwester glaubte genug zu wissen und getan zu haben. Sie zog sich lächelnd zurück, indes die jungen Leute wie von Sinnen aufeinander zustürzten und sich in die Arme fielen.
»Lukas, du bist’s wirklich! Gott sei Lob und Dank!« schluchzte Anita.
»Madl – mein Liebes – was für ein Lichtblick, dich hier wiederzufinden!« stöhnte der Kronseder auf. Es gab zwischen ihnen nichts Fremdes, Hemmendes mehr. Sie hielten sich umfangen und wollten nur spüren, daß dies kein Traum war. Doch zu einem Busserl traute sich Lukas trotz aller Freude nicht. Als ihm jäh einfiel, weshalb er hier war, wurde er ernst und löste sich seufzend von dem Madl.
»Warum bist hier?« fragten sie nun wie aus einem Munde.
»Ich hab am Gamsmugl wieder einen traurigen Fund gemacht«, antwortete Lukas als erster. »Und obwohl ich nach dem ersten Mal schon arg hab leiden und mich gegen einen schrecklichen Verdacht hab verteidigen müssen, hab ich die sogenannte gute Tat halt wiederholt. Wenn ich nur schon wüßt, auf wen diesmal hinterrücks geschossen worden ist!«
Anita, hinter deren Stirn Mühlräder zu kreisen schienen, schüttelte den Kopf. Sie faßte nicht, was hier geschah. Die Freude über das Wiedersehen war verwirrender als die Sorge um den Vater.
»Seit Stunden bet ich, daß er durchkommt – aber net meinetwegen, sondern wegen seiner Familie!« gestand Lukas.
»’s ist der Söllner – und es heißt, es besteht keine akute Gefahr mehr«, sagte Anita leise.
»Ach – du kennst ihn?« stieß Lukas überrascht hervor.
Das Madl nickte, hatte Tränen in den Augen. Von Mitleid und Liebe überwältigt, zog Lukas es an sich und sagte tröstend: »Die kennen sich hier aus. Wenn sie sagen, es besteht keine akute Gefahr für sein Leben, dann stimmt’s auch. Laß uns für den Söllner beten. Falls er alleinstehend sein sollt, werden wir zwei uns um ihn kümmern. Gelt, da machst doch mit – oder?« Bestürzt schwieg Lukas, weil er Anitas Gesichtsausdruck nicht zu deuten vermochte.
»Hast am End was gegen den Söllner?« fragte er, als ihm ihr Schweigen zu lange dauerte.
»Nein, nein – und er wird auch nix gegen dich haben!« stieß sie in einem Ton hervor, als könnte sie ihre Freude kaum mehr unterdrücken.
Lukas schüttelte den Kopf. Er glaubte betäubt zu werden, als er Anita sagen hörte: »Er ist mein Vater – und er hat’s eher als du erfahren, wie lieb ich dich hab!«
Mit ihr zusammen sank Lukas auf den am nächsten stehenden Stuhl und hielt sie fest. Sie mußte ihm gleich alles ausführlich erklären und berichten. Selbst auf dem Heimweg im Taxi stand ihr Mund keinen Augenblick still.
»Deine Rach hat den Falschen getroffen, Anita«, meinte er später, lächelte jedoch voller Zärtlichkeit.
»Nein, den Richtigen!« jubelte sie.
Auch Lukas hätte jauchzen mögen, doch sein Glück war noch nicht aus allen Schatten heraus. Zu seinen Aufgaben als Jäger gesellten sich weitere. Denn als der Söllner in der Lage war, auszupacken, wie er es nannte, sollte der Bertrammer zur Rechenschaft gezogen werden. Dieser jedoch floh ins Gebirge, trat fehl und brach sich beim Sturz in die Schlucht am Ratspitz das Genick. Vor einem himmlischen Richter würde er alles verantworten müssen: seine unsinnige Liebe, seine Lügen, seinen Haß und die Schüsse auf die Söllner.
Letztere verziehen ihm, weil für sie doch noch alles gut wurde. Ja, und der Kronseder-Lukas hatte keine Beziehung zur schrecklichen Vergangenheit, sondern eine beseligende zur traumhaft schönen Gegenwart.
Es stürmte und schneite, als sie den Söllner-Vater heimholten. Für sie alle schien jedoch eine Sonne, die in ihren Herzen schien. Sie kannten die Wahrheit und bedauerten den Bertrammer, der doch gut und sorglos hätte leben können. Für ihn war in ihrem Leben kein Raum mehr, denn sie hatten zu sehr mit sich selber zu tun. Schon stand fest, daß Lukas später auf den Söllner-Hof ziehen würde. Man hatte ihn inzwischen befördert – vielleicht um etwas gutzumachen. Er freute sich, dachte aber nicht lange drüber nach, weil sein Leben von der Liebe ganz und gar ausgefüllt wurde. Noch jemand war froh und zufrieden – die alte Apollonia, denn sie erlebte im stillen das Glück der Liebenden mit. Auch verriet sie niemals, daß sie das alles in ihren eigenen Handlinien vorausgelesen hatte.
»Die deinem Herzen nahestehen, werden heiraten. Du wirst mit ihnen glücklich und nicht mehr so einsam sein«, hatte Apollonia sich in einer traurigen Stunde selber gedeutet. Und es gab für sie nur zwei Menschen, die in ihr Denken und Leben eingeschlossen waren, ohne es zu ahnen: der Jager Lukas und sein Madl Anita, die nun bald den Namen Kronseder tragen würde.
– E?N?D?E?–
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