zu werden. Hannes Bertrammer sprang wie gestochen hoch, warf seiner Magd den Janker zu und sagte hastig: »Heul net – ich hab’s net so bös gemeint, Lenerl.« Das klang freundlich und verständnisvoll, aber Anita ließ sich diesmal nicht täuschen.
»Komm herein!« forderte Hannes sie auf, während er ans Fenster trat, um sie zu begrüßen.
Anita wich zurück. »Könntest herauskommen? Ich hab was mit dir zu besprechen, für das ich mir keine Zeugen wünsch«, entgegnete sie spröde.
Es war wie ein Ruck durch ihn gegangen. Sekundenlang hatte sein Blick etwas Düsteres. Doch schon lächelte er scheinbar erfreut und meinte: »Dieser Tag sollt gefeiert werden, an dem du zum erstenmal ein Alleinsein mit mir suchst. Wart, ich bin gleich bei dir. Wir fahren mit meinem neuen Auto a Stückerl hinaus und essen im Hotel am See zu Mittag.«
»Nein, so viel Zeit hab ich net«, erwiderte Anita. Sie wandte sich ab, um bis zur Haustür zu gehen und dort auf ihn zu warten. Doch der Bertrammer war mit einem Satz aus dem Fenster und stand lachend neben ihr.
»Wo brennt’s?« erkundigte er sich. Triumph leuchtete in seinen Augen, glühte auch in seinem Herzen. Er machte eine kreisende Handbewegung, als wollte er ihr seinen ganzen Besitz zu Füßen legen, und sagte in drängendem Ton: »Alles könnt längst dir gehören, Anita.«
»Ich komm meines Vaters wegen. Ich sorg mich um ihn«, stieß sie hervor.
Hannes Bertrammer wurde jäh ernst. Mißtrauisch blickte er sie an. »Schickt er dich, anstatt selber zu kommen?« fragte er mit Schärfe.
»Nein, Vater weiß nix von diesem Besuch bei dir. Ich brauch dringend einen Rat, Hannes. Vater ist gestern abend verletzt und ziemlich verstört heimgekommen. Ich weiß net amal, ob’s stimmt, was er gesagt hat.«
Der junge Bauer stand da, als hätten sich jäh alle Sehnen in ihm gespannt. Er schien keinen Ton über die Lippen bringen zu können. Doch Anita war selber zu aufgeregt, um es zu bemerken. Mit bebender Stimme fuhr sie fort: »Vater hat behauptet, von einem Unbekannten überfallen worden zu sein und mit ihm gekämpft zu haben.«
»Ach – von einem Unbekannten überfallen? Was für verrückte Zeiten wir doch haben! Jetzt ist man seines Lebens net amal mehr im eigenen Heimattal sicher!« Hannes Bertrammer seufzte betont und schüttelte den Kopf.
»Vater will mir offensichtlich was verschweigen. Drum sorg ich mich um so mehr«, redete sie weiter.
»Ach was«, wehrte er und lachte, »ein Mannsbild wie der Söllner wird sich selber zu helfen wissen. Falls einer ihn tatsächlich überfallen haben sollt, kann es sich nur um einen Irrtum handeln. Wer kraxelt schon im Dunkeln bei der Klamm herum!«
Anita blickte ihn überrascht an. Gleich überlegte sie, ob ihr Vater dem Bertrammer mehr anvertraut haben könnte als ihr.
Hannes jedoch erschrak im nachhinein, weil er sich selber beinahe verraten hätte.
»Oder wo auch immer es geschehen sein mag«, sagte er hastig und lachte verlegen auf.
»Wie kann man ihn vor weiteren Überfällen schützen?« fragte Anita. »Sollt ich’s vielleicht dem Gendarm melden?«
»Um Himmels willen! Wirbel net unnötig Staub auf! Falls nix dahintersteckt, könnt’s deinen Vater nur zum Gespött der Leut machen!« warnte Hannes mit verräterischem Eifer.
»Was schlägst dann vor?« wollte sie wissen und war vor Verzweiflung den Tränen nahe.
»Abwarten – und Tee trinken, wie man zu sagen pflegt«, antwortete er, legte die Hände auf ihre Schultern und versuchte ihr tief in die Augen zu schauen. »Bist wirklich nur deswegen zu mir gekommen?« erkundigte er sich leise.
Anita trat einen Schritt zurück und machte ein abweisendes Gesicht. Nie war ihr Widerwille gegen den Bertrammer stärker gewesen als in diesem Augenblick.
»Hast mich doch a bissel lieb?« fragte er weiter und war bereits in stiller Siegesstimmung.
»Solang nix aufgeklärt worden ist, interessier ich mich auch für nix anderes!« entgegnete sie in scharfem Ton.
Hannes Bertrammer stutzte, bekam schmale Augen. Er starrte das Madl an, als wollte er es hypnotisieren. Doch Anita wäre kein gutes Medium gewesen. Sie starrte zurück, und es hatte den Anschein, als wäre in ihrem Blick ein stummer Vorwurf.
»Mein Bruder ist tot – meinem Vater scheint ein ähnliches Schicksal zu drohen«, sagte sie. »Wie kann man da noch an Liebe denken?«
»Mit mir zusammen zum Beispiel«, schlug er schnell vor und trat näher. »Dein Vater ist neuerdings gegen mich eingestellt. Vielleicht will er uns trennen, indem er einen ungeheuerlichen Verdacht auf mich zu lenken versucht.«
»So etwas tät er nie!« erklärte Anita empört und maß den Bertrammer mit einem kalten Blick.
»Magst mich oder net?« fragte er mit einem zornigen Unterton in der Stimme
Anita holte erst einmal tief Luft, ehe sie ehrlicn zur Antwort gab: »Ich kam her, weil ich mir von dir Hilf und Rat erhofft hab. Deswegen werd ich dich aber net liebhaben, sondern mehr wie einen guten Nachbarn achten. Ich hab mein Herz halt an einen anderen verloren. Dafür solltest Verständnis aufbringen und mich net weiter bedrängen.«
»Und jener andere hat dich längst vergessen!« stieß Hannes triumphierend hervor. »Man hat dich nie mehr mit ihm zusammen gesehen. Er scheint spurlos verschwunden zu sein und gehört wahrscheinlich zu den Burschen, die wie Zigeuner durchs Alpenland ziehen, um ein Abenteuer zu suchen.«
»Nicht Lukas!« schränkte Anita mit Nachdruck ein.
»Was ist das schon, wenn einer gut tanzt und einen Preis gewinnt?« sagte er voller Verachtung. »Irgendein armer Krauter, der sich vielleicht eine günstige Einheirat erhofft hat. Und nachdem er erfuhr, daß bei euch net viel zu holen ist, sprang er halt ab, um sich was Besseres zu suchen.«
»Wie kannst nur so abfällig von einem Menschen reden, den du gar net kennst!« warf sie ihm vor.
»Kennst du ihn denn?« fragte er und lachte spöttisch.
»Willst mir helfen oder net?«
»Wollen schon, aber ich kann net. Zuerst sollt mir dein Vater reinen Wein einschenken. Gewinn ich den Eindruck, daß er net gegen mich und meine Liebe zu dir ist, versuch ich ihm beizustehen. Aber du mußt zugeben, daß es schon eine merkwürdige Geschichte ist.«
Er hatte nicht unrecht. Doch Anita schwenkte auf ein anderes Thema über und kehrte so bald wie möglich zum Söllner-Hof zurück. Beruhigter war sie nicht. Im Gegenteil, sie bereute, sich dem Bertrammer anvertraut zu haben.
Apollonia hatte einen schon altersschwachen Hund, dessen Rasse nicht bestimmbar war. Als dieser eines Abends winselnd den Kopf hob, seinen Lieblingsplatz vom Kamin verließ und langsam zur Tür ging, wurde Apollonia stutzig. Sie mußte gleich an den traurigen Fund im Latschenfeld denken, ans Gehörn am Brunnenrohr des Jagers und an den Verdacht, der auf Lukas Kronseder ruhte. Schon wartete Alois Schaidhammer von Tag zu Tag ungeduldiger auf seinen Kollegen, weil es ihm hier nämlich nicht mehr all des Verdrusses wegen gefiel.
»Hast du eher als ich was gehört, Brauner?« fragte sie den Hund. Dieser winselte erneut und blickte unverwandt auf die Tür, die in den Gang führte.
Das veranlaßte Apollonia, die Filzpantoffel gegen die festen Schuhe einzutauschen und das schon für die Nacht verriegelte Häusl noch einmal zu öffnen.
Da es bereits dunkel war, nahm sie vorsichtshalber die Petroleumlampe mit, deren Licht schon so manchem Sturm getrotzt hatte. Vor dem Häusl pfiff der Wind vorbei, daß es sie beinahe mitriß. Doch sie ließ sich nicht zurückschrecken, sondern prüfte erst einmal die nähere Umgebung. Ringsum war nichts Ungewöhnliches festzustellen. Weiter hinauf jedoch, auf dem Weg zum Jägerhaus, da meinte Apollonia plötzlich schattenhaft eine Gestalt wahrzunehmen.
Apollonia ging rasch ins Häusl zurück. Sie holte ihr schwarzes Fürtuch und ermahnte den Hund, brav am wärmenden Kaminfeuer zu bleiben, keinen hereinzulassen.