beobachtet wurde. Ringsum herrschte friedliche Stille – eine trügerische Stille, wenn man bedachte, was für ein Frevler seit Wochen unterwegs war. Ein Mensch, der ein Tier so zurichtete, war zweifellos zu mehr fähig. Er könnte, falls er sich in die Enge gedrängt fühlte, eines Tages auch einen Menschen töten.
»So, wie’s dem Söllner-Leo passiert ist!« stieß Apollonia in jäher Erregung hervor. Als hätte sie plötzlich Angst, nahm sie den halbvollen Korb hoch und hastete bergab. Erst einmal wollte sie in Ruhe über alles nachdenken.
Das tat sie dann auch, bei einem Becher Kräutertee und die Innenfläche der eigenen linken Hand betrachtend. Als es dunkel wurde, ging sie zum Jägerhaus hinauf. Auch sie vergaß anzuklopfen, wurde jedoch deswegen nicht gerügt.
Alois Schaidhammer saß am Tisch, stützte den Kopf schwer in den Händen und starrte auf das Gehörn, das vor ihm im Licht der Lampe lag. Apollonia sah das Stück Hirnschale daran und sagte: »Wennst den Rest vom Gamsbock suchst, Jager, so komm mit und schaff ihn aus dem Latschenfeld, eh daß ein anderer ihn findet!«
»’s hing am Brunnenrohr – wie zum Hohn«, berichtete er mit dumpfer Stimme. »Und net amal weidmännisch richtig ist’s gemacht worden«, fügte er aufstöhnend hinzu.
Apollonia erzählte nun, was sie erlebt hatte. Minuten später zogen sie gemeinsam los und brachten den toten Gamsbock ungehindert bis in den Schuppen.
»Ich werd’s melden – ganz egal, was mit mir geschieht!« sagte Alois Schaidhammer.
Apollonia nickte und fand ihn schon sympathischer. Aber lieber noch war ihr der Kronseder-Lukas. Ihn wünschte sie sich von ganzem Herzen herbei.
»Und ich schreib einen Brief an eure vorgesetzte Dienststell«, beschloß sie laut und heftig. »Die ganze schöne Gegend hier kommt ja in Verruf, wenn wir uns von einem Verrückten narren lassen!«
»Verrückt erscheint mir der net, sondern gemeingefährlich und rücksichtslos«, sagte Alois.
»Ich brauch gar net erst irgendwelche Handlinien zu deuten«, eiferte sie. »Für mich ist’s jetzt schon sonnenklar, daß derjenige, der so brutal mit unserem Wild verfährt, auch den Söllner-Leo auf dem Gewissen hat.«
Der Jager nickte zerstreut. Doch er hörte aufmerksam zu, als das alte Weib nun ausführlich von den Söllnern und deren reichem Nachbarn berichtete.
*
Vorsichtig schlich Hannes Bertrammer dem Söllner nach, als dieser zu dem Wald hinaufging, den er verkauft hatte. Es war nun fast eine Krankheit geworden, daß Hannes über alles informiert sein wollte, was bei den Söllnern geschah.
Er unterdrückte einen Fluch, als er bemerkte, daß sein Nachbar bei diesem Gang nicht allein blieb. Vom Dorf her kam der Holzhändler Bruckner und winkte dem Söllner zu.
Hannes Bertrammer folgte den beiden in einem Abstand, der ihn nicht außer Hörweite brachte. Er konnte deutlich vernehmen, worüber die zwei sich unterhielten. Doch er spitzte erst dann die Ohren, als der Söllner plötzlich auflachte und sagte: »Das Stück Wald werd ich kaum vermissen, zumal es mir eine beträchtliche Summe eingebracht hat. Jetzt kann ich Anita sogar eine schöne Mitgift geben.«
»Oh! Will sie bald heiraten? Wer ist der Glückliche?« fragte der Bruckner.
»Dadrauf kann ich dir noch keine Antwort geben. Mein Madl ist jedenfalls der wahren Liebe begegnet. Ich zweifel net dran, daß es glücklich wird. Doch wann’s soweit ist, steht noch in den Sternen geschrieben.«
»Ein Einheimischer?« erkundigte sich der Bruckner.
»Nein!« lautete die Antwort des Söllner.
Dem lauschenden Bertrammer schoß das Blut zu Kopfe. Haß quoll in ihm auf. Den Lacher des Söllner bezog er jetzt auf sich und schwor sich, dessen schöne Pläne zu durchkreuzen.
»Ja – es ist gut, wenn frisches Blut auf den Hof kommt«, meinte der Bruckner.
Hannes Bertrammer schwollen die Schläfenadern an, sein Herz schien wie unter einem Eishauch zu erstarren. Hätte sein Blick töten können, wären die zwei im selben Augenblick leblos vornübergefallen.
Doch er verlor die Ruhe nicht. Er blieb etwas zurück und beobachtete, wie der Bruckner Messungen und dann Notizen machte.
»Künftig kann’s Wild net mehr über die Feldfrüchte herfallen, die ich selber brauch«, sagte der Söllner, als sein Begleiter den Zollstock einsteckte. Sie lächelten sich zu und schienen guter Dinge zu sein.
»Auch die Fremden werden nur an den zwei Stellen queren können, die im neuen Zaun passierbar bleiben«, erwiderte der Bruckner.
Beide schauten sich noch einmal um und schritten dann bergab. Hannes Bertrammers Gesicht verlor alle Farbe, als der Söllner versprach: »Kriegst wegen der Hochzeit rechtzeitig Bescheid, Bruckner. Ich möcht dich schon jetzt herzlich dazu einladen.«
»Ich dank dir, Söllner. Und ich gesteh dir was: Hab’s nie begreifen können, daß der Bertrammer bei euch ein und aus gegangen ist wie ein zukünftiger Schwiegersohn.«
Der Söllner wehrte heftig mit der Hand ab und schnaufte verächtlich, während sein Begleiter, wie Hannes meinte, recht unverschämt grinste.
»Lange Zeit hab ich Anita auch noch zugeraten, ich Esel«, sagte der Söllner. »Im letzten Augenblick erst hab ich den Wolf im Schafspelz erkannt. Der Bertrammer eifert gegen Gott und die Welt. Er hält sich für was Bessres. Seit kurzem frag ich mich, ob hinter seinem Angebot nachbarschaftlicher Hilfe net mehr als nur Interesse für Anita gesteckt hat.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte der Bruckner.
Der Söllner zögerte, warf einen Blick um sich, als spürte er, daß sie nicht allein waren. »Ach – was man als Vater manchmal so grübelt«, antwortete er ausweichend.
»Und das mit Leo? Bleibt sein Tod weiterhin ein Rätsel?« wollte der Bruckner wissen.
»Gewiß net, denn jedes Rätsel läßt sich lösen«, antwortete der Söllner so laut und nachdrücklich, daß der Bertrammer zusammenzuckte und blaß wurde.
»Gelt, die Zuständigen werden’s net aufgeben, die mysteriöse Sach aufzuklären?« fragte der Bruckner weiter.
»Hoffentlich net! Sie reden net drüber, aber ich weiß, daß sie nach der Flint suchen, mit der mein Bub erschossen worden ist. Lang kann’s net mehr dauern, bis die Wahrheit ans Licht kommt. Hab ein paarmal von Leo geträumt – jedesmal fast das gleiche. Er lächelte mir zu, als wollte er mich beruhigen, damit ich mich wegen seines ewigen Friedens net mehr so sehr sorg.«
Die beiden gingen nun schneller. Hannes Bertrammer hörte es aber noch, wie der Bruckner dem Bauern einen günstigen Preis versprach. Er folgte den beiden nicht mehr, schlug einen Seitenpfad ein, dachte nach.
Die Vorstellung, Anita mit einem anderen vor dem Traualtar stehen zu sehen, machte ihn fast wahnsinnig. Die Träume des Söllner waren ihm gleichgültig, nicht aber die Hochzeit, von der er bereits fröhlich redete.
Er muß verschwinden – so still werden wie Leo, der mich einen Erzhalunken genannt hat! beschloß der Bertrammer. Langsam ging er heimzu, um auf eine günstige Gelegenheit zur Ausführung seines Planes zu lauern.
*
Da sich der Söllner vorgenommen hatte, seiner Tochter bei der Suche nach den Burschen namens Lukas zu helfen, war er jetzt des öfteren unterwegs.
Die Ernte war eingebracht; der Hof konnte seinen Bauern stundenweise entbehren. Anita stellte keine Fragen an ihren Vater. Sie war froh, daß er sich endlich wieder unter Menschen begab und sich nicht mehr in seiner Trauer um den Sohn und Erben verkroch.
Der Söllner horchte überall herum. Schließlich suchte er auch den Wirt auf, der seinerzeit das Tanzfest veranstaltet hatte. Er trank ein Bier, unterhielt sich zunächst über Allgemeines und kam dann zur Sache. Dabei ging er geschickt vor. Der Wirt gewann den Eindruck, als suche der Söllner einen tüchtigen Knecht, und sagte: »Den Lukas solltest net einplanen, Söllner. Der