Anne Altenried

Wilderer und Jäger Staffel 1


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Eiferer blickte dem Jäger forschend ins aschgrau gewordene, zuckende Gesicht. Lukas bemerkte es nicht, weil sich vor seinen Augen Nebel zu bilden schienen. Er nahm auch nicht sofort wahr, daß Apollonia nahte.

      Der Eiferer richtete den Blick kühl auf sie und wartete ab. Im stillen beglückwünschte er seinen Entschluß, hier einmal persönlich nach dem Rechten sehen zu wollen. Es überraschte ihn nicht, daß der Kronseder ganz privat ausgehen wollte und allem Anschein nach ein altes Weib als vorübergehende Vertretung einsetzte.

      »Jessas, wie schaust denn aus?!« stieß Apollonia betroffen hervor, als sie Lukas erreicht hatte.

      »Was wollen Sie hier?« erkundigte sich Joseph Eiferer.

      Apollonia stutzte und sah ihn prüfend an. Sie hob den Stock, auf den sie sich stützte, richtete dessen Spitze auf den ihr fremden Mann und fragte: »Lukas, hast den Bazi endlich erwischt? Soll ich dir helfen, ihn der gerechten Straf zuzuführen?«

      Joseph Eiferer schnappte laut nach Luft. Er riß die Augen ungläubig auf und brachte anstelle eines Empörungsschreis nur ein Krächzen hervor.

      »Ja – ja…«, meinte Apollonia, »das kann einem schon die Sprach verschlagen. Aber die Sonn bringt alles amal ans Licht, und unser Herrgott läßt keine Sünder entkommen. Du aber schaust gar net wie ein Übeltäter aus. Was hast denn heut wieder angestellt, um unseren Jager zu ärgern?«

      Der Eiferer wich vor der drohend näherkommenden Eisenspitze ihres Stockes zurück und hob abwehrend die Hände.

      »Hat sie den Verstand verloren?« keuchte er. »Halt mir die narrische Alte vom Leib, Kronseder!«

      »Narrische Alte?« wiederholte Apollonia zornig. »Willst auch noch wegen Beleidigung angeklagt und verurteilt werden, du Lump?« Sie sah furchterregend aus, doch sie tat ihm nichts zuleide. Jäh ergriff sie seine linke Hand, um die Linien darin zu studieren.

      Joseph Eiferer war zu verwirrt, um sofort entsprechend amtlich zu reagieren. Er glaubte nicht recht zu hören, als das alte Weib aus seiner Hand wie aus einem Buch laut zu lesen begann: »Du wirst nie heiraten, aber dein Kind wiedersehen. Zwei schwere Krankheiten hast hinter und eine Operation vor dir. Dein Ehrgeiz macht dich manchmal blind für die Wahrheit. Aber du bist net derjenige, der unserem braven Jager so viel Verdruß bereitet und seine Vorgesetzten gegen ihn einnimmt. Denk künftig mehr nach, bevor du redest und handelst, Mann! Und gib endlich zu, daß du – wie jeder Mensch – außer guten Seiten auch Untugenden hast und Fehler machst.«

      Joseph Eiferer rang keuchend nach Luft. Sein Gesicht lief vom Hals herauf blaurot an. Lukas brachte ihn schnell zur Bank am Haus und rannte hinein, um ein belebendes Schnapserl zu holen.

      Unterdessen gab der Eiferer in Bruchstücken preis, weswegen er hergekommen war. Apollonia unterbrach ihn nicht und sagte schließlich: »Stell dich net gegen den Jager, sondern hilf mit, den Bazi zu fangen, der an allem schuld ist. Ich bin nämlich überzeugt, daß zwischen dessen Streichen hier und dem Schuß auf den Söllner-Leo ein Zusammenhang besteht.«

      »Aber mitnehmen muß ich den Kronseder!« beharrte der Eiferer. Er wurde verlegen, als Lukas zurückkam und ihm ein randvoll gefülltes Stamperl reichte. Apollonia bekam auch eins. Er selber trank nicht, schaute nachdenklich zu, wie die zwei den scharfen Trank hinunterkippten.

      »Also gut«, erklärte er nach einer Weile, »ich werd mitkommen und noch amal zu Protokoll geben, was ich weiß, aber kaum beweisen kann. Der mir übelwill, aus wer weiß was für eingebildeten Gründen, den such ich weiter, und wenn’s ganz privat sein muß. Daran kann mich weder eine Strafversetzung noch eine Kündigung hindern.«

      »Recht so, Lukas!« lobte Apollonia ihn. »Laß dich net einschüchtern. Geh stets den geraden Weg, auch wenn er noch so mühsam erscheint.«

      »Und am Tod des Söllner-Leo«, fuhr er lauter fort, »bin ich unschuldig. Drauf kann ich einen Eid schwören!«

      Joseph Eiferer war im stillen beeindruckt. Er tat weniger streng und amtlich, als er später mit Lukas ins Tal ging. Apollonia warf dem Jäger, der Lukas vertreten sollte, einen undeutbaren Blick zu und trat ums Haus herum den Heimweg an.

      Nur wenige Meter entfernt blieb sie plötzlich stehen und blickte seitlich ins Gebüsch. Das Fell eines Kaninchens hing an einem Zweig; und das war ganz bestimmt net von selber dorthin gekommen.

      »Verflixter Bazi!« schimpfte Apollonia halblaut. Um Lukas weiteren Ärger zu ersparen, nahm sie das Fell herunter. Es entglitt ihren Händen und landete im Gras, dicht neben einem blitzenden Gegenstand. Verwundert hob sie diesen auf. Es war ein Silberkettchen – ungewöhnlich schön – mit einem silbernen A als Anhängsel. Sie wußte, wem es gehörte, denn sie hatte es schon am Hals des Söllner-Madls bewundert.

      Das Gewitter hielt Anita Söllner auf der Jausenstation fest, obwohl sie nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens auf Lukas hatte heimgehen wollen. Sie hatte, wie die meisten Gäste, auf der Terrasse gesessen und ein Fruchteis mit Schlagrahm verzehrt. Immer wieder hatte sie nach dem Burschen Ausschau gehalten, der ihr so gut gefiel, daß sie ständig an ihn denken mußte.

      Nun aber mußte sie mit den anderen ins Innere der Jausenstation flüchten und setzte sich an eins der breiten Fenster. Ringsum schienen zackige Blitze den Berg einzuzäunen. Es donnerte und krachte, als würde die Welt untergehen. Der Himmel öffnete Schleusentore, als kündige sich eine zweite Sintflut an.

      Anita fuhr erschrocken zurück, als der stürmische Wind Regen gegen die Scheibe peitschte. Er fegte die Decken von den Tischen, die man nicht rechtzeitig hatte hereinbringen können. Schindeln flogen vom Dach herab; Bäume bogen sich bis zur Erde hernieder. Völlig durchnäßte Wanderer trafen ein. Bald herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. Die Luft wurde zum Zerschneiden dick und dämpfig. Anita meinte ersticken zu müssen. Mit einer herrischen Geste winkte sie das blutjunge Madl herbei, das servierte. Doch auch darauf mußte sie lange warten, denn andere Gäste hatten es noch eiliger.

      Ungeduldig blickte Anita ins Freie. Sobald der Regen nachließ, Blitze und Donner sich entfernten, wollte sie aufbrechen. Sie war Lukas’ wegen tief enttäuscht, denn sie hatte sich eingebildet, daß er sie ebensogern sah wie sie ihn. In Gedanken machte sie ihm Vorwürfe, ohne sich dessen bewußt zu sein, daß er sie gar nicht hätte benachrichtigen oder dieses Rendezvous verlegen können. Ein dummer Zufall hatte es nämlich gefügt, daß sie voneinander nicht mehr als nur den Vornamen wußten.

      So stimmte der Aufruhr in ihrem Innern beinahe mit dem der Natur draußen überein. Sie war mit einemmal mißgestimmt, überhörte die scherzhafte Frage eines Gastes und gab schließlich ein lächerlich geringes Trinkgeld.

      Im Eingang der Jausenstation wartete Anita dann darauf, daß es weniger stark regnete. Als sie im Fortgehen die ersten Regentropfen spürte, zog sie unwillkürlich Kopf und Schultern ein.

      Eine dreistündige Wanderung hatte sie jetzt vor sich. Zusammen mit dem Weg hierher, ein Stück mit der Kabinenbahn, und dem vergeblichen Warten auf Lukas machte das siebeneinhalb Stunden. Sie ärgerte sich, weil sie so viel Zeit für einen Burschen verplemperte, der zwar gut tanzte und eine gewisse Ausstrahlung hatte, sich aber am Rauhen Weiher mehr um eine hinkende Frau als um sie, Anita, gekümmert hatte!

      So grübelnd achtete Anita kaum auf den Weg. Sie platschte durch Pfützen und durchschritt wadenhohes regennasses Gras. Es regnete weiterhin, jedoch weniger heftig. Selbst die Abkürzung durch die Schlucht würde sie, Anita, nicht davor bewahren, bis auf die Haut naß zu werden. Auch das war ihr gleichgültig, da sie allein war und Lukas nicht wiedergesehen hatte.

      Als wollte Anita, einem gereizten Stier gleich, alles auf die Hörner nehmen, so ging sie dahin, am Rand einer Wiese entlang und dann eine Weile­ dem Lauf eines Baches folgend.

      Sie gelangte auf eine kleine Lichtung und konnte von ihr aus durch eine Schneise das hellgraue Dach jenes Jägerhauses sehen, das sie ein paarmal heimlich und aus Rachsucht aufgesucht hatte.

      Anita blieb stehen und blickte düster hinab. Plötzlich änderte sie ihr Vorhaben, ging nicht sofort heimzu, sondern die Schneise hinunter.

      Dabei mußte sie sich zwischen nassen Sträuchern