und sicher gefühlt. Doch heut war er ebenso rat- wie hilflos.
Auch Apollonia schien sich die Sache nicht erklären zu können. Aber sie machte eine Bemerkung, die Lukas aufhorchen ließ.
»Wie ist’s nur möglich – jetzt, wo er tot ist – und zudem eine Geiß, anstatt einen stattlichen Hirsch…?« murmelte sie.
»Wen meinst?« wollte Lukas gleich wissen.
Doch Apollonia schüttelte stumm den Kopf und trat vom Fenster zurück. Sie redete auch später nicht viel, als sie die tote Geiß sah und sich suchend umgeschaut hatte.
Lukas Kronseder war enttäuscht, aber nicht mehr wütend. Er machte sich Notizen für seinen monatlichen Bericht und wandte sich den üblichen Pflichten zu.
Seine Hoffnungen, künftig von solch unangenehmen Überraschungen verschont zu bleiben, erfüllten sich nicht. Drei Tage später schon mußte er sich aufs neue ärgern. Zwei der Hochsitze waren stark beschädigt worden und vorerst nicht mehr benutzbar. Sie schauten aus, als hätte sich da jemand mit einer Axt voller Zerstörungswut ans Werk gemacht. Wieder war es heimlich geschehen und nicht gehört worden.
Lukas legte sich nun abends auf die Lauer und bekam wenig Schlaf. Mal verharrte er im Schatten von Felsen oder Bäumen; mal hockte er unter der bemoosten Fichte, die als einzige auf dem Hügel stand. Er spähte und horchte vergebens, was seine Wut auf den unbekannten Übeltäter steigerte.
Regelrecht genarrt aber fühlte er sich, als er eines Mittags unterhalb des Latschenfeldes ein totes Auerhahnpaar fand. Es war federlos, wie zum Hohn völlig gerupft!
»Das kann doch net mit rechten Dingen zugehen!« stieß Lukas hervor. Und gleich grübelte er drüber nach, ob er hier Feinde hatte oder einer ihm den schönen Jägerposten neidete. Wieder blickte er sich gründlich um und horchte, ohne etwas Verdächtiges zu entdecken.
All diese Vorfälle vermerkte er pflichtgemäß für seinen Bericht an den nächsten Vorgesetzten. Dieser wohnte 12 Kilometer weiter entfernt und regierte mit Strenge. Er kannte keine Nachsicht, duldete keine Schlamperei und zeigte selten Verständnis. Lukas war sich bewußt, daß beides Konsequenzen nach sich ziehen würde – ob er solche unglaublichen Vorkommnisse verschwieg oder sie weitermeldete.
Allmählich wurde ihm die Sache nun unheimlich. Er suchte überall nach toten Tieren oder Schäden, ohne aufatmen zu können, wenn er keine weiteren entdeckte. Schon mußte er fürchten, von den Dörflern verspottet zu werden. Obwohl Apollonia zu schweigen versprochen hatte, schien sich sein Pech schon wie ein Lauffeuer verbreitet zu haben.
Das waren jetzt freudlose Tage für Lukas Kronseder. Er argwöhnte, wo er hätte vertrauen können, und machte sich dadurch unbeliebt. Selbst in der weißgetünchten Stube des gemütlichen Jägerhauses fand Lukas keine Ruhe und keine Entspannung. Manchmal starrte er die Wände an, als wollte er sie mit Blicken durchbohren, um draußen alles sehen zu können.
Apollonia redete vergeblich auf ihn ein, sich alles nicht so sehr zu Herzen zu nehmen. Einmal sagte sie sogar im Scherz: »Wennst einem der einheimischen Burschen das Madl ausgespannt hättest, würd ich’s vielleicht begreifen, daß dir so viel Merkwürdiges zustößt, Jager – aber so… Oder hast gar eine heimliche Freundin?«
»Dazu hab ich bisher keine Zeit gehabt, weil ich meine berufliche Ausbildung schnellstens hab vollenden wollen«, antwortete Lukas und seufzte mal wieder schwer.
»Ja – und die anderen werden sich kaum solche Müh geben, dir’s Leben hier schwerer als notwendig zu machen«, überlegte sie halblaut.
»Welche anderen?« fragte Lukas überrascht.
»Ach – nur so – hab halt laut gedacht und das net amal sachlich«, erwiderte sie ausweichend. »Jedenfalls solltest dich vorsehen, stets Fenster und Tür geschlossen halten, wennst abwesend bist – und dir einen wachsamen Hund zulegen. Ein solcher gehört eh zu einem Jager.«
»Wo krieg ich so rasch einen Hund her?«
»Ich werd mich für dich umschauen, Jager. Wennst gescheit bist, redest mit anderen net über diese Vorfälle. Sie könnten dich sonst für a bissel spinnert halten.«
»Das besorgt schon mein Chef«, sagte Lukas und sah sie ernst an. »Wenn der nämlich meinen nächsten Monatsbericht erhält, platzt er vor Wut und läßt’s an mir aus.«
»Aber du kannst doch nix dazu, Jager!«
»Das ist ihm wurscht. Er bringt’s fertig, mich strafzuversetzen, wenn ich dem geheimnisvollen Treiben hier net sofort ein End mach.«
»Da, dann soll er doch selber eine Weile hier als Jager arbeiten. Vielleicht hat er bei der Suche dann mehr Erfolg als du«, schlug Apollonia vor.
Darüber konnte Lukas nur müde lächeln. Er war überzeugt, daß ihm noch mehr böse Überraschungen bevorstanden. Aber er riß sich zusammen und brachte, weil es schon dunkel wurde, die alte Frau bis ins Häusl. Hier stapelte er rasch zerkleinertes Feuerholz am offenen Kamin auf und holte zwei Eimer Wasser vom Brunnen. Er half gern und ohne große Worte. Dafür hätte ihm eigentlich Dank gebührt.
Doch als er heimkam, lagen die zwei Blumenkästen weit vom Jägerhaus entfernt und die Blüten der Geranien bis auf die Wiese verstreut. Im Licht über der Haustür sah es zunächst schlimm aus. Dennoch freute sich Lukas nicht, als er am anderen Morgen feststellte, daß dieser Schaden nicht so beträchtlich war.
Seine Nerven waren bereits stark strapaziert, seine Geduld fast am Ende. In seinen Notizen für den Bericht schwang ohnmächtige Wut mit. »Ich schwör’s«, schrieb er zum Schluß, »daß ich den Schuft erwisch – und sollt ich Tag und Nacht nach ihm suchen müssen!«
Die Zeit heilte auch die Wunden, die das Schicksal den Söllnern geschlagen hatte. Der Bauer wurde durch die Sorge um den Fortbestand des Hofes rasch abgelenkt und arbeitete schwer, um alles für seine Tochter und sich zu erhalten. Anita trachtete weiterhin danach, dem Jäger eins auszuwischen, wann immer es möglich war. Und das lenkte sie ebenfalls von der Trauer um Leo ab.
Daß Lukas Kronseder allmählich verzweifelte und sich gegen massive Vorwürfe seiner Vorgesetzten wehren mußte, hätte sie sicherlich mit Schadenfreude erfüllt.
Bei ihren heimlichen Gängen zum weit entfernten Jägerhaus sah Anita den Jäger niemals von nahem. Sie wählte jedesmal den Weg über den Hügel und am Hochmoor vorbei. Anschließend spähte sie erst einmal durchs alte Fernglas, bis sie seine Gestalt in grünem Anzug das Jägerhaus verlassen sah. Mehr als die Größe, das dunkle Haar und das über die Schulter emporragende Gewehr lernte sie nicht kennen. Auch erfuhr sie nicht, wie er die bösen Überraschungen aufnahm, die sie ihm bereitete. Er schien zu keinem darüber zu reden, was sie inzwischen durch vorsichtige Erkundigungen festgestellt hatte.
So vergingen die Wochen. Das frische Grab wurde von welken Kränzen und Blumen befreit und eingeebnet. Es dauerte schon länger, bis es morgens hell wurde. Manchmal wehte es fast winterlich kalt von den Höhen hernieder.
Hannes Bertrammer jedoch schien noch sommerliche Hitze in sich zu haben. Er war so um die Söllner-Anita bemüht, daß es ihr lästig wurde. Vergeblich versuchte sie ihn loszuwerden. Sie schützte eine dringende Arbeit vor, wenn er kam, und war enttäuscht, weil ihr Vater für ihn Partei ergriff.
»Warum verhältst dich so spröde?« fragte der Söllner, der sich durch ihre Heirat mit dem Nachbarn gern selber saniert hätte. »Hannes ist doch in Ordnung. Er kann dir viel mehr bieten als jeder andere noch ledige Bursch. Du brauchst dich als Bertrammerin bestimmt net mehr so zu fretten. Dein Leben an Hannes’ Seit wär schöner und leichter.«
Solche Worte gingen bei Anita zum einen Ohr hinein und zum anderen hinaus. Sie träumte von einer Liebe, die wie ein Blitz bei ihr einschlagen sollte. Der Bertrammer war ihr zuwider, und er selber setzte alles daran, dieses Gefühl in ihr noch zu verstärken.
Deshalb versuchte sie ihm auszuweichen, was in dem breiten Tal nicht schwierig war. Es faßte drei Dörfer, in denen das Brauchtum sorgfältig gepflegt wurde. Es war eine Selbstverständlichkeit, daß jeder zur Stelle war, wenn das festlich geschmückte Almvieh