Anne Altenried

Wilderer und Jäger Staffel 1


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das Nachfolgende gewesen.

      Wieder meinte er den Schrei zu hören, mit dem Leo zu Boden gestürzt war. Einem vielfachen Echo aus der Vergangenheit und Ewigkeit glich er. Schnell leerte er sein Glas, um es aufs neue zu füllen. Der Wein war etwas herb, jedoch wirkungsvoll. Er hüllte schmachvolle Erlebnisse in einen Dunstschleier und ließ dunkle Bilder in der Rückschau heller und verständlicher erscheinen.

      »Du hast mich zum Äußersten gereizt, Leo«, sagte er in die Stille hinein. »Ich hab wie in Notwehr gehandelt, denn deine Worte trafen mich wie Schüsse aus dem Hinterhalt. Jetzt bist unter den Toten. Du kannst deine Schwester net mehr gegen mich aufhetzen oder ihr beistehen. Falls Anita aber glaubt, einen anderen mir vorziehen zu können, werd ich auch auf ihn schießen, als wär’s ein tollwütiger Fuchs!«

      Nun lachte Hannes trunken. Es war zusätzlich zum Wein ein berauschendes Gefühl, reich und überlegen zu sein, Schicksal zu spielen und bei bösen Taten nicht ertappt zu werden.

      Die Begegnungen zwischen Anita und jenem tanzenden Burschen mußten schleunigst ein Ende haben. Eine reine Weste schien derjenige auch net zu haben, wenn er nur seinen Vornamen verraten hatte. Daß er am Tisch der Schützenbrüder gesessen hatte, war ohne Bedeutung. Eine solche Vereinsmeierei, so sagte sich Hannes, während er sein Glas erneut vollgoß, ist eh nur was für Dumme. Und ein Dummer ist leichter zu besiegen als ein gescheiter…

      Auf diese Weise verbrachte er die Stunden bis kurz vor Mitternacht. Als der letzte der zwölf Glockentöne verhallte, erhob er sich schwerfällig und suchte schwankend seine Schlafkammer auf. Es war die größte im Haus und schon mit einem supermodernen, gar nicht bäuerlichen, breiten Bett ausgestattet. Ohne sich zu entkleiden, ließ er sich hineinfallen und schlief, hin und wieder schnarchend, einem neuen, für ihn selbstverständlich erfolgreichen Tag entgegen.

      Die Söllner-Anita dagegen wachte zweimal auf und war voller Ungeduld. Sie freute sich auf das Wiedersehen mit Lukas und sehnte sich danach, von seinen Armen umfangen zu werden. Heut hatte sie im Dorf zu erfragen versucht, wie die Sache mit der hinkenden Frau im hellblauen Kleid ausgegangen war. Doch selbst die Schwatzhaftesten hatten darauf keine Antwort geben können.

      Ein paar Meter weiter lag der Söllner-Bauer schlaflos im Bett und zermarterte sich das Hirn. Er wußte nicht, wie er die fürs Quartal fällig werdenden Steuern aufbringen sollte. Der Gedanke ans pralle Geldsäckl des Bertrammer machte ihn fast rasend. Er war nahe daran, die Heirat seiner widerspenstigen Tochter mit dem Bertrammer-Hannes mit aller Macht und väterlicher Gewalt zu erzwingen.

      Was Lukas Kronseder betraf, so schlief er fest durch. Es hatte heute keine bösen Überraschungen für ihn gegeben. Schon gab er sich der Hoffnung hin, daß sein unbekannter Feind endlich darauf verzichtete, ihm üble Streiche zu spielen, die eh keinem nutzten.

      Lukas Kronseder konnte sich nicht von Herzen über die Bekanntschaft mit Anita freuen. An vorgesetzter Stelle war der Beschluß gefaßt worden, den merkwürdigen Schwierigkeiten, die er gemeldet hatte, auf den Grund zu gehen. Wo gab es das sonst noch, daß ein Jäger in seinem Revier derart zum Narren gehalten wurde und für alle Schäden keine Erklärung abgeben konnte?

      Der für dieses Gebiet zuständige Beamte erschien ausgerechnet in der Stunde, da Lukas im Aufbruch begriffen war, Anita an der Jausenstation wiederzusehen.

      Es war ein ziemlich schwüler Mittag. In der Wetterecke am Rotspitz ballten sich die ersten dunklen Wolken zusammen. Verschwitzt und erschöpft erreichte der Beamte das Jägerhaus, nachdem er den Weg dorthin zweimal verfehlt hatte. Dadurch war seine Stimmung nicht gehoben worden, sondern trotz der Hitze bis unter den Nullpunkt gesunken.

      Der Mann hieß Joseph Eiferer und schien seinem Namen alle Ehre machen zu wollen. Noch ehe sich Lukas von dem Schreck über diesen Besuch erholen konnte, fragte der Eiferer in strengem Ton: »Willst du am Ende jetzt ausgehen?«

      Lukas sah unwillkürlich an sich hinab. Zur beigen Leinenhose trug er sein neustes Hemd mit kurzen Ärmeln. Wenn er sich für ein paar Stunden freimachte, zog er legere Kleidung der Jägeruniform vor.

      »Heut ist doch Samstag, Herr Eiferer!« erinnerte er und sah dem Beamten offen in die streng blickenden Augen.

      »Soweit mir bekannt ist, hat ein Jäger ständig im Dienst zu sein. Das ist mir hier anscheinend nicht der Fall zu sein. Wen wundert es da noch, wenn ständig etwas passiert? Ich hab mir deinen Dienstplan angesehen. Du hast heute nicht frei, sondern erst am übernächsten Wochenende!«

      Der Mann hatte recht. Lukas lächelte ihm um Entschuldigung bittend zu. Er überlegte, ob er von seiner Verabredung erzählen sollte oder nicht.

      »In diesem Revier«, fuhr Joseph Eiferer fort, »geht es offensichtlich drunter und drüber, Kronseder. Noch wissen wir nicht, woran das liegt. Sollte sich herausstellen, daß du nicht fähig bist, diesen Posten zu bekleiden und dich entsprechend durchzusetzen, mußt du mit einer Strafversetzung oder Kündigung rechnen.«

      Das traf Lukas wie ein Fausthieb. Für ihn war es eine erschreckende Vorstellung, ausgerechnet jetzt den Arbeitsplatz gefährdet zu sehen, da er ein Madl liebgewonnen hatte und es heiraten wollte.

      »Ich versäum keine meiner Pflichten, mach Überstunden und bin oft nachts unterwegs. Ich geh sehr selten aus«, erklärte er. Leider tat er das nicht mit der Demut, die der Eiferer erwartete.

      »Ach ja?« erwiderte er zweifelnd und spöttisch. »Nun, wir sind da anderer Meinung!« Joseph Eiferer zog ein dickes Notizbuch aus der Jacke, die er über dem linken Arm trug. Er schlug es auf und begann eine Art Sündenregister vorzulesen, daß Lukas’ Augen kugelrund wurden und sein Herz schneller schlug.

      »Mit dem Tod des Söllner-Leo hab ich nix zu tun«, sagte er, als der Beamte schnaufend innehielt und das Büchlein zuklappte. »Ich fand ihn leblos unterhalb des Rotspitz und veranlaßte das in einem solchen Fall Erforderliche.«

      »Und warum ist dann bei uns ein anonymes Schreiben eingegangen, das dich belastet, Kronseder?«

      »Was?!« schrie Lukas auf. Er war nun in heller Empörung und starrte den Mann an, als hätte dieser selber ein so infames Schreiben losgelassen.

      »Wer schreit, ist meistens im Unrecht«, behauptete Joseph Eiferer. »Ich werde mir hier alles gründlich ansehen. Dich ersuch ich zum schleunigen Umziehen. Du wirst mich begleiten. In spätestens zwei Stunden ist ein Kollege hier, der dich solange vertreten wird, bis Klarheit geschaffen worden ist.«

      Lukas brachte kein Wort über die Lippen, starrte den Mann entgeistert an.

      »Es muß endlich aufgeklärt werden – zumindest das, was deine Arbeit als Jäger hier betrifft«, sagte Eiferer. »Für den Tod des Söllner sind andere zuständig!«

      Das hatte messerscharf und fast wie eine Verurteilung geklungen. Lukas rann ein Schauder über den Rücken. Er bekam eine Gänsehaut, als ihm einfiel, daß derjenige, der ihm bisher so viel Schaden zugefügt hatte, ihn nun auch noch hinter Gitter zu bringen versuchte.

      »Jesus, Maria und Joseph!« schrie er verzweifelt auf. »Ich bin kein Mörder net! Wie kann ein Mensch nur so teuflisch sein!«

      Als der Eiferer seinen Vornamen hörte, versteifte er sich, wurde sein Gesicht zur ausdruckslosen Maske.

      »Zieh dich um und pack deine Sachen, Kronseder. Ich gehör zur Forstverwaltung, net zum Amtsgericht«, sagte er und wandte sich ab.

      Lukas war in diesem Augenblick völlig durcheinander. Das Erscheinen, und vor allen Dingen die Anklagen dieses Mannes, hatten ihn unsanft aus rosigen Zukunftsträumen in eine rauhe, bedrohliche Gegenwart gerissen.

      »Ich soll den Söllner-Leo erschossen haben?« schrie er, während er den Eiferer packte und wild schüttelte.

      »Laß mich sofort los! Mach es nicht schlimmer als es bereits ist!« sagte Joseph Eiferer in eisigem Ton.

      Lukas ließ die Arme sinken. Nicht die drückende Schwüle trieb ihm den Schweiß aus den Poren, sondern eine jähe, hilflos machende Angst. Plötzlich fiel ihm der bärtige Senn ein, und er stieß keuchend hervor: »Der Senn von der dort am höchsten gelegenen Alm! Er hat mich kommen sehen.