zu haben, schwindelte er der vom Einkauf kommenden Magd vor: »Ach Lenerl, ich hab bis jetzt im Bett gelegen, schein mir beim Mittagsmahl den Magen verdorben zu haben.«
Leni glaubte das natürlich, war entsprechend erschrocken und sofort eifrig um ihn bemüht.
»Du solltest dich wieder hinlegen«, riet sie, als er widerwillig den bitteren Kräutertee trank, den sie ihm gebracht hatte.
Hannes Bertrammer schüttelte verneinend den Kopf. Er wollte im Lehnstuhl am Fenster sitzen bleiben. Während er eine Leidensmiene machte, blickte er gespannt zum Hof des Söllner hinüber.
Es dauerte für ihn unendlich lange, bis sich dort etwas tat. Erst durchbrach das Licht von starken Scheinwerfern das Dunkel. Dann fuhr ein Wagen beim Nachbarn vor das Haus. Schattenhaft war eine Gestalt zu erkennen, die kurz darauf im Haus verschwand.
Dem Bertrammer brannten bereits die Augen vom langen Starren. Als er sie rieb, verpaßte er die Gelegenheit zu sehen, ob derjenige allein abfuhr oder Anita mitgenommen hatte.
Unruhe überfiel ihn. Er wollte nicht wahrhaben, daß er sich plötzlich fürchtete. Jetzt bekam er tatsächlich Magenschmerzen; ihm wurde übel.
Die Magd hörte ihn stöhnen und rief kurzerhand den Dorfarzt an. Dieser kam, als die Uhr in der Diele siebenmal schlug. Leni bekreuzigte sich sofort, weil sie die Sieben für keine gute Zahl hielt. Sie machte sich ehrlich Sorgen um ihren Bauern und grollte dem Doktor, als dieser den Fall herabspielte.
»Beweg dich mehr – fahr net so viel Auto – leb gemäßigter«, so lauteten die ärztlichen Ratschläge. »Du strotzt vor Gesundheit, Bertrammer«, hörte die heimlich lauschende Magd den Arzt fröhlich sagen. »Geh lieber zum Söllner-Madl nüber und versuch’s zu trösten.«
»Um Himmels willen! Was ist passiert?« fragte der Bauer in gespieltem Entsetzen
»Auf Anitas Vater hat man heut geschossen und ihn bei der sibirischen Kält einfach liegenlassen.«
»Und – ist er tot?« erkundigte sich Hannes Bertrammer.
»Noch net. Gnade dem, der das auf sein Gewissen geladen hat! Mit derselben Waffe wurd auf den Söllner geschossen, mit der sein Sohn Leo erschossen worden ist. Das war kein Zufall, sondern die mörderische Absicht, eine Familie auszurotten. Aber man ist schon dabei, Untersuchungen anzustellen. Dazu kommen eigens Spezialisten her.«
Längst hatte das Gesicht des Bertrammer an Farbe verloren. Auch dem scharf prüfenden Blick des Arztes vermochte er nicht standzuhalten.
»Jessas na«, murmelte er, »was sind das für Zeiten!«
Der Doktor antwortete nicht. Er rief nach der Magd und überließ ihr die Pflege, die – wenn überhaupt – der Bauer noch für sich in Anspruch nahm.
Kaum war er jedoch fort, verließ der Bertrammer seinen Sessel und zog sich für einen Besuch bei Anita um. Er war aufgeregt, mußte sich zu einer mitleidvollen Miene zwingen, als er drüben höflich anklopfte. Niemand kam, um zu öffnen. Er drückte schließlich die Klinke nieder und blickte ungläubig, als er die Haustür verschlossen fand.
Zweimal ging der Bertrammer ums Wohnhaus des Nachbarn. Durch die Fenster spähte er in die Räume und horchte. Keiner erschien, um seine Neugier zu befriedigen. Er war zwar enttäuscht, jedoch schon ruhiger. Wegen Leo Söllner hatte er seinerzeit keine Gewissensbisse gehabt. Warum sollte er sie dessen Vater wegen empfinden?
Anita ist Hals über Kopf zum Vater geeilt, überlegte er, während er heimging. Das bedeutet also – der Söllner liegt im Sterben. Am End ist er bereits bewußtlos? Ein Toter aber kann net mehr reden, auch net über das, was ihn vielleicht vor kurzem noch stutzig oder argwöhnisch gemacht hat…
Hannes Bertrammer war mit diesem Tag zufrieden. Er glaubte, außerhalb eines jeden Verdachtes zu sein. Vier Gewehre besaß er, von denen er eins nur benutzt hatte. Es würde unauffindbar sein, denn er hatte sich gut abgesichert.
Von Magenbeschwerden war nicht mehr die Rede. Er bestellte sich Speckknödel und aß, als hätte er seit Tagen gefastet. Leni war aufs höchste verwundert und erneut in Sorge.
»Du solltest dich doch in allem mäßigen, Bauer«, erinnerte sie.
»Hast also wieder gelauscht!« schrie er sie an, nahm die leere Schüssel und warf sie nach ihr. Leni brachte sich weinend in Sicherheit, während er mit vollen Backen weiterkaute.
Lukas Kronseder hatte den Mann zunächst sachkundig versorgt, den er blutend auf der kleinen Lichtung vorgefunden hatte. Wieder einmal trug er dann eine menschliche Last talwärts, wobei er sich fragte, ob er dazu ausersehen sei, immer erst dann hinzuzukommen, wenn eine verbrecherische Tat bereits vollzogen worden war.
Der Mann, den er mühsam schleppte, schien ohne Besinnung zu sein. Er stöhnte hin und wieder, was Lukas hoffen ließ, ihn noch lebend in ärztliche Behandlung bringen zu können.
Diesmal hatte er Glück – mehr Glück, als er ahnte. Unterwegs traf er auf zwei Wanderer. Sie hatten sich beim Beobachten des Wildes verspätet und wollten gerade zu ihrem unterhalb des Gamsmugl geparkten Wagen zurückgehen.
Für die beiden war es selbstverständlich, Hilfe zu leisten und den Verletzten zum Arzthaus zu fahren. Lukas beschrieb ihnen den Weg dorthin, während er im Fond saß und den Bewußtlosen hielt. Doch der Doktor war zu einem Schwerkranken gerufen worden. Da Eile not tat, fuhren sie gleich weiter zum Spital.
Da Lukas keine Angaben über den Verletzten machen konnte, mußte er im Gang vor der Notaufnahme warten. Er hatte sich bei den Wanderern bedankt und sie an seinem nächsten freien Samstag zu sich eingeladen. Nun aber saß er da, grübelte und sandte Stoßgebete zum Himmel. Längst war ihm klargeworden, warum ihm damals so übel mitgespielt worden war. Sein nächster Vorgesetzter hatte Andeutungen gemacht, aus denen man sich leicht den Rest hatte zusammenreimen können.
Deshalb seufzte Lukas jetzt ab und an. Ihm wurde das Herz jedesmal schwer, wenn er sich vorstellte, er könnte ein zweites Mal zur Rettung zu spät dagewesen sein und erneut als Täter verdächtigt werden.
Derweil gab es im Operationssaal einige Aufregung. Als man den frisch Eingelieferten auf dem fahrbaren Bett hereinrollte, rief eine der OP-Schwestern: »Das ist ja der Söllner-Bauer! Jesus, wie haben s’ den zugerichtet!«
Ihr wurden mißbilligende Blicke zugeworfen, woran sie sich jedoch nicht störte. Sie beugte sich über den Bewußtlosen, prüfte seinen Puls und wandte sich mit den Worten an den Pfleger, der ihn hereingebracht hatte: »Der Chefarzt muß her – schnell!«
»Woher kennst du den Mann?« wollte eine jüngere Kollegin wissen.
»Er ist aus dem gleichen Bergdorf wie ich und hat schon viel Schweres erlebt. Daß ich ihn so elend wiedersehen würd, hätt ich net gedacht!«
Unterdessen wurde es weitergemeldet, daß es sich um den Söllner handelte, der im kleinen OP lag. Das war ein Anhaltspunkt, der bald zur vollen Adresse und Kenntnis der Familienverhältnisse führte.
So drehte sich der Verwaltungsapparat wie mit Rädern und führte Anita Söllner überraschend schnell her. Der Assistenzarzt sprach als erster mit ihr. Er war freundlich, strahlte Ruhe aus. Doch es wirkte auf das verstörte Madl nicht, weil er keine genauen Angaben über den Zustand ihres Vaters machen konnte.
Anita sank wie vernichtet auf die Bank im Korridor und murmelte immer nur das eine: »Geschossen – geschossen – wie bei Leo…«
Ein Stockwerk über ihr saß der Kronseder-Lukas. Er war energischer aufgetreten und beharrte darauf, abzuwarten, ganz gleich, ob er mit dem Verletzten verwandt sei oder nicht. Anita und er warteten an die drei Stunden. Es war nicht die geringste Ahnung in ihnen, wie nahe sie einander waren.
Das Ergebnis der Operation wurde dann telefonisch zur Anmeldung durchgegeben. Auf diese Weise erfuhr Anita eher als Lukas davon. Sie sprang angstvoll auf, als eine Krankenschwester auf sie zukam. Aber sie fiel dieser um den Hals, als sie berichtete: »Madl, dein Vater ist außer Lebensgefahr. Er hat viel Blut verloren und muß eine Weile bei uns bleiben.«
»Darf