hab dich net so zeitig daheim erwartet«, sagte er kauend. »Warst doch mit dem sauberen Herrn Neudecker verabredet.«
Die Tochter nahm einen Schluck aus dem Milchglas. »Das Stelldichein hat net lang gedauert«, antwortete sie stockend. »Ich hab Schluss gemacht mit ihm.«
Ebenhecht hörte auf zu kauen. Er legte Messer und Gabel beiseite. »Ist das wahr?«, fragte er ungläubig.
»Es ist wahr«, sagte die Rothaarige, hob den Blick von ihrem Teller und sah den Vater fest an. »Ein bissel spät sind mir die Augen aufgegangen. Aber lieber spät, als gar net.«
Der Jäger haschte über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. »Du ahnst net, Kind, wie froh du mich machst«, sagte er bewegt. »An seiner Seite hätt ich deine Zukunft in den düstersten Farben gesehen. Er ist listig und verschlagen. Kein Funken Ehrlichkeit steckt in ihm. Vergiss ihn so schnell wie möglich, Dirndl.«
Martha schob ihren Teller von sich, obwohl er noch halb voll war. Doch ihr Hunger war schon gestillt. »Mir können alle Mannsleut gestohlen bleiben«, murmelte sie. »Ich kümmere mich bloß noch um den Haushalt und die kranke Mutter. Da hab ich genug zu tun.«
Der Vater lächelte verständnisvoll. »So sieht’s im Moment für dich aus, Kind. Aber du bist jung, und das Herz hat Wünsche. Irgendwo gibt es einen, der eine neue Lieb in dir weckt. Einen, der die Lieb auch wert ist. Das kann dauern. Aber er kommt schon noch.«
Die schlanke Jägerstochter gab keine Antwort und räumte das Geschirr ab.
Sie trug es in die Küche und kehrte mit einem vollen Bierkrug zurück, den sie vor den Vater auf den Tisch stellte. Dann stemmte sie die kleinen Fäuste in die schmalen Hüften und schüttelte den Kopf.
»Warum hast dich net beschwert, Vater, dass ich dir zum Nachtmahl keinen Trunk gebracht hab?«, wollte sie wissen.
Der Waidmann mit den grau melierten Haaren schmunzelte. »Weil man mit einem Dirndl, das in Herzensnöten ist, recht nachsichtig sein muss«, gab er zu verstehen. »Grad wollt ich mir das Bier selber holen.«
»Ach, Vaterl«, schluchzte sie auf und fiel ihm um den Hals. Tränen benetzten seinen Hals. »Solang ich dich hab, ist alles leicht zu ertragen. Da werd ich mit jedem Rippenstoß des Schicksals fertig.«
Er hob den schmalen Kopf der Tochter zu sich empor. Eine Weile betrachtete er das verweinte, gerötete Gesicht der Tochter und fragte besorgt: »Du wirst dem Nichtsnutz doch net nachtrauern?«
Energisch schüttelte sie den Kopf. »Nein, Vaterl«, würgte sie hervor, und ein verspäteter Schluchzer entrang sich ihrer Kehle. »Aber eine tiefe Enttäuschung zerrt halt an den Nerven.«
»Das vergeht, mein Geißlein«, sagte er zärtlich. »Du hast Freundinnen. Geh in der nächsten Zeit öfter mal zu ihnen und vergnüg dich. Das treibt dir die finsteren Gedanken aus dem Köpfl.«
Die Schlanke nickte und befreite sich aus seinen Armen.
Sie ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Nachdenklich verharrte sie dort. »Der Ludl und ich, wir sind auf den Mangold-Severin zu sprechen gekommen. Dabei hat der Ludl eine Bemerkung gemacht, als hätt der Severin Dreck am Stecken. Ist er gar auf die verbotene Jagd gegangen?«
»Ja«, sagte Ebenhecht gelassen. »Und er ist der Einzige, der’s net leugnet. Ihn hat einer dazu überredet, mit auf die Pirsch zu gehen. Den Namen von dem Anstifter brauch ich dir wohl net erst zu nennen.«
Mit hängendem Kopf verließ Martha den Raum. Zur gleichen Stunde fiel Severins Name auch in einer anderen Stube. Der Bergführer saß dem Fuhrmann Emmeran Hopf gegenüber. Erregt gossen beide den Inhalt ihrer Schnapsgläser in die Kehlen. Unaufgefordert griff der schmächtige schwarzhaarige Hopf zur Flasche und füllte sein Glas nach. Nachdem er dieses geleert hatte, wischte er mit dem Handrücken den dünnlippigen Mund ab.
»Dir ist also der Ebenhecht begegnet, wie er vom Berg gekommen ist«, sagte Ludl und drehte unruhig die Enden seines buschigen Schnurrbarts auf. »Jetzt red endlich, wie er sich dir gegenüber geäußert hat. Ich hock da wie auf Kohlen. Ohne besonderen Grund wirst ja net so spät noch zu mir gelaufen sein.«
»Natürlich net, Ludl«, versicherte Emmeran, und seine wässrigen Augen richteten sich auf den Kumpan. »Der Ebenhecht weiß so ziemlich alles.«
»Oho!« Ludl schlug verblüfft mit der Faust auf den Tisch. »Von wem denn?«
Der dürre Fuhrmann zuckte mit den Schultern und zeigte ein schiefes Grinsen. »Das hat er mir freilich net verraten.«
»Kann er uns was am Zeug flicken?« Der Bergführer wurde wütend. »Verflixt! Lass dir net jedes Wörtl aus dem Hals ziehen!«
Das schiefe Grinsen wich nicht aus dem hageren Gesicht mit den eingefallenen Wangen. »Ich glaub net. Sonst müssten wir wohl jetzt schon Daumen drehen hinter Schloss und Riegel.«
Beruhigt lehnte sich Ludl zurück und feixte: »Na also. Denken darf er sich, was er mag. Wenn er nur keine Beweise in Händen hat.« Er steckte ein Zigarillo in Brand und paffte behaglich blaue Rauchringe in die Luft.
Langsam gefror das Grinsen im Gesicht des Fuhrmanns. »Aber es muss doch irgendjemand geben, der ihm was ins Ohr geflüstert hat«, vermutete er.
Sorglos schüttelte Ludl den Kopf. »Der Ebenhecht hat eine blühende Fantasie. Der reimt sich alles zusammen.«
»Nein! Er kennt die Namen von denen, die Wild zu mir hintragen und den Preis, der dafür gezahlt wird.«
»Verflucht!« Wutbebend sprang Ludl auf. »Da hat ja wirklich einer das dreckige Maul aufgerissen«, knirschte er. »Wenn ich herauskrieg, wer es ist, dreh ich ihm den Hals um.« Seine klobigen Hände vollführten die entsprechenden Bewegungen. Aufgeregt trabte er in der Stube auf und ab, wilde Blicke um sich schleudernd.
Der Schmächtige folgte ihm mit den Augen. Das Herumgerenne ging ihm auf die Nerven. »Hock dich lieber hin und denk nach, Ludl, wer das schwatzhafte Bürschl sein könnt«, forderte er mit dünner Stimme den Bergführer auf.
»Das tu ich ja schon ununterbrochen«, fauchte Ludl den Sprecher an und trabte weiter. Abrupt hielt er an. Seine Oberlippe hob sich und entblößte das kräftige Gebiss. Mit der Hand schlug er sich an die Stirn. »Der ist’s«, stieß er hervor. »Natürlich der. Ein anderer kommt net in Betracht.«
Ludl ließ sich krachend auf den nächsten Stuhl fallen. Er machte sich nicht die Mühe, erst sein Glas zu füllen, sondern nahm gleich einen gewaltigen Schluck aus der Flasche. Die dunklen Augen loderten.
Emmeran Hopf hüstelte. Wie ein ungeduldiges Kind rutschte er auf seinem Sessel hin und her. »Willst mich gar vor Neugier platzen lassen, Ludl?«, beschwerte er sich. »Wen meinst du? Wen? Red schon!«, drängte er.
Ludls eckiges Kinn hob sich vor. Er glich in dieser Minute einer bissigen Bulldogge. »Der Mangold-Severin stellt sich neuerdings recht gut mit dem Ebenhecht«, ließ er den Schmächtigen wissen. »Stundenlang war er kürzlich im Jägerhäusl gewesen und ist vom Ebenhecht bewirtet worden.«
Der Fuhrmann stieß die Luft hörbar durch eine Zahnlücke. »Das riecht freilich nach Verrat«, murmelte er. »Aber genau weiß man’s trotzdem net.«
Mit einer ungestümen Handbewegung wischte Ludl den Einwand beiseite. »Zuerst hat er mir die Freundschaft aufgekündigt und wollt plötzlich nix mehr vom Wildschießen wissen, der Severin. Kurz darauf hat mich der Ebenhecht behandelt, als wär ich räudig. Um den Severin aber ist er herumgeschwänzelt wie ein Dackel. Und zu guter Letzt hat mir die Martha heute den Laufpass gegeben.« Er schlug mit der Faust so kräftig auf die Tischplatte, dass sowohl die Schnapsflasche als auch die Gläschen zu tanzen begannen. »Merkst immer noch net, woher der Wind weht, du Hirnfäustl? Geht dir allweil noch kein Laternderl auf?«
»So ein charakterloser Lumpenkerl«, stieß der Fuhrmann entrüstet hervor. »Vorher selber Wild wegputzen, und dann die anderen Schützen beim Jäger hinhängen, das ist die größte Niedertracht, die mir im Leben untergekommen ist.« Er schüttelte sich vor Abscheu. Gleich darauf kratzte er sich an der scharfen Nasenspitze.