er hinaus in die sinkende Dämmerung. Ziellos spazierte er durch die Gassen. Der Abend war noch jung, und er verspürte noch kein Verlangen nach seinem Bett. Im Wirtsgarten des »Federerbräus« waren mehrere Tische mit durstigen Zechern besetzt. Zwischen den mächtigen Kastanienbäumen, die tagsüber Schatten spendeten, waren Kabel gespannt, an denen Glühlampen hingen. Sie versorgten die trinkfreudigen Dörfler im Bräugarten mit dem nötigen Licht.
Unschlüssig blieb Severin davor stehen und überlegte. Dann entschloss er sich, noch eine Maß Bier zu trinken, um die nötige Bettschwere zu erlangen. Als er den Garten betrat, wurde er vom Schnitzbaumer-Xaver angerufen, der mit dem Hartlbauern an einem Tisch im hinteren Teil des Gartens saß. Neben dem Schnitzbaumer hatte er die Schulbank gedrückt und diesem beim Rechnen und Schreiben oft genug beigestanden. Xaver war trotz seiner mangelhaften Leistungen in der Schule ein tüchtiger Bauer geworden und hatte eine geldige Hoftochter als sein Weib ins Haus geholt. Er saß im Gemeinderat, und sein Wort hatte in Farngries Gewicht.
»Dich hab ich schon eine ganze Weil nimmer gesehen«, rief der Jugendfreund und rückte einen leeren Stuhl zurecht. »Auf das Zusammentreffen müssen wir einen zweistöckigen Obstlerschnaps trinken.«
Severin begrüßte ihn mit kräftigem Schulterklopfen und nickte dem Hartlbauern freundlich zu. Die pausbäckige Kellnerin brachte einen überschäumenden Krug und die drei randvollen Schnapsgläser, die Xaver bestellt hatte.
Sie prosteten sich zu und kippten die Schnäpse mit einem Ruck in die aufgerissenen Münder. Xaver stieß einen behaglichen Grunzlaut aus. Dann wurde seine Miene ernst.
»Was man von euch Mangolds hört, sind net grad fröhliche Botschaften«, sagte er. »Auf eurem Hof spielen sich ja seltsame Sachen ab. Wie erklärst du dir das, alter Freund?«
Der Gefragte ließ ein kurzes, trockenes Lachen hören. »Wenn ich eine Erklärung dafür hätt, Xaver«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, »dann wär mir wohler. Da ist ein Haderlump am Werk. Ich weiß aber net, wer er ist und warum er’s tut.« Er wischte ein Kastanienblatt vom Tisch. »Vielleicht sind auch noch andere daran beteiligt.« Hastig führte er den Krug zum Mund und nahm einen kräftigen Schluck.
Der Hartlbauer räusperte sich. »Die Sache ist net zum Spaßen«, mischte er sich ein. »Wegen der vergifteten Kuh und dem angezündeten Stadel könnt man noch glauben, dass euch einer schädigen will. Aber aus dem Landauer einen Radbolzen ziehen, das kann ans Leben oder an die Gesundheit gehen. So was tät ein Richter Mordversuch nennen, wenn mich net alles täuscht.«
»Hast einem Bürschl die Dirn ausgespannt, du Hallodri?«, fragte Xaver und stieß den Freund aus Kindertagen scherzhaft mit dem Ellbogen an. Er versuchte, die etwas gedrückt gewordene Stimmung aufzuheitern.
Severin feixte. »Davon kann keine Red sein«, gab er zu verstehen. »Lang genug hab ich mir über die Geschicht den Kopf zerbrochen. Jetzt geb ich’s auf.«
Wenig später verabschiedete sich der Hartlbauer und strebte dem Ausgang zu. Severin und Xaver tauschten ein paar heitere Erinnerungen aus und lachten herzhaft.
Da ging ein etwa zwanzigjähriger Bursche am Tisch vorbei und stieß wie unbeabsichtigt mit dem Fuß an Severins Stuhl. Severin drehte sich kurz um und wandte sich wieder dem Freund zu.
Der Bursche blieb stehen. In dem blutjungen Gesicht zuckte es spöttisch. »Bist gar erschrocken, weil ich mit dem Schuhspitzl das Stuhlbein gestreift hab, Mangold?«, fragte er mit heller kindlicher Stimme.
Verwundert hob Severin die Augenbrauen und sah den Burschen an. »So leicht erschreck ich net, Bübl«, gab er gelassen zur Antwort.
Der Zwanzigjährige kicherte leise. »Dann ist’s ja gut, Mangold. Also steck deine Nase wieder in den Bierkrug und gaff mich net so dalkert an. Das kann ich net leiden.«
Xaver stieß seinen Tischnachbarn an. »Das Bübl sucht Streit, scheint mir.«
Severin lehnte sich zurück. »Du bist doch der Pauli vom Kleinhäusleranwesen der Leitners, gelt? Geh deinen Weg und halt den Schnabel, Bub. Einen besseren Rat kann ich dir net geben.«
Einige Zecher an den Nebentischen wurden aufmerksam und beendeten ihre Unterhaltungen. Neugierig warteten sie auf den Fortgang der Auseinandersetzung. Man war für jede Abwechslung dankbar.
Der Zwanzigjährige handelte völlig überraschend. Mit einem Sprung war er an Severins Tisch, packte den Krug und schüttete den Inhalt in das Gesicht des Jungbauern. »So darfst mit mir net reden, Mangold!«
Severin fuhr sich mit dem Joppenärmel über das nasse Gesicht. Dann schnellte er von seinem Stuhl hoch. Weit holte er aus.
Eine fürchterliche Ohrfeige riss den nicht sehr kräftigen Herausforderer von den Beinen.
Der Bursche kollerte bis zum Nachbartisch.
Achselzuckend meinte einer der dort sitzenden Zecher: »Jetzt hat er die Bescherung, der Lausbub. Aber er hat’s ja net anders gewollt.«
Von der anderen Seite des Wirtsgarten ertönte ein Wutschrei. Ein Stuhl fiel krachend um. Mit angewinkelten Armen, den Stiernacken vorgebeugt, stand der Bergführer Ludl Neudecker zwischen den Tischen.
»Findet sich denn keiner«, brüllte er, »der diesem brutalen Kerl aufs Maul haut? An einem halbwüchsigen Buben vergreift er sich und ist gar noch stolz darauf.«
»Der Rotzbub hat gekriegt, was er verdient hat«, ließ sich einer der Gäste vernehmen.
»Wenn ihr zu feig seid, dem armen Leitner-Pauli zu helfen, ich bin’s net«, schrie Ludl und kam näher, die Arme immer noch angewinkelt. Der geohrfeigte Bursche erhob sich währenddessen und rieb die dunkelrot angelaufene Wange.
Kopfschüttelnd sah Severin dem massigen, breitschultrigen Bergführer entgegen. »Was ist denn in dich gefahren, Ludl?«, fragte er verständnislos. »Ist dir denn entgangen, dass mir der Rotzlöffel Bier ins Gesicht geschüttet hat?«
Seine Worte schienen wirkungslos an dem wutgeifernden Bergführer abzuprallen. »Ein Raufbold bist du«, knirschte er, »dem man seine Schandtaten heimzahlen muss.«
In dem Moment, als Ludl nur noch einen Meter von Severin entfernt war, sprang Pauli den Jungbauern von hinten an und umklammerte dessen Arme. Ludls dunkle Augen glitzerten tückisch auf. Seine Faust hob sich zum Schlag. Da stand wie aus dem Boden gewachsen der Schnitzbaumer-Xaver neben ihm.
»Tu’s net, Ludl«, warnte ihn Xaver, »sonst hast mich auf dem Hals. Das Spiel, das hier abläuft, durchschau ich. Du hast den Pauli vorgeschickt, um Severin hitzig zu machen. Danach wolltet ihr zwei gemeinsam über ihn herfallen. Aber daraus wird nix.«
Ludls Blick huschte über Xavers Gestalt hin. Dieser war ein Zweizentnermann und stand da wie ein Fels. Ludl brauchte nicht lange zu überlegen.
Er ließ die Faust sinken und schob sich den Hut tief in die Stirn. Severin hatte inzwischen den Zwanzigjährigen abgeschüttelt, der sich mit zwei langen Sätzen sofort in Sicherheit brachte.
Ein stechender Blick des Bergführers traf Severin. »Zwischen uns ist das letzte Wörtl noch net gewechselt, du verräterischer Hund«, zischte er. Mit gesenktem Kopf stapfte er auf den Ausgang des Bräugartens zu. Der junge Pauli folgte ihm.
Händeringend kam der Wirt aus dem Haus gerannt. »Eine Rauferei? Das duld ich net.«
Schallendes Gelächter der Gäste empfing ihn. »Musst dich nächstes Mal ein bissel tummeln, wenn du Streitereien schlichten willst, Wirt«, spottete einer der Zecher. Der Gastronom kratzte sich am Hinterkopf und verschwand im Haus.
Severin und Xaver setzten sich wieder an ihren Tisch. Zwei volle Krüge und zwei Schnäpse wurden gebracht. Die Freunde tranken. Bedächtig streifte sich Xaver den Bierschaum vom Mund. Dann zog er seine Pfeife aus der Tasche und stopfte sie bedächtig.
»Einen verräterischen Hund hat er dich genannt, der Ludl«, sinnierte der Schnitzbaumer. »Was hat er damit gemeint?«
»Ich hab keine Ahnung«, erklärte der Mangoldsohn feixend. »Der Ludl muss einen Sonnenstich haben.«
»Auf