Anne Altenried

Wilderer und Jäger Staffel 1


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Gegenüber. »Kannst dir das net denken, Emmeran? Der Mangoldsohn hat dem Jäger unter dem Siegel der Verschwiegenheit einen Tipp gegeben. Aber unterschrieben hat er wohlweislich nix, um net vor den Farngriesern als einer dazustehen, der Kameraden verpfeift. Die Dorfleutl täten ihn anspucken.«

      Das leuchtete dem Hageren ein. »Aha«, sagte er und griff flink zur Flasche, bevor sie der Bergführer forträumen konnte. Nach einem kräftigen Schluck fragte er: »Wie soll’s jetzt weitergehen?«

      »Vorerst setzen wir keinen Fuß mehr auf das Stieglerhorn, denn der Ebenhecht passt auf wie ein Schießhund. Auch den Kleebuckel müssen wir meiden. Der Förster Deuringer ist sicher vom Ebenhecht gewarnt worden.« Ludl rieb das massige Kinn. »Aber auf dem Däumling soll auch gutes Wild stehen. Du musst halt mit deinem Fuhrwerk hinüberfahren. Schließlich können wir die Böckerl net im Rucksack nach Farngries tragen.«

      »Nix lieber als das«, rief Emmeran erleichtert aus. Er hatte schon befürchtet, die nächsten Wochen ohne einträgliche Nebeneinnahmen auskommen zu müssen.

      »Und jetzt troll dich«, sagte Ludl und gähnte anhaltend. Dann nahm er dem Spießgesellen die Flasche weg. Entschlossen schob er den Schmächtigen zur Tür hinaus. »Ich muss endlich wieder einmal tüchtig ausschlafen«, rief er dem Davoneilenden grinsend nach. »Hab mir in letzter Zeit manche Nacht um die Ohren geschlagen. Net bloß mit der Kugelspritze in der Hand.«

      *

      Die Mangolds und ihre zwei Bediensteten verlebten unruhige Tage. Erst eine Woche war es her, da hatten sie auf der Weide eine ihrer besten Milchkühe tot aufgefunden. Das Rind wies keine Verletzung auf, das halb offene Maul war aber mit rosarotem Schaum bedeckt. Der herbeigerufene Tierarzt zog nach eingehender Untersuchung die Stirn kraus.

      »Wetten möcht ich, dass es sich hier um eine Vergiftung handelt«, brummte er. »Alle Anzeichen deuten darauf hin. Aber mit letzter Sicherheit kann man das bloß im Institut feststellen. Wir müssen halt eine Probe vom Mageninhalt hinschicken.«

      Der Bauer winkte mit bekümmerter Miene ab. »Das macht mir die Kuh auch net wieder lebendig«, murmelte er. »Ich frag mich freilich, wie die Kuh auf der Wiese zu der Vergiftung kommt. Hier grast das Mangoldvieh seit mehr als hundert Jahren.«

      Der Doktor zuckte ratlos mit den Schultern und packte seine Instrumente ein. Severin legte dem Vater die Hand auf die Schulter. »Vielleicht hat sich durch Samenflug ein giftiges Pflanzl auf der Wiese eingewurzelt. Der Vinzenz und die Anna sollen alles absuchen. Ich bin überzeugt, sie finden das Pflanzl.«

      Die Bediensteten des Mangoldhofes fanden nichts. Zwei Tage später löste sich ein Rad am leichten Landauerwagen, in dem Severin die Mutter zum Einkaufen nach Gart­hofen fahren wollte. Zum Glück konnte der Sohn den Falben, der vor das Gefährt gespannt war, rasch zügeln. Um ein Haar wäre die Frau auf die Straße hinausgeschleudert worden. Dem geistesgegenwärtigen Zugriff Severins hatte sie es zu verdanken, dass nichts passierte.

      Der hochgewachsene Blonde untersuchte die Achse. Der metallene Achsbolzen fehlte. Er war durch ein dünnes Holzstück ersetzt worden, das dem Druck des Rades nicht lange hatte standhalten können und zerbrochen war.

      Kreidebleich schob sich Severin den Hut aus der sonnengebräunten Stirn. »Da ist ein Mensch mit finsteren Absichten am Werk«, raunte er so leise, dass es die Mutter nicht hören konnte, die zitternd und verstört am Straßenrand saß. »Das war ein Anschlag auf unser Leben.«

      Der Hartlbauer kam mit einem Vierspänner des Weges und hielt sofort an. Severin äußerte nichts von seinem Verdacht, bat aber den Hartl, ihm den Wagnermeister mit einem Achsbolzen zu schicken. Eine Stunde später war das Rad befestigt. Die Mutter verzichtete auf das Einkaufen in Garthofen und wollte so rasch wie möglich zum Hof zurückkehren.

      Der Bauer griff sich entsetzt an die Stirn, als Severin ihm den Vorfall schilderte. Dann schlüpfte er in die Joppe, angelte sich den Hut vom Haken und eilte aus dem Haus. Wenig später kehrte er mit dem Dorfpolizisten zurück. Gendarm Vogelrieder besah sich den Wagen, der in die Remise geschoben worden war und saß dann den Mangolds bei einem Krug Bier in der guten Stube gegenüber. Die immer noch verwirrte Bäuerin weilte in der Küche.

      »Ein Holzpflöckchen hat also in der Radnabe gesteckt«, sagte er bedächtig und wischte den Bierschaum aus seinem aufgezwirbelten Bart. »Und ihr seid sicher, dass es keiner vom Hof gewesen ist, der sich vielleicht einen Schabernack erlaubt hat?«

      »Nein, ausgeschlossen«, versicherte der Bauer. »Dem Vinzenz tät ein solcher Unsinn bestimmt net einfallen. Der Magd natürlich genauso wenig.«

      »Hm! Gibt es einen Farngrieser, der euch feindlich gesinnt ist?« Der Gesetzeshüter ließ seine etwas vorstehenden Augen vom Vater zum Sohn schweifen und wieder zurück.

      Die Gefragten schüttelten einträchtig die Köpfe. »Ich wüsst keinen«, erklärte der Bauer, und Severin pflichtete ihm bei.

      Der Uniformierte leerte den Krug und stand auf. »Ich hör mich vorsichtig in der Gemeinde um«, versprach er. »Ob dabei was herauskommt, weiß ich freilich net. Sicherheitshalber telefonier ich auch mit den Kriminalern in der Kreisstadt.« Selbstbewusst fügte er hinzu: »Aber was ich net aufspür, das stöbern die auch net auf.« Grüßend legte er zwei Finger an den Mützenrand und verließ das Haus.

      In der übernächsten Nacht brannte der Stadel. Wenn sich die Bäuerin nicht wegen quälender Magenschmerzen von ihrem Nachtlager erhoben und den Feuerschein erblickt hätte, wäre wohl die danebenstehende Scheune ebenfalls nicht mehr zu retten gewesen.

      Zähneknirschend und mit geballten Fäusten stand Severin vor den verkohlten, rauchenden Trümmern des Stadels. Die Männer der freiwilligen Feuerwehr rollten die Schläuche zusammen und verstauten sie auf dem Löschwagen. Der Hauptmann der freiwilligen Truppe drückte den Mangolds mitfühlend die Hände. Dann gab er das Kommando zum Abrücken.

      Gendarm Vogelrieder räusperte sich. »Ohne die Kriminaler geht’s net«, stellte er niedergeschlagen fest. »Die Haderlumpen, die euch ans Leder wollen, müssen gepackt werden, bevor ein größeres Unglück passiert.« Severin hörte nur mit halbem Ohr auf ihn. Er zergrübelte sich das Gehirn, wer hinter diesen Anschlägen stecken könnte. Dabei fiel ihm auch der Name Ludl Neudecker ein. Doch sofort verwarf er diesen Verdacht wieder. Nur weil er sich nicht mehr an der Wilddieberei beteiligen wollte und es damals eine kleine Auseinandersetzung mit den Fäusten gegeben hatte, vergriff sich der Bergführer doch nicht an seinem Hab und Gut und trachtete ihm nach dem Leben. Sie waren mit Handschlag auseinandergegangen. Severin erinnerte sich, dass sein Gewehr immer noch auf dem Horn im Farnkraut versteckt lag. Es wurde Zeit, die Waffe herunterzuholen. Vielleicht brauchte er sie bald, um einen nächtlichen Attentäter auf dem Hof in Schach zu halten. Zu seiner Erleichterung hatte der Vater immer noch nicht das Fehlen des Gewehrs bemerkt und daher auch nicht nach dessen Verbleib gefragt.

      Vogelrieder, der für die Schilderung seiner künftigen Aktivitäten einen schlechten Zuhörer gefunden hatte, klopfte dem blonden Jungbauern tröstend auf den Rücken und verschwand im aufhellenden Morgen. Severin richtete den Blick auf den gelben Streifen im Osten, der das Anrücken des Tagesgestirns ankündigte. Bald zeigte sich die erste Glut. Die felsigen Zinnen schienen zu brennen. Gleißendes Licht drängte hinter den Höhen hervor und ergoss sich bis hinab in das schlafende Schönauertal.

      Ein wärmender Strahl traf den grübelnden Jungbauern an der Stirn. Was mochte dieser neue Tag bringen? Was heckten die hinterhältigen Schurken an neuen Niederträchtigkeiten aus? Wann würde auch ein Mensch auf dem Hof zu Schaden kommen? Der Dorfpolizist wollte Verstärkung für die Gendarmeriestation anfordern, um nachts einen Wächter auf dem Hof postieren zu können.

      Der hochgewachsene Blonde sah sich um. Von den etwa drei Dutzend Gaffern, die das Klingeln des Löschwagens und der Feuerschein angelockt hatten, war niemand mehr zu sehen. Er war froh darüber. Gerade wollte er sich abwenden, um ins Haus zu gehen, wohin die übrigen Hofbewohner schon vor einer Weile zurückgekehrt waren, da sah er eine Frauengestalt auf den Hof zu eilen. Er hatte die Gestalt sofort erkannt. Sekunden später flog ihm Gundi an den Hals.

      Die beiden jungen Menschen küssten sich.

      Atemlos ließ die